Baden-Baden-Bilanz: Steigen die Kundenprämien wegen der Rückversicherung?

Erneuerungsgespräche in Baden-Baden. Bildquelle: mv

In Zeiten niedriger Zinsen und steigender Naturgefahren wird die  Rückversicherung immer wichtiger. Der Schutzmantel hält den Versicherern allzu hohe Schäden vom Leib, ist aber auch ein erheblicher Kostenfaktor. Doch die Absicherung kann nicht neben schützen auch als Geldquelle und Reportingstütze dienen. Doch trotz all dieser Fähigkeiten gilt, bei hohen Corona- und Klimaschäden muss am Ende jemand die Kosten tragen.

Um die Rückversicherung kommt niemand herum, wie auch die Allianz weiß. Statt auf Klein-Klein setzen die Münchener auf umfassende Lösungen, erklärt Thorsten Fromhold, Leiter Portfolio-Management & Retrozession bei Allianz Re. Das Modell seines Unternehmens sei mit einer „Captive-Rückversicherung vergleichbar“, insofern als dass „wir die Risiken der einzelnen Allianz-Gesellschaften bündeln und (rück)versichern“. Bereits seit 2013 platzieren die Münchener ein weltweites Rückversicherungsprogramm. Den Schwerpunkt bilden Großschäden aus Naturkatastrophen und speziell „Windstürme in Westeuropa“. Auch „menschlich verursachte Großschäden“ sind enthalten.

Die Rückversicherungsstrategie verfolgt zwei Ziele, erklärt Fromhold.  Zum einen das Volatilitätsmanagement, denn „gemäß der Risikobereitschaft der Gruppe kann durch die externe Rückversicherung die Höhe der Ergebnisvolatilität gesteuert werden“. Zum anderen lässt sich der maximale Allianz-Nettoverlust „genau und unmittelbar nach einem Schadensereignis bestimmen“, was das Reporting erleichtert.

Der Bruder des Reportings heißt Solvency. Das Regelwerk schreibt zwar keine RV-Quoten vor, sehr wohl aber den Kapitalbedarf des Unternehmens in den Sparten, der mittels Rückversicherung beeinflusst werden kann. „Aufgrund der breiten globalen Diversifikation des Allianzkonzerns halten sich die eigenkapitalmindernden Effekte der extern eingekauften Rückversicherung in Grenzen. Daher wurde über die letzten Jahre der Fokus deutlich auf Reduktion der Ergebnisvolatilität gesetzt“, erklärt Fromhold.  Im Fokus standen auch die Bestimmung des maximalen Nettoverlustes im Schadenfall und somit eine „rasche und verlässliche Kommunikation“.

Zahlen-Zauberei

Die Rückversicherung  soll vor Schaden schützen, kann aber auch Geld in die zinsdürregeplagten Kassen spülen. Im aktuellen Zinsumfeld nutzen Häuser die Rückversicherung, um das Gewinnpotenzial in den eigenen Selbstbehalt zu holen, anstatt es an den Rückversicherungsmarkt abzugeben. Im Grunde ist es eine Wette, ein höherer Selbsterhalt zahlt sich dann aus, wenn es zu weniger Schäden kommt als prognostiziert. Damit das aufgeht, nutzen längst nicht nur Rückversicherer die Dienste eines Risikomodellierers wie Risk Management Solutions (RMS). Die Cat(astrophe)-Modelle liefern einen gegenwärtigen bis kurzfristigen Ausblick darüber, welche Folgen Wetterrisiken (z.B. Flut oder Windsturm) haben könnten. „In der Regel interessieren sich Versicherer für eine Perspektive von einem bis zu fünf Jahren. Unsere Cat-Modelle sind probabilistisch (Wahrscheinlichkeit berücksichtigend) entwickelt. Sie zeigen anhand von Millionen an Szenarien auf, was heute oder morgen passieren könnte“, erklärt Laurent Marescot, Insurance Catastrophe Risk Management Expert bei RMS. Konkurrenzlos sind die Risikomodellierer in ihrem Tun nicht, denn große Häuser haben längst selbst Kapazitäten ausgebaut. So verfügt die Allianz über eine „Experten-Abteilung im Bereich Naturkatastrophen“. Die Mitarbeiter geben den Einheiten innerhalb der Gruppe das „technische Pricing für eine Vielzahl von Naturgefahren an die Hand.“

Die vielwissenden Makler

Nach wie vor spielen Broker auf dem Rückversicherungsmarkt eine große Rolle. Sie stehen zwischen dem Kunden und Unternehmen, allerdings deutlich näher beim Erstgenannten. Geschätzt werden sie besonders für ihre Detailkenntnis. „Wir glauben, dass Broker vor allem durch ihre Analyse- und Beratungsdienstleistungen, die auf ihren Marktkenntnissen basieren, einen großen Mehrwert schaffen können. Ohne sie würden wir eine wichtige Informationsquelle verlieren, die für uns entscheidend ist, um unser Geschäft effektiv zu platzieren“, erklärt Fromhold den Nutzen.

