Montagskolumne: Stefan Knoll spricht Klartext über Katastrophenvorsorge und gesellschaftliche Inkompetenz
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Stefan Knoll, CEO der Deutschen Familienversicherung. Quelle: DFV - von der Redaktion bearbeitet

„Erst bauen wir die Sirenen ab, dann besiedeln wir die Überflutungsgebiete, dann warnen wir zu spät und dann sind wir kollektiv überrascht.“ Stefan Knoll, CEO Deutsche Familienversicherung, spricht in der Montagskolumne einmal mehr Klartext; diesmal sind Katastrophenschutz, (staatliche) Cyberabwehr und kollektives Desinteresse an zentralen Themen wie nationaler Sicherheit seine Themen.

Stellen Sie sich vor, Sie kommen am Abend nach Hause und fragen Ihre Frau, wie ihr Tag war und bekommen zur Antwort, dass heute nur etwa 15 Einbruchsversuche von ihr wahrgenommen wurden, die aber Dank der vergitterten Fenster nicht erfolgreich waren. Und nachts, Sie sind längst eingeschlafen, werden Sie von Ihrer Frau geweckt, weil diese durch die Geräusche eines massiven Einbruchsversuches an der Eingangstür aufgewacht ist. Doch Sie werden Ihre Frau mit dem Hinweis beruhigen, dass Sie am Wochenende nicht nur die Tür, sondern auch das Schloss dort besonders verstärkt haben und schlafen eng umschlungen wieder ein. 

Nun werden Sie sich fragen, was denn das für eine surreale Geschichte ist. So etwas gibt es doch gar nicht und wenn, was wäre das für eine Gesellschaft und was für ein Staat, der so etwas toleriert. Gleichsam, um den Bezug zur Realität herzustellen, antworte ich Ihnen, dass das Geschilderte bei unseren Unternehmen jeden Tag passiert. Jeden Tag werden wir alle zusammen Hunderte Male angegriffen. Deshalb geben wir Millionen aus, um unsere Systeme gegen Cyberangriffe zu stärken, was allerdings nicht immer erfolgreich ist, wie die jüngsten Beispiele unter anderem aus der Versicherungsbranche zeigen. Und ich frage Sie, ob Ihnen eigentlich schon einmal aufgefallen ist, dass unser Staat von uns erwartet, dass dieser Teil der nationalen Sicherheitsvorsorge und Gefahrenabwehr gegen Cyberangriffe nahezu komplett privatisiert wird? Wo ist denn unser Staat bei der Cyberabwehr geblieben oder glaubt irgendjemand, dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) uns schützt? Und wenn Sie meinen, die Bundeswehr als einen Akteur zur Gefahrenabwehr nennen zu müssen, so möchte ich Sie nur an deren Auftrag erinnern. Dieser ist im Grundgesetz eindeutig beschrieben und besagt, dass der Bund Streitkräfte zu seiner Verteidigung aufstellt. Es kann also dahin gestellt bleiben, ob die Bundeswehr Cyberabwehr oder vielleicht noch besser Cyberangriff kann, sie darf beides nicht, solange der Verteidigungsfall nicht ausgerufen ist – und sie könnte es übrigens auch nicht. 

Doch zurück zu meiner fiktiven Geschichte, die so weitergeht, dass Ihre Frau sich am nächsten Morgen noch einmal beklagt, weil sie das alles als unangenehm empfindet. Sie werden dann antworten, dass es in der Tat ärgerlich sei, aber die Einbrecher in anderem Zusammenhang auch Ihre Kunden seien und Sie diese nicht durch ein proaktives Vorgehen verprellen wollen. Und so, wie Sie vielleicht den Vorwurf der Surrealität wiederholen werden, erwidere ich mit dem Hinweis, dass die Cyberangriffe zu einem erheblichen Ausmaß von autokratischen Staaten ausgehen, mit denen wir Handel treiben und regelmäßig alles unterlassen, was diesen stört. 

