Ergo-Chef Markus Rieß zündet vier Jahre vor Vertragsende noch einmal den Turbo

Markus Rieß. Quelle: Munich Re

Lange Zeit hatte der Versicherer aus Nordrhein-Westfalen massiv mit Skandalen aus der Vergangenheit zu kämpfen. Hinzu kamen niedrige Zinsen, die das einst so lukrative Geschäft mit der Lebensversicherung spürbar einbrechen ließen, und dringender digitaler Nachholbedarf. Ergo-Boss Markus Rieß hat sich davon scheinbar nie beirren lassen. Mit viel Ruhe und aus dem Hintergrund stellte der Manager den Konzern wieder auf die Beine. Mutter Munich Re, die heute ihre Jahresbilanz zeigt, hat gut daran getan, Ergo bei sich zu behalten.

Bilanz: Ergo schließt 2020 mit deutlichem Gewinnplus ab und schließt Strategieprogramm ab

Die Düsseldorfer Konzerntochter Ergo verbuchte 2020 indes ein deutliches Gewinnplus auf 517 Mio. Euro (2019: 440 Mio. Euro). Damit habe der Versicherer sein Strategieprogramm erfolgreich abgeschlossen und das Gewinnziel für das Jahr 2020 von 530 Mio. Euro trotz der Belastungen durch Covid-19 nahezu erreicht, heißt es weiter. Die gesamten Beitragseinnahmen über alle Sparten hinweg sanken sich trotz internationaler Portfoliobereinigung und Auswirkungen von Covid-19 nur leicht auf 18,448 Mrd. Euro (2019: 18.880 Mrd. Euro).

Die Covid-19-bedingten Belastungen summierten sich auf 64 Mio. Euro. Die Combined Ratio lag im Segment Schaden/Unfall Deutschland bei 92,4 Prozent (2019: 92,3 Prozent und lag damit auf Zielniveau von 92 Prozent). Im Segment International war die Quote mit 92,7 Prozent (2019: 94,3 Prozent) sogar besser als geplant (Ziel 2020: 94 Prozent), was die Ergo mit einer geringeren Schadenfrequenz in der Kraftfahrtversicherung begründete.

Als der frühere Deutschlandchef der Allianz im September 2015 an die Konzernspitze der Düsseldorfer rückte, übernahm er praktisch einen Sanierungsfall. „Wir leisten uns heute mehrere Vertriebsorganisationen und in der gesamten Verwaltung aufwendige Prozesse. Das erhöht die Verwaltungskosten. Sie liegen bei Ergo noch deutlich über dem Marktdurchschnitt“, ließ der heutige Ergo-Chef kurz nach seinem Amtsantritt durchblicken.

Das Ergebnis war eine Radikalkur verbunden mit einem massiven Stellenabbau: So gab die Ergo 2016 bekannt, in den darauffolgenden Jahren unter dem Strich rund 1.800 Stellen streichen zu wollen – insbesondere im hauseigenen Vertrieb. Ein weiteres Ziel: Ein schlankerer Außenvertrieb. Dazu sollten bis 2020 mehrere Geschäftsstellen zusammengelegt werden. Die Folge: Der Verlust von 2.400 der damals bundesweit 14.300 Arbeitsplätze im Konzern.

Betriebsrat kritisiert Umgang mit Mitarbeitern

Wenig verwunderlich, dass die harten Sanierungsmaßnahmen intern für erhebliche Unruhe gesorgt haben. Wie es um die Zufriedenheit der Mitarbeiter bestellt ist, zeigte eine Betriebsversammlung am Hamburger Standort im Sommer 2016.

Noch drei Jahre später übte der Arbeitnehmervertreter deutliche Kritik am Knallhart-Kurs des Ergo-Chefs: „Erneut wurden über 2.000 Kolleginnen und Kollegen ihrer beruflichen Heimat beraubt, die Arbeit wurde verdichtet, funktionierende Strukturen teilweise zerschlagen. Zudem wurden in wesentlichen Fragen, etwa der Rolle des Direktversicherers Ergo Direkt, die Startzusagen recht opportunistisch mehrfach über den Haufen geworfen mit der Folge, dass ein profitabler Direktversicherer faktisch weitgehend vom Markt genommen wurde“, betonte der damalige Betriebsratschef Marco Nörenberg im Exklusiv-Interview mit der Versicherungswirtschaft.

