Bei Secondary Perils übersteigen die Ausgaben die Einnahmen – was jetzt getan werden muss, weiß Swiss Re-Expertin Tamara Soyka

Tamara Soyka | Head Cat Perils EMEA | Director | Swiss Re Institute. Photography Tom Kawara Zürich, 26.10.2020.

„Secondary Perils werden häufig nicht systematisch beobachtet und auch nicht ausreichend modelliert“, sagt Tamara Soyka, Head Cat Perils EMEA bei Swiss RE. Das überrascht, entfielen letztes Jahr doch weltweit über 70 Prozent der versicherten Naturkatastrophenschäden auf Sekundärereignisse. Komplexität, Wechselwirkungen und zu wenig Datenmaterial sind einige der Gründe für die zu geringe Aufmerksamkeit. Um dem Problem Herr zu werden, braucht es „vorausschauende Module“, erklärt Soyka, denn in den letzten Jahren waren die Sektorschäden größer als die Einnahmen.

VWheute: Frau Soyka, was genau sind Secondary Perils?

Tamara Soyka: Als Sekundärgefahren definieren wir Naturkatastrophen-Ereignisse wie Überschwemmungen, sintflutartige Regenfälle, Erdrutsche, Gewitter, Waldbrände und Dürreausbrüche, Winterstürme außerhalb Europas sowie Schnee- und Eisstürme. Zudem gehören zu den sekundären Gefahren auch die sekundären Auswirkungen einer primären Gefahr, wie z. B. hurrikanbedingte Niederschläge, Sturmfluten oder Tsunamis sowie Feuer nach einem Erdbebenereignis.

Sekundäre Naturgefahren werden häufig unterschätzt, weil ihre Auswirkungen von Schäden infolge sogenannter primärer Naturgefahren überschattet werden. Seit einigen Jahren tritt jedoch das wachsende Schadenpotenzial dieser sekundären Gefahren immer deutlicher zutage.

Sekundärgefahren sind in der Regel wetterabhängig, sodass wir davon ausgehen, dass der Klimawandel in Zukunft einen Einfluss auf die Ergebnisse von Schäden durch Sekundärgefahren haben wird. Da sich die Erde erwärmt, erwarten wir eine erhöhte atmosphärische Energie, was dazu führt, dass die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Dies wiederum kann zum Beispiel zu intensiveren Regenfällen führen.

Infobox: Unterscheidung Primary vs Secondary Perils. Laut gängiger Auffassung in der Branche werden sekundäre Naturgefahren in zwei Kategorien unterteilt: A) Ereignisse, die unabhängig und vergleichsweise häufig auftreten (öfter als primäre Naturgefahren wie Erdbeben oder Wirbelstürme) und Schäden von geringem bis mittlerem Ausmaß verursachen (im Vergleich zu den Schäden durch primäre Naturgefahren) B) sekundäre Effekte von primären Naturgefahren (zum Beispiel ein Tsunami nach einem Erdbeben).

Quelle: sigma 2/2019: Secondary natural catastrophe risks on the front line | Swiss Re

VWheute: Warum sind sie schwieriger einzuschätzen als ihre großen Brüder, die Naturkatastrophen?

Tamara Soyka: Secondary Perils werden häufig nicht systematisch beobachtet und auch nicht ausreichend modelliert. Eine Ursache ist die Komplexität durch Wechselwirkungen mit dem Klimawandel und sozioökonomischen Trends. Eine weitere Ursache ist eine tiefere Verfügbarkeit von historischen Daten, sowohl in Bezug auf die Naturgefahr an und für sich als auch den finanziellen Schaden.

Ein gutes Beispiel hierfür ist Hagel. Hagel tritt sehr lokal auf und hat ein ausgeprägtes „hit-or-miss“-Verhalten. Dies steht im Gegensatz zu einem großen Wintersturm, der weite Bereiche erfasst. Somit wird ein Hagelschauer oft nur dann gemeldet, wenn dort ein Schaden aufgetreten ist oder Menschen es beobachtet haben, was zu einem Bias in den Beobachtungsdaten führt. Zudem ist es schwierig, eine objektive Einschätzung zur Schadenintensität zu finden. Bei Hagel wird oft die Größe der Hagelkörner gemeldet, was auch eine erhebliche subjektive Komponente hat. Hinzu kommt, dass Radardaten von Gewitterzellen nicht hinreichend mit dem Hagelniederschlag korrelieren.

