DSGVO-Analyse: Versicherer müssen laut BGH fast alle Kundendaten preisgeben
In welchem Maß muss ein (Lebens-)Versicherer gegenüber einem Kunden nach der DSGVO Daten preisgeben? Mit dieser Frage hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt und die Grenzen für die Branche sehr schmerzhaft gezogen. Obwohl viele entscheidende Fragen offen bleiben, ist es ein wichtiges Urteil für alle Versicherer, weiß die analysierende Expertin.
Der Inhaber einer Lebensversicherung hat von seiner Versicherung Auskunft über seine persönlichen, gespeicherten Daten gefordert. Die gelieferten Auskünfte hielt er nicht für vollständig. Er ist der Meinung, sein Anspruch umfasse „sämtliche bei der Versicherung tatsächlich über ihn vorhandenen Daten“, analysiert Rechtsanwältin Kirsten Wolgast, Partner bei Pinsent Masons. Der Gesamtanspruch des Kunden war umfassend: „interne und externe Korrespondenz, interne Telefon- und Gesprächsnotizen inklusive sonstiger interner Vermerke“. Darüber hinaus „interne Bewertungen zu den von ihm in Bezug auf den Versicherungsvertrag geltend gemachten Ansprüchen“.
Das Landgericht Köln hatte einen „derart weitreichenden Auskunftsanspruch“ verneint. Dieser umfasse nach Artikel 15 DSGVO nicht „sämtliche internen Vorgänge einer Versicherung“, also beispielsweise Vermerke oder der „sämtliche interne Schriftverkehr“. Ebenso wenig wären zurückliegende Korrespondenz der Parteien, interne Bearbeitungsvermerke oder das Prämienkonto zum Versicherungsverlauf umfasst. Die Begründung für diese dem Wortlaut des Artikel 15 DSGVO „widersprechende Auslegung“ erschien allerdings „wenig überzeugend“, analysiert Wolgast.
Wohl aus diesem Grund hat der BGH dem LG Köln eine Absage erteilt. Der Auskunftsanspruch nach Artikel 15 DSGVO sei „grundsätzlich umfassend“ und beziehe sich „grundsätzlich auf alle gespeicherten beziehungsweise verarbeiteten Daten“, die „mit dem Betroffenen verknüpft werden können“. Er schließt somit „grundsätzliche interne Unterlagen“ und die „mit dem“, aber auch „über den Betroffenen“ geführte Korrespondenz mit ein.
Alles aufdecken?
Interessant sei allerdings, auf „welche Weise der BGH gleichwohl Grenzen des Auskunftsanspruchs aufzuzeigen scheint“, schreibt Wolgast. Neben einer möglichen Beschränkung nach Ausnahmevorschriften der DSGVO und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) führe er nämlich Weiteres aus.
Wenn der Versicherungsnehmer auch Auskunft über die „internen Bewertungen der Versicherung zu den von ihm geltend gemachten Ansprüchen aus der streitgegenständlichen Versicherungspolice verlange“, sei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu beachten. Nach dessen Rechtsprechung könnten rechtliche Analysen zwar personenbezogene Daten enthalten, „die auf der Grundlage dieser personenbezogenen Daten vorgenommene Beurteilung der Rechtslage selbst“ aber „keine Information über den Betroffenen und damit keine personenbezogenen Daten darstelle“. Weiterhin hätten auch „Daten über Provisionszahlungen an Dritte“ nach den vom EuGH entwickelten Kriterien keinen Bezug zur Person des Versicherungsnehmers.
Offenbar wollte aber auch der BGH die Auskunftspflicht begrenzen. Das Gericht wollte der Versicherungsbranche nicht die Herausgabe von Daten auferlegen, mit denen sie „möglicherweise offenbaren würde“, dass sie die „Ansprüche des Versicherungsnehmers für begründet hält“, oder die die „Verdienstmöglichkeiten in Bezug auf den Vertrieb der Versicherungspolice“ aufzeigen würden, schreibt Wolgast. Der BGH berufe sich insoweit auf die Rechtsprechung des EuGH, dem das „letzte Wort“ bei der Auslegung der DSGVO zusteht.
Künstliche Auffassung?
„Zweifelhaft“ erscheine dieser Ansatz dennoch. Dass das Ergebnis einer rechtlichen Analyse von dem Sachverhalt getrennt zu betrachten und daher mit der Person des Versicherungsnehmers nicht mehr verknüpft ist, scheine doch eine „eher künstliche Aufspaltung“ zu sein, erklärt Wolgast.
Der Dritte, dem Provisionszahlungen zugeflossen sind, dürfte über die „Einzelheiten der Versicherungspolice informiert gewesen sein“. Zudem sei kaum vorstellbar, dass die Provisionszahlungen „nicht auch von den Details der Versicherungspolice“ abhingen. Soweit also Informationen über solche Zahlungen bei der Versicherung gespeichert sind, sind auch diese mit der Person des Versicherungsnehmers verknüpft. Es spricht also viel dafür, dass auch „diese Informationen von der Auskunftspflicht grundsätzlich umfasst sind“.
Möglich wäre laut Wolgast aber „vielleicht“ die „rechtliche Bewertung und die Höhe der Provision als Informationen aufzufassen“, die geheimhaltungsbedürftig sind. Deren Offenbarung könnte, jedenfalls im Fall der Provision, auch die „Rechte Dritter“ beeinträchtigen, sodass diese Informationen bei der Auskunft „geschwärzt werden dürfen“.
Interessant sei die Feststellung des BGH, dass der Auskunftsanspruch im Sinne von Paragraf 362 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) „grundsätzlich erfüllt sei“, wenn der Auskunftsschuldner bei Erteilung einer Auskunft „erklärt, dass die Auskunft vollständig ist“ oder wenn sich dies aus seiner Erklärung „ableiten lässt“. In diesem Fall kann nach dem BGH der Verdacht, dass die erteilte Auskunft unrichtig oder unvollständig ist, einen Anspruch auf Auskunft im weitergehenden Umfang „nicht begründen“, erklärt die Expertin für Datenrecht.
Es „bleibe offen“, ob dem Antragssteller die Nachfrage nach „Vollständigkeit der Daten“ per Anfrage oder eidesstattlicher Versicherung, abgeschnitten ist; auch wenn ein solcher Verdacht „nachweislich begründet ist“. Unklar sei zudem, unter welchen Umständen und inwieweit der Schuldner eines Auskunftsanspruchs nach Artikel 15 DSGVO vom Anspruchsberechtigten verlangen kann, dass dieser präzisiert, welche Informationen er konkret haben möchte.
Insoweit hatte das Bundesarbeitsgericht in einem Fall, in dem ein Betroffener einen Auskunftsanspruch gegen seinen ehemaligen Arbeitnehmer geltend gemacht hatte, kürzlich entschieden, es brauche im Antrag eine Konkretisierung, da ein entsprechendes Urteil „anderenfalls nicht vollstreckbar sei“.
Den gesamten Text von Frau Wolgast und Informationen zur Person finden Sie hier.
Autor: VW-Redaktion