„Wie man im Vertrieb mit Menschen umgegangen ist, die ihren Arbeitsplatz verlieren, ist beispiellos. Vielen fühlten sich regelrecht entsorgt.“

Marco Nörenberg, damaliger Betriebsratsvorsitzender der Ergo-Group

„Auch der IT-Teil der Strategie scheint weitgehend gescheitert. In der Folge werden die Belegschaften mit einer IT-Neuaufstellung überrumpelt, bei der wesentliche Hintergründe im Dunkeln bleiben. Die Kostenbasis wurde in beabsichtigtem Umfang gesenkt, das haben auch schon vergangene Managementgenerationen geschafft“, so Nörenberg.

Rieß hat recht

Und dennoch: Rieß, der als extrem ehrgeizig gilt, scheint den Turnaround lange geschafft zu haben – geht es zumindest nach den bisherigen Zahlen. So dürfte der Gewinn in diesem Jahr bei rund 0,5 Mrd. Euro liegen (Ziel 2020: 530 Mio. Euro). Die Schadenbelastung durch Covid-19 und entgangene Prämien beziffert der Konzern auf rund 65 Mio. Euro. Die Schaden-Kostenquote dürfte bei 92 Prozent in Deutschland sowie bei 94 Prozent im internationalen Geschäft liegen.

Vom angedachten Verkauf der Lebensparte hatte sich die Ergo bereits 2017 verabschiedet. „Nach Auffassung von Ergo spiegelt sich der derzeitige Wert des Bestandes sowie dessen Wertentwicklungspotential in den Angeboten nicht angemessen wider. Daher werden wir unsere klassischen Lebensversicherungsbestände weiterhin unter eigener Regie verwalten“, betonte der Ergo-Vorstandschef Ende November 2017 in einem kurzfristig anberaumten Pressegespräch.

So habe man eine Reihe von Angeboten erhalten, die man sorgfältig geprüft habe, betonte er in einer kurzfristig einberufenen Telefonkonferenz. Laut Brancheninsidern habe die Ergo einen Kaufpreis von zwei Mrd. Euro verlangt. Allerdings habe das Höchstangebot lediglich bei einer Milliarde Euro gelegen. Stattdessen hatte die Ergo eine Technologiepartnerschaft mit IBM gegründet, um die Klassik-Bestände im Unternehmen abzuwickeln.

„Unser Fokus liegt zunächst auf der Migration der eigenen Bestände. Aber ja, sobald wir diese erfolgreich auf der neuen Plattform verwalten, haben wir grundsätzlich die technischen Voraussetzungen, dies auch für andere Versicherer zu tun. In der Fachsprache heißt das Third Party Administration, kurz TPA. Wir sehen mittelfristig viel Potenzial für TPA-Geschäft: Viele Lebensversicherer stehen mit ihren klassischen Beständen vor der Herausforderung, notwendige IT-Investitionen bei gleichzeitig schrumpfenden Beständen darzustellen.“

Achim Kassow, ehemaliger Vorstandchef der Ergo Deutschland

Selbst die bisherigen Beitragsgarantien von 100 Prozent scheinen für Rieß keine Zukunft mehr zu haben: „Die 100 Prozent Beitragsgarantie, die wir bei einigen unserer neuen Policen noch anbieten, könnten dauerhaft nicht mehr in die Zeit passen. Es ist also möglich, dass es in die Richtung gehen kann, generell beispielsweise nur noch 80 Prozent der eingezahlten Beiträge bei neuen Lebenspolicen zu garantieren – was mehr Risiko, aber auch mehr Chancen für die Versicherten bedeutet“, betonte er noch im November 2020.

„Produkte müssen eine ausgewogene Mischung zwischen Sicherheit und Renditebedürfnissen bieten. Bei uns ist im Neugeschäft das meistverkaufte Produkt nicht mehr das mit einer 100-Prozent-Garantie, sondern ein flexibles Produkt, bei dem der Wechsel zwischen klassischen Sicherungsvermögen und Investmentfonds möglich ist – Kunden können also Garantien an- und abwählen.“

Markus Rieß, Vorstandsvorsitzender der Ergo

Auf den bisherigen Lorbeeren ausruhen will sich Rieß dennoch nicht: „Ausruhen dürfen wir uns nicht“, kündigte er bereits im November 2020 an. Nachdem der ehemalige Deutschlandchef der Allianz Kosten gespart und Strukturen gestrafft hat, will der Düsseldorfer Versicherer wieder angreifen.

