DFV-Chef Stefan Knoll: „Österreich ist ein Testfeld für internationale Expansionspläne“

Stefan Knoll, CEO der DFV. Quelle: DFV

Anfang Juli 2021 sorgte die Deutsche Familienversicherung mit der Expansion nach Österreich und Kombiprodukt „DFV-KombiSchutz“ erneut für Aufmerksamkeit. Im Exklusiv-Interview spricht CEO Stefan Knoll über die aktuellen Pläne und die „äußerst positive Geschäftsentwicklung“.

VWheute: Die Q1-Zahlen zeigen einen Rückgang bei der Stückzahl von Verträgen gegenüber dem Vorjahr, gleichzeitig stiegen die Bruttobeiträge. Sie sprechen von einer „äußerst positiven Geschäftsentwicklung“. Können Sie das bitte ausführen?

Stefan Knoll: Gerne. Wir sind gut in das Jahr 2021 gestartet und das, obwohl sich Deutschland in den ersten drei Monaten des Jahres noch in einem harten Lockdown befunden hat. Die „äußerst positive Geschäftsentwicklung“ als Resümee der Quartalsergebnisse begründe ich damit, dass wir in allen wesentlichen Kennziffern über dem Zeitziel und damit über den zeitanteiligen Erwartungen liegen. Und zu diesen wesentlichen Kennziffern gehört das Beitragsvolumen des Neugeschäfts mit einem Beitragsvolumen von knapp 7,9 Mio. Euro. Dass wir ein solches Ergebnis trotz weniger Neu-Stück als im Vorjahr realisiert haben zeigt, dass der Beitrag pro Neuvertrag deutlich gestiegen ist. Weil wir im ersten Quartal um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen sind und dabei auch noch ein positives versicherungstechnisches Ergebnis von 1,6 Mio. Euro realisiert haben, finde ich die Formulierung „äußerst positiv“ durchaus passend.

VWheute: Im ersten Quartal gab es besonders bei den Krankenzusatzversicherungen einen Rückgang im Gegensatz zum Vorjahr. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?

Stefan Knoll: Saisonale  Veränderungen veranlassen nicht zur Sorge. Entscheidend ist, was am Ende rauskommt. Und wir werden dieses Jahr ein ähnliches Neugeschäft realisieren wie letztes Jahr. Aber es ist auch Teil unserer Strategie, mehr Sachgeschäft zu generieren, um das Unternehmen breiter aufzustellen und das ist uns gelungen. Einen großen Anteil daran hat übrigens unsere Tierkrankenversicherung, die wir im Mai 2019 eingeführt haben. Trotz steigenden Wettbewerbes reklamieren wir heute einen Marktanteil von neun Prozent beim Neugeschäft.

VWheute: Laut Eigenaussage läuft der „digitale Vertriebsmotor trotz Pandemie auf Hochtouren“. Mit welchem Benzin wollen Sie ihn künftig befüllen, was ist werbe- und produkttechnisch geplant – bei der Q1-Konferenz waren Sie ungewohnt unspezifisch.

Stefan Knoll: Zunächst hat die Pandemie gezeigt, dass der, der keinen funktionierenden online-basierten Vertrieb hat, mit erheblichen Umsatzeinbußen fertig werden muss. Wenn in etwa 80 Prozent des Neugeschäftes vom Vertriebsweg online kommen, dann ist dies auch ein Beispiel für die Robustheit unseres Vertriebsansatzes. Und trotz des Schwerpunktes bei online gelingt es uns, die durchschnittlichen Beiträge pro Vertrag zu steigern und so die pandemiebedingten Ausfälle bei der Auslandskrankenversicherung zu kompensieren.

Wir planen und setzen aktuell vieles um. So haben wir am 30. Juni nicht nur den Markteintritt nach Österreich realisiert, ein neues Kombiprodukt auf den Markt gebracht sowie zwei neue Kooperationen –, mit Lidl und der Hamburger Sparkasse. Letzteres zeigt, dass wir auch im Kooperationsgeschäft ein gefragter Partner bleiben. Und der Markteintritt in Österreich stellt neben der Erwartung an zusätzliches Neugeschäft insbesondere ein Übungsterrain dar, das Aufschluss darüber geben soll, ob sich eine Internationalisierung wirklich lohnt.

VWheute: Mit welchen Maßnahmen wollen Sie Ihr Maklergeschäft voranbringen, wie viel Prozent macht es derzeit aus?

Stefan Knoll:
Das Maklergeschäft macht sehr stabil etwa zehn Prozent unseres Neugeschäftes aus. Leider haben die erforderlichen Beitragsanpassungen in der Pflegezusatzversicherung, die im Wesentlichen auf die Änderungen durch das Pflegestärkungsgesetz II zurückzuführen waren, zu erheblichem zusätzlichen Gesprächsbedarf mit unseren Vertriebspartnern geführt. Im Ergebnis werden wir dem mit dem Aufsetzen neuer Absicherungen im Pflegefall begegnen. Wir haben schon 2012 mit der von uns seinerzeit entwickelten Pflegezusatzversicherung den Markt geprägt und das Produkt der Pflegezusatzversicherung insgesamt qualitativ verbessert. Daran arbeiten wir wieder und das ist auch meine zentrale Antwort auf Ihre Frage.

