VersicherungswirtschaftClub: „Für die nachhaltige Sicherung der Zukunft braucht es den langen Atem der Versicherer“

Bafin-Direktor Frank Grund sieht die rechtlichen Grundlagen für Provisionsrichtwerte gegeben. Quelle: BGV/ Uli Deck.

Die Zukunft kommt früh genug; wissen die Branchengrößen Grund, Liverani, Hanning, Rollinger und Niroumand. Im VersicherungswirtschaftClub diskutierten sie unter coronagerechten Bedingungen lebhaft über die Bewegungsrichtung der Branche; ist ein Versicherer in einem Ökosystem besser Produktschmied oder Kreator und wie weit soll oder muss Automatisierung gehen? Die Meinungen divergieren. In die Zukunft wollen alle, aber auf unterschiedlichen Wegen.

Der insurtechbeschlagene Vertriebsvorstand der gastgebenden BGV Badische Versicherungen, Moritz Finkelnburg, setzte in seiner pointierten Eröffnungsrede kleine, wohlgemeinte Nadelstiche und gab die Richtung der Veranstaltung vor. Die Insurtechs hätten die Branche technisch, im Auftritt sowie im Kundenverständnis verändert, möglicherweise fehle es den Etablierten an der nötigen Digitalisierungs- und Automatisierungsfähigkeit? – der Startschuss für die Diskussion zum 75-jährigen Bestehen der Zeitschrift Versicherungswirtschaft war gefallen.

Moritz Finkelnburg, Vertriebsvorstand der BGV. Quelle: BGV / Uli Deck

Die Branche hatte bereits vor der Corona-Krise eine „gute digitale Grundlage“, die zuvor einfach wenig genutzt wurde, erklärte Zeliha Hanning, Vorstandsvorsitzende Württembergische Versicherung.

Zeliha Hanning, Vorstandsvorsitzende Württembergische Versicherung. Quelle: BGV / Uli Deck

Dies ist auch die Sicht von Norbert Rollinger, Vorstandsvorsitzender R+V Konzern. Allerdings schränkte er ein, dass die Pandemie gezeigt habe, wo die Grenzen von Technik liegen. So seien Aspekte wie Kreativität, Innovation und Integration neuer Mitarbeiter digital weit schwieriger als im persönlichen Kontakt. Der Begriff Digitalisierung wäre generell zu breit, es gehe vor allem um Automatisierung. Den Ball griff  Finleap-CEO Ramin Niroumand auf; eine „wirkliche Automatisierung“ fehle in der Branche. Auf eine der vielen Zuschauerfragen aus dem Chat ergänzte er im Verlauf der zweistündigen Sendung, dass die zum Finleap Universum gehörenden Unternehmen vermutlich weiter wären als viele Versicherer. Er wolle keine Zahl nennen, doch zur vollständigen Automatisierung fehle bei allen Unternehmen – die von Finleap eingeschlossen –  noch „ein gutes Stück“.

Ramin Niroumand, CEO und Gründer von Finleap. Quelle: BGV / Uli Deck

„Allgemein wäre Automatisierung „nicht überall sinnvoll“, gab Frank Grund, Exekutivdirektor der Bafin zu bedenken. Allerdings besäße eine „hochwertige und sichere“ IT für die Versicherer eine hohe Priorität, die Bafin würde die Fortschritte genau verfolgen.

Frank Grund, Exekutivdirektor der Bafin. Quelle: BGV / Uli Deck

Voll auf den digitalen Zug aufgesprungen ist Giovanni Liverani, Generali-Deutschlandchef, der per Live-Schalte aus Italien an der Präsenzveranstaltung teilnahm. Die Digitalisierung sei der Weg, den Service der Zukunft zu bieten, „den die Kunden zu Recht von den Versicherern fordern“. Er kenne keine Branche, die durch die Breite des Angebots so nah am Verbraucher sei. Damit leitete er direkt zum Thema Ökosysteme über.

Giovanni Liverani, Chef der Generali Deutschland, zugeschaltet aus Italien. Quelle: BGV / Uli Deck

Zulieferer oder Konstrukteur?