Cyber und andere Katastrophen

Unsere Antwort ist im Zweifel Bürokratie, weil diese vom Einfluss der sozialen Medien und der nichtsnutzigen Polit-Talkshows unabhängig ausgebaut werden kann und für die treibenden Kräfte den Vorteil hat, nicht justitiabel zu sein. So publiziert unsere Aufsicht mit großer Regelmäßigkeit Papiere, die unsere Geschäftsorganisation betreffen. Dies auch zum Thema IT-Sicherheit oder jüngst zu Big Data und KI. Ich will mich zum Inhalt und Mehrwert dieser Papiere gar nicht äußern, aber ich frage mich schon, warum ich von dem Insistieren der BaFin gegenüber dem ihr vorgesetzten Finanzministerium, seinen Einfluss zur Einführung von nationaler Cyberabwehr geltend zu machen, rein gar nichts mitbekomme.

Eigentlich hätten Sie heute eine Kolumne zum Thema unwetterbedingte Katastrophen erwarten können. Und als Versicherer liegt es nahe, sich dazu zu äußern, zumal wir auch noch etwas davon verstehen, schließlich müssen wir uns mit diesem Thema unter aktuarieller Betrachtung im Vorfeld und nach der Katastrophe mit der Schadenregulierung auseinandersetzen. Ich will das auch tun, nur unter ganz anderen Gesichtspunkten. 

Schon jetzt stellt sich schrittweise heraus, übrigens wie bei jeder Katastrophe, die uns heimsucht, dass entweder die Prävention oder die Alarmierung oder die Schadenbeseitigung nicht funktioniert – im Zweifel alles drei. Mich überrascht das nicht, haben wir die demokratische Mitbestimmung doch soweit atomisiert, dass auch bei jeder noch so vernünftigen Entscheidung eine Mindermeinung berücksichtigt werden muss. Und wenn das nicht gelingt, dann verzichten wir im Zweifel gleich vollständig auf die mehrheitsfähige Entscheidung. 

Sirenen zur Vorwarnung einzuführen geht einfach nicht, wenn darüber ein Kreistag oder Stadtparlament mehrheitlich entscheiden muss. Und Überflutungsareale nicht als Wohngebiete auszuweisen scheitert wieder aus den gleichen Gründen. Und wenn der Bundesinnenminister auf die Idee gekommen wäre, 16 Bundeskatastrophenverbände aufzustellen, die mit technischem Material, Führungsmitteln und vor allem Führungsfähigkeit im Katastrophenfall ausgestattet sind, wäre ein Aufschrei der Entrüstung durch unser Land gegangen.

Nachfolgend will ich ein weiteres Beispiel ansprechen, das die Sicherheitspolitik Deutschlands betrifft, nämlich: Die nationale Sicherheitsvorsorge bezogen auf die Bundeswehr. Dabei könnte ich quasi als „Gruß aus der Küche“ zunächst mit dem deutschen Corona-Management beginnen. Da aber kein Tag vergeht, ohne dass Sie sich von diesem Staatsversagen überzeugen können, will ich mir eine Kommentierung an dieser Stelle sparen. Oder doch vielleicht so viel: Wir werden das Problem nicht durch konsequente Führungslosigkeit in den Griff bekommen. Wenn wir weiterhin versuchen, Geimpfte, Genesene, Impfverweigerer, nicht Getestete und solchen, die sich nicht testen lassen wollen, gleichzubehandeln, werden wir nie zur Normalität übergehen können. Radikalen Herausforderungen muss man eben auch radikal begegnen. Wer sich nicht impfen lassen will, muss von bestimmten Privilegien ausgeschlossen werden. Das muss endlich klar und unmissverständlich kommuniziert werden.

Aus der eigenen Erfahrung mit der nationalen Sicherheitsvorsorge weiß ich, dass es nicht trivial ist, noch vor einer Katastrophe die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit der Vorsorge zu überzeugen. Ich erinnere pars pro toto an die bis zum Ende des Kalten Krieges nicht nachlassenden Versuche der Friedensbewegung die militärische Stärke der NATO zu torpedieren, wo immer es möglich war. Selbst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der damit verbundenen Offensichtlichkeit, was neuzeitliche Diktaturen anrichten können, werden die Verteidigungsanstrengungen damals und mit dem militärischen Wiedererstarken Russlands auch heute von einem Teil der Bevölkerung nicht ernst genommen. Vielleicht kann man das auch gar nicht erwarten oder was würden Sie tun, wenn bei leichter Bewölkung die Aufforderung zum Verlassen Ihrer Wohnung wegen einer drohenden Flutwelle an Sie herangetragen wird? So sehr in diesem Beispiel Zweifel beim Adressaten nachvollziehbar sind, stellt sich die Frage, ob Politiker das gleiche Privileg der Sorglosigkeit und fachlicher Unbedarftheit haben dürfen. 

