Montagskolumne mit Frank Reichelt: Die Flut als Weckruf für die Branche
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Frank Reichelt. Quelle: Swiss Re - von der Redaktion bearbeitet.

Die durch das Tief „Bernd“ ausgelösten tragischen Ereignisse in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz mit über 170 zu beklagenden Todesopfern sind uns allen noch im Bewusstsein, sie bestimmen nach wie vor die täglichen Nachrichten, schreibt Frank Reichelt. Eine derartige Katastrophe nur zwei Monate vor der Bundestagswahl ruft selbstverständlich die Politiker aller Parteien auf den Plan – die sofort hergestellte Verbindung zum Klimawandel tut ihr übriges – die Medien spiegeln dies deutlich wider.

Die Versicherungswirtschaft veröffentlicht über ihren Verband Schätzungen zur Höhe der versicherten Schäden (aktuell 4,5 bis 5,5 Mrd. Euro für ganz Deutschland), reguliert Schäden, verweist auf die fehlende Bereitschaft der Kundschaft, sich auch gegen Elementargefahren zu versichern (weniger als 50 Prozent der Betroffenen haben eine entsprechende Versicherungsdeckung abgeschlossen), und ist ansonsten froh, in den Medien eine positive Resonanz zu finden, was das Reputationsdesaster rund um die Betriebsschließungsversicherung vom letzten Jahr glücklicherweise etwas in den Hintergrund gerückt hat. Aber werden wir damit unserer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung als Branche gerecht?

Die Versicherungswirtschaft steht bereit, nahezu jedes Gebäude in Deutschland gegen Überschwemmung zu versichern. Sie will dies privatwirtschaftlich tun, nach ihren eigenen Regeln, ihren eigenen Risikobewertungen und Preiskalkulationen – der Hausbesitzer ist frei in seiner Entscheidung, sich zu versichern oder eben nicht. Der Staat möge sich um entsprechende Präventionsmaßnahmen kümmern, aber nicht nach jeder Überschwemmung die Schatulle mit dem Geld der Steuerzahler öffnen und finanzielle Unterstützung für die Nicht-Versicherten gewähren und damit falsche Anreize setzen.

Mit diesem Ansatz ist es nach vielen Jahren mittlerweile gelungen, die Versicherungsdichte für Elementargefahren bundesweit auf knapp unter 50 Prozent anzuheben – Tendenz stagnierend. Schaut man ein wenig mehr in die Details, so liegt die Versicherungsdichte im Neugeschäft der Versicherer allerdings deutlich höher (70 Prozent und höher), der Schuh drückt also im Bestand. Hier geht es nicht so richtig voran, weil sich die meisten Versicherer vor einem Umstellen der alten Wohngebäudepolicen scheuen: Die Aufnahme einer Elementardeckung würde die Prämie zwangsweise erhöhen, in Abhängigkeit von der Höhe des Flutrisikos oftmals deutlich. Ein Horrorszenario für viele Vertriebe könnte die ungeliebte Konkurrenz die Gelegenheit doch nutzen und ihrerseits auf Jagd nach Marktanteilen gehen.

Aber will sich die Versicherungswirtschaft wirklich im klein-klein der Deckungsumstellung verfangen, die die Versicherungsdichte für Elementar in Tippelschritten um einen Prozentpunkt jedes Jahr erhöhen? Nach großen Schadenereignissen sogar um zwei Prozentpunkte in einem Jahr? Wo ist der Befreiungsschlag, wo ist die Vision unserer Branche?

Unbestritten hat die globale Klimaveränderung die Wahrscheinlichkeiten des Eintritts bestimmter Wetterphänomene verändert, das Risiko derartiger Ereignisse erhöht. Aber ‚Risiko‘ ist doch genau unsere Kernkompetenz, unser tägliches Brot. Versicherer und Rückversicherer verstehen ‚Risiko‘ – warum gelingt es uns nicht, Gesellschaft und Politik zu überzeugen?

Nach wie vor agiert die Versicherungswirtschaft defensiv, erklärt eher, warum bestimmte Dinge nicht funktionieren, statt Lösungen anzubieten, wie es machbar sein könnte und neue Wege einzuschlagen. Gerade in der aktuellen Diskussion zur Pflichtversicherung gibt es mehr als ausreichend Expertise in den Unternehmen, um mögliche Rahmenbedingungen für eine obligatorische Versicherung vorzugeben: unveränderte bzw. intensivierte Prävention, Neugestaltung von Bauverordnungen, risikogerechte Prämienkalkulation statt Einheitsprämie, Transparenz zur Risikogefährdung usw., mögliche Rolle des Staates, Leistungen der Versicherungsunternehmen.

Das ist kein Plädoyer für eine Pflichtversicherung für Elementar analog der Kfz-Haftpflicht. Die Versicherungswirtschaft in Deutschland ist in der Lage, Elementargefahren umfassend abzudecken – egal, ob rein privatwirtschaftlich oder in Kooperation mit dem Staat. Aber es ist der Weckruf in die Offensive zu gehen: Es muss der Anspruch der Branche an uns selbst sein, alles zu tun, um in Zukunft keine Versicherungslücke mehr zuzulassen. Menschen in den schwierigsten Momenten zur Seite zu stehen, Volkswirtschaften auch in Krisenzeiten abzusichern – mit dieser Vision werden wir unserer Gesamtverantwortung gerecht. 50 Prozent Versicherungsdichte reicht hierfür nicht.

Zur Person: Frank Reichelt ist Managing Director beim Rückversicherer Swiss Re und unter anderem Hauptbevollmächtigter der Niederlassung in Deutschland.

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