Weil wir in dem Online-gestützten Vertrieb mehr Zukunft sehen, dürfen wir den Makler, der unser Vertriebspartner ist, nicht alleine lassen. Deshalb müssen wir unsere Angebote an Makler so ausgestalten, dass auch der Makler seinerseits digitale Vertriebsformen mit unseren Versicherungsprodukten aufbauen und nutzen kann.

VWheute: Werden die ambitionierten Ziele 2021 – Profitabilität erreicht? Welche Zwischenziele müssen erfüllt werden?

Stefan Knoll: Hier will ich vorweg schieben, dass das Unternehmen bereits in den Jahren 2012, 2013, 2015, 2016 und 2017 positive Ergebnisse erzielt hat. Insofern ist das, was alle derzeitigen InsurTechs anstreben, bei uns in den besagten Jahren bereits Realität. Der Grund, warum wir seit 2018, dem Jahr des Börsengangs, Verluste schreiben, liegt in der Verdopplung der Vertriebsausgaben begründet, weil wir umgekehrt auch eine Verdopplung des Wachstums im Rahmen des IPO versprochen haben. Und wenn ein Versicherungsunternehmen bei einem Bestand von 75 Mio. Euro 30 Mio. Euro für Vertrieb ausgibt, dann sind Verluste zwangsläufig die Folge. War das Verhältnis von Bestand und Vertriebsausgaben im Jahr 2019 noch in etwa 2:1, so hat sich das Verhältnis inzwischen auf 4:1 verbessert und ab 5:1 ist eine Versicherungsgesellschaft profitabel.

Dieses Jahr werden wir den Verlust auf vier Mio. Euro reduzieren. Das ist unser Zwischenziel und dann freuen wir uns auf 2022, wenn wir an die Zeiten der Profitabilität wieder anknüpfen werden.

VWheute: Die DFV ist sehr umtriebig und Ideenstark, Kampagnen mit ProSiebenSat.1 Digital, CareFlex, Henkel. Muss mal als „Kleiner“ schneller, aggressiver und präsenter sein als andere? Wie muss Progression im digitalen Zeitalter aussehen?

Stefan Knoll: Digitalisierung beginnt beim Produkt. Und um es noch deutlicher zu sagen: Die Innovation bei den Produkten ist die Grundvoraussetzung für jeden Unternehmenserfolg. Aber um Ihre Frage exakt zu beantworten, ist es nicht eine Frage von Größe, ob man aggressiver oder präsenter sein muss als andere und es ist insbesondere keine Frage der Aggressivität. Die Frage, wie innovativ und wie schnell und wie ideenreich man sein muss, hängt ausschließlich von den Ansprüchen ab. Insofern kann sich ein großes Unternehmen ebenso wie ein kleines durchaus eine Behäbigkeit leisten, wenn das Geschäftsmodell und der Anspruch dieses rechtfertigen.

Als wir im Jahr 2007 die Deutsche Familienversicherung gegründet haben, waren wir die erste privat initiierte und finanzierte Gründung eines Versicherungsunternehmens seit mehreren Jahrzehnten. Kein Mensch hat uns gebraucht. Der Markt war verteilt und alle waren zufrieden. Unser Anspruch hingegen war es nicht, ein paar Millionen zu investieren, um dann in der unternehmenstechnischen Bedeutungslosigkeit dahin zu wabern, in der Hoffnung, dass man mit einem unbedeutenden Investment irgendwann einmal Geld verdienen kann. Unser Bestreben war es, so schnell wie möglich ein funktionierendes, schnell wachsendes Versicherungsunternehmen aufzubauen.

Deswegen haben wir auch von Anfang an viel Geld für Vertrieb ausgegeben. Wenn dann die Budgets im Verhältnis zu den anderen knapp sind, muss man wenigstens durch innovative Produkte oder durch überzeugende Produktideen punkten – und genau das ist uns gelungen. Deswegen haben wir CareFlex initiieren können. Da hatte doch die Branche bis dahin zwischen 100 und 250 Jahre Zeit, eine solche Idee zu entwickeln. Also zusammengefasst, wir wollen eine große Versicherungsgesellschaft werden und deswegen müssen wir uns anders einbringen, anders engagieren als andere, die das vielleicht schon sind oder nicht mehr werden wollen.

VWheute: Zwischenfrage: Mit dem Nein der BaFin bei CareFlex waren Sie nicht glücklich. Sind die Wogen mittlerweile geglättet?

Stefan Knoll: Ja.

VWheute: Der 1. Juli 2021 und damit der Start in Österreich wurde umgesetzt. Was sind Ihre Erwartungen und Ziele?

