Drei Jahre nach der Ahrtal-Flut: So steht es um die Schadenbilanz, offene Streitfälle und die Verlängerung der Wiederherstellungsfrist
Der Bonner Anwalt Markus Gerd Krämer ist bei der Presse ein gefragter Mann, wenn es um die Schilderung der Regulierung aus Sicht des Versicherungsnehmers nach der Ahrtal-Flut geht. Seine Kanzlei hat ca. 160 Fälle bearbeitet, 60 bis 70 Mandate laufen noch. Drei Jahre nach dem Schadenfall bangen viele Betroffene nun auch um den Anspruch auf die Neuwertspitze. VWheute fragte bei den betroffenen Versicherern wie Provinzial, R+V, Ergo, LVM, Signal Iduna & Co. nach, ob der Stichtag verlängert wird und wie viele offene Streitfälle sie noch im Portfolio haben.
Nächste Woche jähren sich die Flut-Ereignisse im Ahrtal zum dritten Mal. Viele Versicherer werden sich im Vorfeld mit Pressemitteilungen zur Schadenregulierung melden und darüber berichten, welche Lehren man daraus gezogen hat und wie viel man bereits Kunden ausbezahlt hat. Doch nicht alle haben ihre volle Entschädigungssumme erhalten, diese Sicht schildern die Anwälte der Versicherungsnehmer. Einer davon ist der Bonner Anwalt Markus Gerd Krämer, der bereits ein Jahr nach dem Sturmtief „Bernd“ monierte, dass Versicherer versuchen, Auszahlungen zu verschleppen oder Kunden so lange hinzuhalten, bis sie auf Kompromisse eingehen. Seine Kanzlei Kraemer.Law hat inzwischen 160 Fälle bearbeitet, dabei war die durchschnittliche Schadensumme „definitiv sechsstellig“. Vom einfachen Hausratschaden bis Hoteltotalschaden sei alles dabei gewesen. Vor Gericht wurden nur eine Handvoll Fälle entschieden, laut Kanzlei waren hier vorrangig versicherungsrechtliche Fragestellungen zu klären (z.B. bei Deckungsablehnung). „Die meisten Fälle wurden außergerichtlich durch Vergleich erledigt. Nach unseren Schätzungen müssten derzeit noch 60–70 Mandate laufen“, erklärt Kraemer.Law auf Anfrage.
Der Erfolg spricht sich rum. Viele Mandanten sind von anderen Anwälten zu Markus Gerd Krämer gewechselt. Er war viele Jahre in leitenden Funktion in Rechtsabteilungen von Versicherungsgesellschaften tätig und spricht daher quasi dieselbe Sprache. Er könne damit auf Augenhöhe verhandeln, was die Verhandlungen erleichtere, erklärt die Kanzlei. Ihm liegen bereits Fälle, die aus dem Mai-Hochwasser in Süddeutschland (sowohl aus Baden-Württemberg als auch aus Bayern) resultierten.
Was im dritten Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal so besonders ist, ist die ablaufende Frist, innerhalb welcher Geschädigte ihrem Versicherer nachweisen müssen, dass sie wirklich wieder aufbauen. Nur dann werden sie nicht nur für den Zeitwert des zerstörten Eigentums entschädigt, sondern bekommen den Neuwert erstattet. Die Differenz ist die sogenannte Neuwertspitze. Krämer hält die Frist für viel zu kurz, es seien sehr viele vom Stichtag betroffen.
Versicherer zeigen Verständnis, solange man sein Unverschulden nachweist
VWheute hat bei den einzelnen Versicherern nachgefragt, ob sie am Stichtag festhalten. Die Provinzial ist wohl mit der am stärksten vom Unwetter betroffene Versicherer. Auf Anfrage erklärt man, dass der Gesamtaufwand mittlerweile bei 1,6 Mrd. Euro liegt. 95 Prozent aller Schäden seien abschließend bearbeitet, die verbleibenden Fälle ziehen sich hin, weil ein „Handwerker- und Materialmangel sowie Planungsunsicherheit (u.a. fehlende Baugenehmigungen etc.) auf Kundenseite“ herrsche. Bezüglich des Stichtages heißt es: „Für die Schadenfälle, die bereits in der Wiederherstellung sind und bei denen auch sichergestellt ist, dass weiter wiederhergestellt wird, ist die Anspruchsvoraussetzung für die Erlangung des Neuwertanteils gegeben. Bei Schadenfällen, in denen die Wiederherstellung aktuell noch nicht sichergestellt ist oder Unklarheiten bestehen, wird über eine mögliche Fristverlängerung individuell entschieden.“
Bei vielen Häusern klingt die Antwort ähnlich: Bei der Zurich Deutschland halte man nicht am Stichtag fest und entschädige auch danach noch den Neuaufbau. Auch die Huk-Coburg oder die Ergo erkennen die „Probleme im Handwerkermarkt und den zu erteilenden Baugenehmigungen“ an und werden die Frist daher verlängern. LVM und die Debeka beurteilen jeden Einzelfall anhand seiner Umstände individuell. Die R+V Versicherung hat die Frist für den Nachweis der Wiederherstellung des Gebäudes von drei auf fünf Jahre verlängert.