VWheute: Ein Problem waren lange fehlende oder fehlerhafte Modelle für Secondary Perils. Haben sich diese verbessert?

Tamara Soyka: Vendors und (Rück-)Versicherer haben sich bisher mehr auf die Modellierung von Primary Perils konzentriert. Die Verfügbarkeit von Modellen für Secondary Perils variiert stark nach Naturgefahr und Region. Grundsätzlich gibt es eher Modelle für Gebiete, wo hohe Werte versichert werden. Die Modellierung von Hagel und Flussüberschwemmungen sind vergleichsweise fortgeschritten, während die Modelle für Waldbrände und Subsidenz (Bodenabsenkung) noch in der Anfangsphase sind.

Die Versicherungsindustrie arbeitet intensiv an der Bereitstellung und Verbesserung von Modellen für sekundäre Naturgefahren. Während wir vielversprechende Entwicklungen sehen, ist der Aufwand und die Datenintensität bei Modellen für sekundäre Naturgefahren oft vergleichbar mit denjenigen für Primärgefahren. Der lokale „hit-or-miss“-Charakter der Gefahren sowie die Verfügbarkeit von detaillierten Schadendaten sind zentrale Punkte, um die Modellierung zu verbessern.

VWheute: Wie wird sich der Umgang mit Secondary Perils in der Branche verändern?

Tamara Soyka: Secondary Perils geraten mehr und mehr in den Fokus der (Rück-)Versicherungsbranche aufgrund der hohen Schäden, die sie regelmäßig verursachen. Über die Hälfte der versicherten Schäden stammen von Secondary Perils, letztes Jahr entfielen weltweit über 70 Prozent der versicherten Naturkatastrophenschäden auf Sekundärereignisse. Wir erwarten weiter, dass Secondary Perils ansteigen werden, unter anderem durch den Klimawandel und sozioökonomische Trends.

Global insured losses from secondary perils by peril types since 1970, in USD billion at 2020 prices. Quelle Swiss Re.

Die Branche wird weiter in die Modellierung und Schadenabschätzung der Secondary Perils investieren und dazu verstärkt Schadendaten mit höherer Granularität einbeziehen. Da die Vergangenheit nur noch bedingt aussagekräftig für die Zukunft ist, werden vorausschauende Module in die Risikoabschätzung einbezogen. Weiterhin ist das Verständnis von Korrelationen zwischen Naturgefahren relevant, z. B. la nina / el nino.

VWheute: Welchen Einfluss haben die Secondary Perils auf die Prämien in der Rückversicherung?

Tamara Soyka: Die Prämien müssen langfristig die ausbezahlten Schäden decken. Dem war in den letzten Jahren in Bezug auf Sekundärgefahren nicht so. Dieses Jahr hat bereits außerordentlich hohe versicherte Schäden durch Secondary Perils hervorgebracht (bspw. die Hagelstürme im Juni in Zentraleuropa und die Sturzfluten im Juli in Westeuropa), von daher erwarten wir Auswirkungen auf das Prämienniveau.

Annual primary and secondary peril insured losses since 1970 (USD billion) at 2020 prices, and share of secondary peril in total insured losses (5-years accumulated). Quelle: Swiss Re

VWheute: Wie gehen Sie mit der Gefahr um, was planen Sie?

Tamara Soyka: Wir entwickeln neue Modelle, verbessern die bestehenden und passen sie kontinuierlich der Schadenserfahrung sowie den Makrotrends an. Wir beziehen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zum Einfluss des Klimawandels sowie neueste Schadendaten mit ein, um unsere Modelle besser kalibrieren zu können.

Anmerkung der Redaktion; Wenn Sie, werte(r) Leser:in, mehr über die Sigma-Studie lesen wollen, VWheute hat ausführlich darüber berichtet.

Die Fragen stellte Maximilian Volz