Stefan Knoll: Für uns ist der Eintritt in den österreichischen Markt ein Testfeld für zusätzliche internationale Expansionspläne. Funktioniert der Markteintritt in Österreich, wollen wir in weitere europäische Nachbarländer expandieren. Die Tatsache, dass wir in Österreich auf unsere Partnerschaft mit ProSiebenSat.1 Digital zurückgreifen können, zeigt, dass unsere online-basierte und skalierbare Vertriebsplattform ein Wettbewerbsvorteil für Eintritte in andere europäische Märkte darstellt. Das ist die Stärke unseres digitalen Geschäftsmodells.

VWheute: Mit welchen Herausforderungen in Österreich rechnen Sie, welche Ziele haben Sie?

Stefan Knoll: Ehrlich gesagt mit den gleichen Herausforderungen wie in Deutschland. Ich weiß ja wie es ist, in einen „neuen“ Markt einzutreten. Der Vertriebsstart im Jahr 2007 war im Grunde genommen ja auch nichts anders als ein Markteintritt. Wir wissen also wie das geht. Und hier bin ich auch Europäer: Für mich gibt es, als hessischer Unternehmer, keinen Unterschied zwischen Bayern und Frankreich oder Baden-Württemberg und Italien. Es handelt sich um einen europäischen Binnenmarkt mit enormen Potenzialen und einem einheitlichen Passporting. Wer meine DNA kennt weiß, dass ich diese Potenziale nutzen möchte.

VWheute: Welche Möglichkeiten hat eine junge AG wie die DFV – jenseits von Ergebnissen – um auf dem internationalen Aktienmarkt bekannter zu werden und den eigenen Kurs zu beeinflussen?

Stefan Knoll: Wir müssen weiter an Produktinnovationen arbeiten, digitale Trends setzen und unseren Wachstumskurs fortsetzen. Der Markt muss verstehen, dass wir um 25 Prozent pro Jahr wachsen, während die Branche um zwei bis drei Prozent wächst. Aber ich gebe zu, dass ich mit der Bewertung des Unternehmens nicht zufrieden bin. Der deutsche Kapitalmarkt hat noch immer nicht erkannt, dass es eine gewaltige Leistung ist, im wachstumsschwachen Versicherungsmarkt so deutliche Zuwächse zu erzielen wie wir.

Und es geht nicht nur um Wachstumsraten in ihrer absoluten Größe. Es geht darum, dass wir in Sach und Kranken praktisch die gesamte Produktpalette anbieten, die ein Privatkunde typischerweise nachfragen kann. Ausnahmen sind derzeit lediglich die Autoversicherung und die Wohngebäudeversicherung. Wir wickeln im Jahr rund 140.000 Schäden ab und wir sind, was die Produktzusammensetzung anbelangt, viel komplexer aufgestellt als alle anderen sogenannten InsurTechs und Neugründungen am deutschen Markt. Wir sind eben nicht nur eine Vertriebsbude. Wir sind ein vollwertiges Versicherungsunternehmen, das sich den gleichen Herausforderungen stellen muss wie alle anderen in der Branche, die zwischen 250 und 100 Jahre alt sind. Deswegen können wir auch Kooperationen wie KKH, Henkel, Lidl, HaSpa, um einige zu nennen, realisieren. Wir unterscheiden uns, abgesehen von unserer Innovationskraft und dem Vorsprung in der Digitalisierung, nur noch in der Größe von der etablierten Konkurrenz.

Und wir sind das erste börsennotierte InsurTech, das international tätig ist. Ich gebe zu, dass der österreichische Markt vielleicht für sich genommen noch nicht besonders international anmutet. Aber man darf nicht vergessen, dass die Abbildung eines anderen Landes, eines anderen Aufsichtssystems, eines anderen VAG und VVG in die bestehenden IT-Systeme vom Aufwand her identisch ist, als wenn wir in ein europäisches Flächenland gegangen wären. Österreich ist für uns das Übungsterrain. Wenn das funktioniert, machen wir in Europa weiter, denn IT-technisch müssen wir nur noch eine andere Sprache in die Systeme einpflegen.

VWheute: 2021 wird für die DFV ein Erfolg, weil was eintreten wird?

Stefan Knoll: Weil wir halten, was wir versprechen. Den Markteintritt in Österreich haben wir bereits realisiert. Ein neues Kombiprodukt, den DFV-KombiSchutz mit Beitrags-Flatrate, haben wir ebenfalls am 30. Juni eingeführt. Den Rest des Jahres arbeiten wir daran, die Wachstumsrate aus dem Vorjahr, plus 25 Prozent, erneut zu erreichen, entwickeln das Globalprodukt und bereiten die Gründung neuer Risikoträger für 2022 vor. Im Übrigen werden wir trotz dieser enormen Vorhaben im Jahr 2022, erstmals seit 2017, wieder profitabel sein. Ich freue mich auf die nächsten Jahre und habe noch viele Ideen!

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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