Das klingt nicht danach, als würde der (Rückversicherungs-)Broker aussterben, wie viele tech-affine Menschen gerne behaupten. Die technische Entwicklung werde den Mittelsmann zwischen Kunde und Unternehmen obsolet werden lassen, war und ist oft zu hören. Die Allianz glaubt, dass es „immer eine Rolle für den Broker geben wird“. Es sei aber wahrscheinlich, dass sich ihre Rolle „weg von reinen Vermittlungen hin zu einer beratenden Rolle“ entwickeln wird. Das glaubten auch viele Teilnehmer auf dem Reinsurance Summit 2021 in Baden-Baden. Ein Ergebnis der weiterhin zentralen Maklerstellung in Verbindung mit einem veränderten Aufgabenumfeld ist die Fusions- und Übernahmewelle auf dem internationalen Brokermarkt, den ironischerweise die gescheiterte Fusion von AON und Willis mitauslöste.

Die Allianz setzt bei ihrer Rückversicherung auf eine Mischung aus Broker und jahrelangen Beziehungen. „Die Platzierung der Rückversicherungsprogramme erfolgt sowohl über Broker als auch mit einem direkten Panel an Rückversicherern. Insgesamt hat die Allianz-Gruppe bei rund 50 verschiedenen Rückversicherern Programme platziert, darunter sind ungefähr zehn strategische Rückversicherungspartner.“ Die Allianz Re ist, bei einigen Ausnahmen, der primäre Rückversicherer für alle Gesellschaften des Konzerns. Sie bündelt die Risiken und kauft „gesamthaft Rückversicherungsschutz“. Somit übernimmt die „Re“ eine Brokerrolle und „kooperiert trotzdem eng“ mit „verschiedenen etablierten“ Maklern.

Die Alternativen

Eine Möglichkeit für die Reduktion von Rückversicherungskosten sind insurance-linked securities (ILS) oder coinsurance. Im ersten Fall werden Risiken verbrieft und an den Markt abgegeben, bei der Kooperation schließen sich mehrere Versicherer zusammen, um gemeinsam ein Risiko abzusichern. Ein Beispiel ist die Absicherung eines Flugzeugabsturzes im Bereich „Avion“, was einen zusätzlichen Rückversicherungspartner aber nicht ausschließt. Ein Ort für ILS-Geschäfte ist Lloyd’s of London, die zuletzt wieder Gewinn erwirtschafteten. Die Allianz ist bei Alternativen zur Rückversicherung eher konservativ, aber immer gesprächsbereit. „Die meisten unserer tatsächlichen Platzierungen erfolgen auf traditioneller Basis, aber wir halten den Dialog mit den ILS-Märkten stets aufrecht und beobachten die jeweiligen Entwicklungen.“ Für diese Märkte werde es immer Potenzial geben, aber es müsse „wirtschaftlich sinnvoll“ sein.

In Baden-Baden war das allgemeine Stimmungsbild, dass die Rückversicherungspreise steigen werden, was je nach Rückversicherungsstruktur Einfluss auf die Kundenprämien und damit den Vertrieb hat. Eine Entwicklung, die Experten wie Fromhold nicht entging.  „Insbesondere im Bereich der Sachversicherung waren die Preise hauptsächlich aufgrund der Pandemiekrise gestiegen. Obwohl Pandemie als mögliches Szenario auf dem Radar war, war es in seiner umfassenden Reichweite auf der ganzen Welt und seinen massiven Auswirkungen auf alle Bereiche des Geschäfts- und Privatlebens beispiellos.“ Da Anpassungen vorgenommen wurden, um dieser Situation Rechnung zu tragen, „hat sich der Anstieg der Preise inzwischen abgeflacht“.

Die Münchener erwarten im Rahmen der Vertragserneuerungen einen „intensiven Austausch mit den Rückversicherern zur Vorhersagegenauigkeit der Naturgefahrenmodelle“. Etwaige Erkenntnisse wirken sich gegebenenfalls „korrigierend“ auf Rückversicherungspreise und somit „indirekt auch auf die des Erstversicherers“ aus.

Das ist eine schöne Umschreibung für den Fakt, dass am Ende jemand die Corona- und Klima-Zeche zahlen muss.  

Autor: Maximilian Volz

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