Grob lässt sich die Runde beim Thema Ökosysteme in zwei Gruppen einteilen. Auf der einen Seite äußerten Niroumand und Rollinger Zweifel, ob die Branche abseits von der Rolle des Produktgebers in Ökosystemen bestehen kann. „Der Traum ist schön“, erklärte Niroumand, aber die Branche werde eher eine „lukrative Funktion als Zulieferer haben“. Die Versicherer wollen dahin, „wo die Kunden sind“, ergänzte Rollinger, aber bei der Fähigkeit der Unternehmen zum Erstellen eines Ökosystems habe er „Bedenken“, auch wenn das Thema Absicherung ein wichtiger Bestandteil davon sei.

Norbert Rollinger, Vorstandsvorsitzender R+V Konzern. Quelle: BGV/ Uli Deck

Wesentlich optimistischer waren Hanning und Liverani, die der Branche das sehr wohl zutrauen und dabei kräftig helfen möchten. „Wir wollen da hin“, erklärt Hanning selbstbewusst und verwies auf die digitalen Errungenschaften der Württembergischen Vergangenheit wie dem Digitalversicherer Adam Riese. „Ökosysteme sind die Zukunft“, ist sich Liverani sicher, die Versicherer werden diese entscheidend mitprägen. Er verwies auf ein bald erscheinendes Angebot der Generali, bei dem anhand eines Eigenfotos Schlüsse auf die Gesundheit des Kunden gezogen werden können.

Kunden vertrauen Versicherer

Eine der vielen Zuschauerfragen griff das Thema auf und fragte nach der Datengefahr bei digitalen Angeboten und der Akzeptanz der Kunden. Die Teilnehmer der Runde sehen überwiegend keine Probleme. „Wenn ein Kunde 30 Jahre Beiträge in einer Rentenversicherung einbezahlt, vertraut er auch bei der Datensicherheit“, erklärte Liverani. Bei den Versichern gäbe es „keine Datenskandale“ und „keine Datenvermarktung“, ergänzte Rollinger. Auch Niroumand und Hanning sehen die Unternehmen gerüstet. Frank Grund mahnte, nicht auf die Datensicherheit beschränkt, dass die Versicherer in der IT an manchen Stellen noch „Nachholbedarf“ hätten. Die ganzen digitalen Vorhaben müssten „auch umgesetzt werden“.

Am Ende der lebhaften 120 Minuten – durch welche die beiden Moderatoren Michael Stanczyk und David Gorr routiniert führten – war das Fazit der Diskutanten, dass die Branche „digitaler, diverser und nachhaltiger wird“, wie Grund in bester Erzählertradition zusammenfasste.

Michael Stanczyk (links) und David Gorr (rechts). Quelle: BGV / Uli Deck – bearbeitet von der Redaktion

Noch weiter ging Liverani, der durch die „Verbesserung der Lebensqualität der Kunden“ eine Art „neuen Humanismus“ sieht. Zudem ging der Trend ganz klar in Richtung Schadenvermeidung. Die altbekannten Themen wie Solvency II, Provisionsdeckel und Nachhaltigkeit würden die Branche auch in den nächsten „zehn Jahren“ prägen erklärte Hanning. Schlussendlich ginge es allerdings immer darum, „Kundenwünsche zu erfüllen“. Die Strukturen dahinter seien den Kunden egal, erklärte sie in ihrer ersten Panelrunde überzeugend.

Der jetzige Wandel sei der größte der Branche und nur mit dem „nach dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen“, erklärte Rollinger. Das wäre „wahnsinnig spannend“, es gehe um nichts weniger als die „Neuerfindung der Branche“. Den großen Bogen spann Niroumand in seinem Schlusszitat, denn er ging, ganz Finleap, über die Versicherungsbranche hinaus. „Für die nachhaltige Sicherung der Zukunft braucht es den langen Atem der Versicherer“ erklärte er. Damit „manches in europäischen Händen bleibt“, brauche es die Branche.

Schlussfoto mit dem Panel mit BGV-Vorstandsvorsitzenden Edgar Bohn (ganz rechts) Quelle: BGV / Uli Deck

Autor: Maximilian Volz

Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie wissen wollen, was die Manager über die oben genannten Themen und Aspekte wie Talentgewinnung. Corona und BSV gesagt haben, lesen Sie in der nächsten Ausgabe der Versicherungswirtschaft – es lohnt sich.

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