Manche Versicherer wie die Generali, Signal Iduna oder die DEVK machen jedoch zu Bedingung, dass man eine Fristverlängerung nur dann gewährt, wenn man nachweist, dass die Wiederherstellungsfrist unverschuldet nicht eingehalten werden konnte. „Wenn Versicherte aber ohne einen triftigen Grund die Frist verstreichen lassen, lehnen wir eine Verlängerung ab und rechnen den Zeitwert ab“, erklärt die DEVK.
Die Alte Leipziger hat sich noch nicht entschieden, wie sie mit dem Stichtag umgeht und die Axa hält den Wiederherstellungserfolg zum Zeitpunkt des Fristablaufs ohnehin für nicht erforderlich. Die Begründung lautet wie folgt: „Die sog. Wiederherstellungsklausel zur Erlangung des Neuwertanteils setzt lediglich voraus, dass die Verwendung des Geldes zur Wiederherstellung des versicherten Gebäudes in gleicher Art und Zweckbestimmung sichergestellt ist.“
Offene Fälle und gerichtliche Auseinandersetzungen gibt es durchaus
Nach der Provinzial hat die R+V wohl die meisten Schäden zu beklagen. Die Gesamtkosten liegen bei 800 Mio. Euro. Die Schadenregulierung sei bei rund 93 Prozent der betroffenen Kunden abgeschlossen, erklärt der Versicherer. Auf ähnlich hohe Prozentzahlen kommen auch andere Gesellschaften. LVM und die Provinzial haben für 95 Prozent der Kunden die Schäden ausbezahlt und reguliert. Generali und die Alte Leipziger kommen auf 90 Prozent. Bei der Ergo, die keine genauen Zahlen zu den Gesamtschäden nennt, sind ungefähr 200 Schäden (Privat + Gewerbe/Industrie), bei denen bisher keine Belege eingereicht bzw. Reinvestitionen getätigt wurden (Wiederaufbau und behördliche Genehmigungen fehlen) noch offen.
Bei der Zurich sei die „überwiegende Masse der Ahrtal-Schäden vollständig reguliert und abgeschlossen“. Die Huk-Coburg, die Schadenzahlungen in Höhe von 235 Mio. Euro vornahm, bezeichnet einen „überwiegenden Teil der Schadenfälle“ als abgeschlossen. Bei der DEVK seien „nur noch wenige Fälle, die offen sind“, etwa 2 Prozent der betroffenen Wohngebäudeschäden. Von der Axa heißt es, dass bei denjenigen Fällen, die noch nicht vollständig geschlossen sind (weniger als 15% Prozent), man bereits große Teile des Schadens reguliert oder hohe Vorauszahlungen geleistet (mehr als 80% bereits ausgezahlt) habe.
Doch die Anwälte der Versicherungsnehmer verweisen stets darauf, dass überwiegend kleine Schäden abgeschlossen seien. Außerdem heißt es ferner nicht, dass die abgeschlossenen Fälle auch stets zur besten Zufriedenheit des Kunden reguliert wurden.
So führt die Debeka, die im Zusammenhang mit dem Sturmtief „Bernd“ bislang 60 Mio. Euro an Kunden ausbezahlte, noch 142 offene Schäden in der privaten und gewerblichen Sachversicherung sowie der Kfz-Versicherung, mit einem Kunden gab es rechtliche Auseinandersetzungen. Signal Iduna, die Schäden vor Rückversicherung auf 262,6 Millionen Euro beziffert, spricht von „Einzelfällen“, angesichts der Gesamtzahl der „Bernd“-Schäden liege der Anteil gerichtlicher Streitverfahren im niedrigen Promille-Bereich. Die Huk-Coburg liege diese „in einem sehr geringen Prozent-Bereich“. Die DEVK spricht von „wenig“ geführten Prozessen. Die LVM Versicherung, die mit einem Schadenaufwand von 280 Mio. Euro rechnet, zählt bis heute 0,4 Prozent von den Fällen, in denen eine gerichtliche Überprüfung stattgefunden hat.
Bei der Axa Deutschland gab es 22 Klagen bei 16.000 Schäden, bei der Ergo gab es zwei Klagen, in denen es um die Schadenhöhe ging, nicht um die Deckung. Die Alte Leipziger, die ein Bruttoschadenaufwand in Höhe von 68,5 Mio. Euro ausweist, nennt vier gerichtliche Auseinandersetzungen, drei davon seien abgeschlossen. Die Provinzial und die R+V nennen keine genauen Zahlen zu gerichtlichen Verfahren, ebenso die Generali, die bei den „Bernd“-Schäden mehr als 13.000 Schäden verzeichnete.
Autor: David Gorr