PKV: BGH schafft bei Rückforderungsansprüchen nach einer Prämienanpassung klare Fakten
Ist es ein Erfolg für die PKV? Der Bundesgerichtshof hat in einem Fall einen möglichen Anspruch auf Rückzahlung der bis zum 31. Dezember 2014 gezahlten Erhöhungsbeträge als verjährt angesehen. Zudem hat er konkretisiert, welche formellen Ansprüche eine Beitragsanpassungsmitteilung erfüllen muss. Die Axa ist zufrieden, doch das Urteil setzt betroffene PKV-Kunden unter Zeitdruck. Die Folge könnte eine Prozesswelle sein.
Es war ein geruhsamer Morgen in Karlsruhe. Die vier Richterinnen und ihr Kollege saßen den BGH-Anwälten der Axa und der Kanzlei Pilz Wesser & Partner sowie einer sechsköpfigen Zuschauerschaft vor. Die coronabedingte Gemütlichkeit soll aber nicht über die Brisanz des Gesagten hinwegtäuschen. Die vorsitzende Richterin sprach zu Beginn des Prozesses davon, dass jeder Fall im Zusammenhang mit PKV-Beitragserhöhungen derart komplex und einzigartig ist, dass sie so etwas „in Serie noch nie erlebt“ habe. Der aktuelle Prozess bildete keine Ausnahme.
Der Fall
Der Kläger hatte sich gegen mehrere Beitragserhöhungen in den Jahren 2008, 2009, 2013 und 2016 gewandt, die sein privater Krankenversicherer Axa vorgenommen hatte. Die Beitragserhöhungen seien wegen unzureichender Begründungen im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG unwirksam. Er forderte mit seiner im Jahr 2018 erhobenen Klage zuletzt u.a. die Rückzahlung der auf die Beitragserhöhungen vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2017 gezahlten Prämienanteile.
Das Landgericht hatte seiner Klage stattgegeben und den beklagten Versicherer u.a. antragsgemäß zur Rückzahlung der gezahlten Erhöhungsbeträge verurteilt. Das Oberlandesgericht änderte dies teilweise und hatte die Beklagte u.a. nur zur Rückzahlung der vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2017 geleisteten Erhöhungsbeträge verurteilt. Nach Auffassung des Berufungsgerichts seien weitere Beitragszahlungen, die bis Ende 2014 erfolgt seien, nicht zurückzuerstatten, da insoweit Verjährung eingetreten sei. Beide Parteien waren unzufrieden und zogen vor den BGH.
Die Begründung
Der Bundesgerichtshof hat zugunsten der Axa entschieden. Die Erhebung einer Klage war jedenfalls dann nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage bis zur Klärung durch den Bundesgerichtshof „unzumutbar“, wenn der Versicherungsnehmer gleichwohl bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch selbst zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen.
Der Beginn der Verjährungsfrist für Ansprüche auf Rückzahlung erhöhter Beiträge war daher nicht bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs hinausgeschoben. Der IV. Zivilsenat hatte zuvor mit einem Urteil (IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56,) über die Anforderungen an die Begründung einer Prämienanpassung entschieden.
Der Kläger erlangte laut Gericht die für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis vom Fehlen des Rechtsgrundes für die Zahlung der Erhöhungsbeträge mit Erhalt der seiner Ansicht nach formal unzureichenden Änderungsmitteilungen. Dagegen sei es für den Beginn der Verjährungsfrist ohne Bedeutung, ob er mit dem Zugang der Änderungsmitteilungen auch Kenntnis von den Tatsachen hatte, aus denen die von ihm ebenfalls geltend gemachte materielle Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen folgen könnte. Eine erneute Kenntnisnahme vom Fehlen desselben Rechtsgrundes aus weiteren Gründen setze „keine neue Verjährungsfrist in Gang“.
Das Berufungsgericht hat daher zu Recht die Rückzahlungsansprüche für die bis zum 31. Dezember 2014 geleisteten Erhöhungsbeträge für verjährt gehalten, urteilte die Richterin. Während die Revision des Klägers deswegen insgesamt zurückgewiesen wurde, hatte die Revision der Beklagten zu nicht die Verjährung betreffenden Fragen teilweise Erfolg und führte insoweit zur Abänderung des Berufungsurteils.
Weiter hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dort soll die materielle Rechtmäßigkeit der Prämienanpassungen aus den Jahren 2008, 2009 und 2013 im Hinblick auf die nicht in verjährter Zeit gezahlten Erhöhungsbeträge geprüft werden.