Unsere Bundeswehr ist unter der Führung von fünf Unionsverteidigungsministern so substanziell ruiniert worden, dass die Union hier eine negative historische Verantwortung trägt, wie sie an anderer Stelle auch positive historische Verantwortung getragen hat. Deutschland ist schlichtweg nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Wir haben nicht nur zu wenig gepanzerte Verbände, diese sind in der Zwischenzeit unabhängig von ihrem Ausrüstungsstand geradezu wertlos geworden, weil wir seit Jahren auf jede Art von operativer Luftabwehr verzichten. Und die SPD steht da keineswegs abseits, da unter der Führung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich die Einführung von bewaffneten Drohnen verweigert wird. Dies, obwohl der jüngste Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan eindrucksvoll gezeigt hat, wie wirkungslos die Panzerwaffe ist, wenn sie aus der Luft durch Drohnen angegriffen wird und umgekehrt die Angegriffenen keine Möglichkeit der Luftabwehr haben. Dass wir in der Munitionsbevorratung so ausgestattet sind, dass wir keine Woche durchhalten, rundet das nur noch ab.

Bürokratie als Hemmnis

Will man das thematisieren, kann man sich der Angriffswelle einer links-grünen Phalanx sicher sein. Und in Wirklichkeit ist es genauso, wie bei der Flutkatastrophe in Ahrweiler. Erst bauen wir die Sirenen ab, dann besiedeln wir die vormaligen Überflutungsgebiete und schließlich ignorieren wir die akute Warnung, um uns dann nach Eintritt der Katastrophe über das Ausmaß verwundert zu zeigen. Um die gesellschaftliche Inkompetenz dann abzurunden, fordert die in den Städten angesiedelte Bionade-Bourgeoisie geringere Abstände von Windkraftanlagen zu Wohngebieten und mehr E-Mobilität. 

Themen wie die nationale Sicherheit interessieren nun einmal niemanden. Denn wer dort mitreden will, muss etwas davon verstehen und das macht die Sache schon schwieriger.  Demgegenüber kann jeder über Allgemeinplätze der Nachhaltigkeit fabulieren, solange man an den „man müsste“-Meinungen nicht kratzt. So habe ich kürzlich in einer Diskussion über Elektromobilität die Frage gestellt, ob denn niemand Angst davor hat, dass zum einen die E-Autos quantitativ schneller Realität werden als die Lade-Infrastruktur und zum Zweiten was passiert, wenn man auf dem Höhepunkt der Einführung von E-Autos dahinterkommt, dass ein E-Auto mit großer Reichweite eine geradezu gigantische kilometertechnische Nutzungsdauer aufweisen muss, um umwelttechnisch mit der neuesten Dieselgeneration mithalten zu können. Solche Fragen stellen wir nicht, sondern lassen uns von einem Mainstream treiben, damit wir uns vom Ergebnis überrascht zeigen können. In Talkshows werden dann Politiker gefragt werden, warum die das nicht gesehen haben, obwohl die Fragenden vorher alles darangesetzt haben, die Diskussion erst gar nicht aufkommen zu lassen. Noch einmal: Erst bauen wir die Sirenen ab, dann besiedeln wir die Überflutungsgebiete, dann warnen wir zu spät und dann sind wir kollektiv überrascht.

Und so komme ich wie immer an dieser Stelle zu der abschließenden Beurteilung, dass wir im Ausbau der Bürokratie ebenso Weltmeister sind, wie im Führen von modeorientierten Scheindebatten. Wer aber umgekehrt Sirenen zur Warnung oder Schutzmaßnahmen zur Prävention fordert, der wird unter Hinweis auf mangelnde Opportunität im besten Fall ignoriert oder als Panikmacher angegriffen. Und weil es uns so gut geht, setzen wir die Privatisierung der Cyberabwehr weiter fort und intensivieren den Handel mit autokratischen Ländern, die sich jeder regelbasierten Ordnung verweigern und festigen die nationale Bürokratie. 

Zum Autor: Stefan M. Knoll ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Familienversicherung. Er ist u.a. für den Digitalisierungsprozess des Unternehmens verantwortlich und hat das Unternehmen an die Börse geführt. Er blickt auf eine jahrzehntelange Karriere als Unternehmer zurück.