Die Ziele sind entsprechend ehrgeizig: „Wir haben in unseren Kernmärkten erstmals eine digitale Agenda mit harten Zielen und Kennzahlen verankert. Im Wesentlichen wollen wir uns daran messen lassen, wie hoch der Onlineanteil an den Verkäufen ist, wie viele unserer Produkte im Netz buchbar sind und wie gut unsere Marke digital sichtbar ist. Bis 2025 wollen wir bei diesen dann in der Versicherungsbranche vorn sein“, betonte Ergo-Digitalchef Mark Klein jüngst gegenüber dem Handelsblatt.

Ergo will bis 2025 digital führend in der Versicherungsbranche sein, sowohl in Deutschland als auch in unseren internationalen Kernmärkten. Dazu gehört auch, mittelfristig selbst zum Anbieter innovativer Technologien zu werden.

Mark Klein, Chief Digital Officer der Group und Vorstandsvorsitzender der Ergo Digital Ventures AG

Das ehrgeizige Ziel: Ende 2021 sollten wieder mehr als 600 Mio. Euro Gewinn im Jahr an die Konzernmutter Munich Re fließen. Ob sich dieses Ziel angesichts der Corona-Pandemie realisieren lässt, steht indes noch in den Sternen. Und auch sonst scheint Rieß‘ Bilanz manch Kratzer vorzuweisen: „Zeit- und Kostenpläne wichtiger IT-Projekte, die Vertreter- und Onlinevertrieb besser miteinander verzahnen sollen, sind völlig aus den Fugen. Der Starttermin der gemeinsam mit IBM entwickelten Plattform für die Lebensversicherer rückte weit nach hinten“, kritisierte im Sommer 2020 das Manager Magazin. Und auch im Auslandsgeschäft sei er weit davon entfernt, wie geplant gut 50 Prozent des Ergo-Ergebnisses zu bringen.

Mit Blick auf das laufende Jahr 2021 zeigt sich der Ergo-Chef dennoch „grundsätzlich offen für Zukäufe. Allerdings möchte ich keine zusätzliche Fahne in den Sand setzen, sondern dort stärker werden, wo wir bereits eine Auslandspräsenz haben – Indien und China wären besonders verlockend, aber auch europäische Märkte kommen infrage.“

Ob Rieß am Ende nur laut gebrüllt hat – oder ob die Zahlen seinen Kurs bestätigen, wird sich heute erweisen. Seinen Vertrag hat er Medienberichten zufolge wohl auch für weitere fünf Jahren an der Spitze des Düsseldorfer Versicherungskonzerns verlängert. Demnach soll sich der Aufsichtsrat des Mutterkonzerns Munich Re einvernehmlich darauf geeinigt haben, ihm einen weiteren Vertrag über fünf Jahre anzubieten. Rieß soll bereits zugesagt haben.

Autor: Tobias Daniel

2 Kommentare

  • Als Mehrfachvertreter beobachte ich seit langem die Strukturitis der ERGO. Im Ergebnis kann ich keine wesentlichen Fortschritte gegenüber dem Stand von vor 5 Jahren feststellen. Das Abrechnungssystem der Provisionen ist Steinzeit. Die Abschaffung der Direktbetreuung von Maklern und MFA hat die Zusammenarbeit mehr als erschwert. Nur durch persönliche Kontakte zu einigen Kollegen der ehemaligen Victoria in Berlin kann ich meinen Kunden die zweifellos vorhandenen Vorzüge der ERGO im Schadenversicherungsbereich anbieten. s ist noch ein langer Wege , den ERGO zurücklegen muß…

  • Kein Vorstand hat so viel Neuerungen und Verbesserungen auf den Weg gebracht wie Dr. Riess. Er war ein Segen für die ERGO das kann ich als langjähriger Vermittler jedenfalls bezeugen.
    Schön, dass er uns noch mal 5 Jahre erhalten bleibt.

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