Axa zufrieden
Mit seinen aktuellen Urteilen folgt der BGH laut Axa „seinen Grundsatzentscheidungen vom 16.12.2020“ – siehe Urteil oben. In dieser habe er „im Interesse aller Beteiligten konkretisiert“, welche formellen Anforderungen eine Mitteilung zur Beitragsanpassung für Versicherte erfüllen muss. Damit hatte das Gericht laut Axa bestätigt, dass die Mitteilungen zur Beitragsanpassung, die AXA seit 2017 versendet, „diesen Anforderungen entsprechen und damit wirksam sind“.
Darüber hinaus habe der BGH mit seinen heutigen Entscheidungen die „formelle Wirksamkeit der Beitragsanpassungen aus den Jahren 2008, 2009 und 2013 festgestellt“. In Verbindung mit einer weiteren BGH-Entscheidung vom 20.10.2021, „die auch die formelle Wirksamkeit der BAP 2012 festgestellt hatte“, gibt es für alle Beteiligten nun Sicherheit darüber, dass „die meisten Beitragsanpassungen der vergangenen 10 Jahre wirksam waren“.
Zum Thema Rückforderung sagt die Axa: „Demnach gilt für etwaige Rückforderungsansprüche eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Wir begrüßen die Entscheidung des BGH, da sie allen Beteiligten Rechtssicherheit in dieser hochkomplexen Frage gibt.“ Wichtig ist, dass die Urteile des BGH vom 17.11.2021 in Zivilverfahren ergangen sind und daher „ausschließlich zwischen den beteiligten Parteien wirken“.
Prozesslawine voraus?
Da die Ansprüche verjähren, müssen betroffene PKV-Versicherte nun tätig werden. „Der BGH hat entschieden, dass Zahlungsansprüche, die auf formellen Mängeln der Prämienanpassung beruhen, innerhalb von 3 Jahren, jeweils gerechnet zum Ende des Jahres in dem die Zahlung erfolgte, verjähren“, schreibt Anwalt Knut Pilz. Um einer teilweisen Verjährung von Rückforderungsansprüchen entgegenzuwirken, müssen Versicherungsnehmer „daher noch in diesem Jahr ihre Ansprüche rechtshängig machen“.
Überdies lässt sich laut Pilz aus der BGH-Entscheidung entnehmen, dass Prämienanpassungen, auch wenn sie deutlich länger als 3 Jahre zurückliegen, „gerichtlich überprüft werden können“ und dem Versicherungsnehmer hierauf beruhende Rückzahlungsansprüche „zustehen können“.
In anderen Worten: Es werden weitere Prozesse folgen.
Autor: Maximilian Volz
Wenn es jetzt in jährlich z.B. 1.000 Klagefällen gegen Private Krankenversicherer um im Schnitt 5 zunächst formal wirksame Beitragsanpassungen diverser Tarife geht, bei denen nun die materielle Wirksamkeit geprüft werden muss, bedeutet dies:
1.000 versicherungsmathematische Gerichtsgutachten jährlich. Bei etwa 2.000 EUR Gutachterkosten je Anpassung kommt dies auf 10.000 EUR Gutachterkosten je Klage für vom Gericht beauftragte Sachverständige. Mithin wären dies 10 Millionen EUR im Jahr. Rechnet man nun 250.000 EUR Einnahmen daraus pro Gutachter (was diesen in etwa neben anderem voll auslasten würde), braucht man 40 Sachverständige für Versicherungsmathematik in der Privaten Krankenversicherung, die fast nichts anderes dann mehr machen.
Bei teils nur etwas „nebenberuflicher“ Tätigkeit von Professoren oder einem Dutzend Treuhänder werden wohl noch etwas mehr benötigt.
Fragt man deshalb bei der Deutschen Aktuarvereingung an, die eine Liste von Sachverständigen aus ihren Reihen führt, nennt diese etwa 20 Personen, die aber fast alle wohl bereits anderweitig mehr oder weniger gut ausgelastet sind.
Alleine der Aktenumfang inklusive der zu begutachtenden versicherungsmathematischen Berechnungsgrundlagen umfasst dann für einen solchen Fall zwischen ab 5 kg und bis zu mehr als 35 kg. Dazu kommen dann Stellungnahmen in Form 1. und 2. Ergänzungsgutachten zu möglichen Einwendungen und Fragen, mündliche Anhörungen, auch Klageerweiterungen um zwischenzeitlich über die Jahre bis zu einer Entscheidung erfolgte weitere Beitragsanpassungen.
Heute schon teilen angefragte Sachverständige dem Gericht mit, dass sie vor 12 Monaten schon gar nicht dazu kommen werden.
Dazu kommt, dass regelmäßig auch ggf. beide Parteien je nach ihren bisherigen Erfahrungen versuchen, die Beauftragung mancher Sachverständiger auch durch Befangenheitsanträge zu verhindern.
Das Thema dürfte daher noch ein paar Jahrzehnte erhalten bleiben.