Säbelrasseln um Nord Stream 2: Verscheuchen US-Sanktionen die Versicherer aus dem Bauprojekt?

Die "Pioneering Spirit" gilt als das größte Schwerlast- und Pipeline-Verlegeschiff der Welt. Quelle: Nord Stream / Axel Schmidt

Staaten haben keine Freunde, nur Interessen. Diese setzen die Amerikaner derzeit knallhart in der Ostsee durch und wollen mit exterritorialen Sanktionen die Gaspipeline Nord Stream 2 verhindern. Die deutsche Regierung ist machtlos, ebenso die Versicherer. Keiner kann es sich leisten, sein US-Geschäft aufs Spiel zu setzen. Steigen westliche Player aus, gibt indes noch alternative Deckungen mit Cat Bonds.

Ende Dezember 2019 hat die Schweizer Firma Allseas ihr Verlegeschiff „Pioneering Spirit“ abgezogen – unmittelbar, nachdem US-Präsident Donald Trump das Gesetz „Zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ unterzeichnet hatte. Aus Angst vor Sanktionen hat sich die Allseas-Gruppe komplett aus dem Projekt verabschiedet.

Gemessen an der Gesamtlänge ist beim Pipeline-Bau nur noch eine kleine Lücke zu schließen: Insgesamt 150 Rohrkilometer fehlen noch, 30 Kilometer davon in deutschen, 120 Kilometer in dänischen Gewässern. Für diese Strecke holten die Russen aus dem Japanischen Meer ihr eigenes Verlegeschiff, die „Akademik Tscherski“. Seit über zwei Monaten dümpelt der russische Rohrleger im Fährhafen Sassnitz-Mukran auf der Insel Rügen, wo die für die Fertigstellung benötigten Stahlrohre lagern.

Nun haben die republikanischen Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Ron Johnson in einem Brief den Hafen-Betreibern in Sassnitz mit der wirtschaftlichen Vernichtung gedroht, sollten dort weiter Schiffe auslaufen, die an der Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 arbeiten. Die angedrohten Sanktionen richten sich gegen den Vorstand, die Mitarbeiter und die Anteilseigner des Hafens Sassnitz-Mukran. Sie dürften gegebenenfalls nicht mehr in die USA einreisen, Eigentum in den USA werde eingefroren, heißt es in dem Brief.

Die Ohnmacht der Regierung und das Schweigen der Versicherer

Das Entsetzen über das Schreiben ist in Deutschland groß. Wirkungsvolle Gegenmaßnahmen sind jedoch Mangelware – geschweige denn mögliche Gegensanktionen. Das hat man bereits aus der einseitigen Kündigung des Atomkontrollabkommens durch die USA gelernt. Danach ist der Handel zwischen Deutschland und dem Iran komplett zusammengebrochen.

Der US-Senator Ted Cruz hatte vor Monaten bereits vorgeschlagen, die am Nordstream-2-Projekt beteiligten Versicherer mit Sanktionen zu belegen. Soweit Versicherer bereits eine Risikoübernahme fest zugesagt haben, dürfte es ihnen theoretisch nicht möglich sein, das Akzept im Hinblick auf frische Sanktionen nachträglich zurückzuziehen. Aber es dürfte auf diesbezügliche vertragliche Formulierungen ankommen. Manche Rückversicherer könnten Russland trotz US-Druck die Treue halten, z.B. die indische GIC.

Aber dies dürfte kaum ausreichen, um die benötigte Kapazität zusammenzubekommen. Andererseits sagte das State Department zu, es werde keine Sanktionen für Abwicklungstätigkeiten unter vertraglichen Bindungen geben, die vor dem 15. Juli 2020 eingegangen wurden. Hierunter dürfte sicher die Zahlung vorangegangener Schäden zählen, bei etwas großzügiger Auslegung aber auch die fortgesetzte Risikotragung unter bereits vor dem 15. Juli 2020 zugesagten, die Bauphase betreffenden Akzepten, nicht jedoch die Erneuerung von Jahresdeckungen.

Das Fehlen von laufendem Versicherungsschutz für die Betriebsphase aber könnte unter den diesen voraussetzenden Finanzierungsvereinbarungen einen „breach of covenant“ darstellen. Der Vorstand des Energiekonzerns und Co-Financiers Uniper teilte mit, dass man von einer Fertigstellung der Pipeline trotz des permanenten Sperrfeuers aus den USA ausgehe, aber möglicherweise i.S. Risikomanagement dennoch den gewährten Kredit vorübergehend wert-berichtigen müsste. Die eingebundenen Financiers dürften also kaum versuchen, den Kredit vorzeitig zu kündigen.

Details zu Vertragspartnern verraten die Betreiber von Nord Stream 2 nicht. Auf Anfrage verneinten sowohl die Allianz als auch die Talanx an dem Pipeline-Projekt in einer Form mitgewirkt zu haben. Swiss Re wollte keinen Kommentar abgeben, ebenso wie Munich Re. Es könnte jedoch durchaus sein, dass der weltweit größte Rückversicherer involviert ist. Zumal die Münchener bereits mehrere Offshore-Bauprojekte versicherten und Nord Stream 1 laut eigener Website „das größte fakultative Einzelrisiko“ in den Büchern von Munich Re war. Fragt man nach der Position des GDV, so heißt es schlicht: „Der Verband unterstützt das Vorgehen der Bundesregierung gegen die extraterritorialen Sanktionsdrohungen der USA gegen deutsche Unternehmen in Verbindung mit Nord Stream 2.“

Alternative Deckungen mit Cat Bonds ergänzen

Wenn westliche Versicherer abspringen, dann dürfte Gazprom hinsichtlich noch nicht platzierter Deckungen beginnen Deckungsalternativen zu überlegen. Sogaz Insurance war dereinst eine hundertprozentige Tochter der Gazprom. Gazprom’s Anteil liegt mittlerweile bei nur noch 25 Prozent, der kontrollierende Anteil wird von Bank Rossija in St. Petersburg gehalten, welche Putin nahestehen soll. Zwar könnte Sogaz zusammen mit anderen russischen Versicherern das Nordstream-2-Risiko alleine übernehmen, aber vielerorts bedarf es lokaler Policen. Überdies würden die Versicherungssummen die Selbstbehaltskapazität eines rein russischen Konsortiums sprengen.

Sollten alle wesentlichen Rückversicherer durch US-Sanktionen abgeschreckt werden, so könnte Gazprom auch noch an die Begebung eines das versicherungstechnische Risiko auf die europäischen Kapitalmärkte überwälzenden Cat Bonds nachdenken. Denkbar erschiene, dass zu Kosten von vielleicht drei Prozent p.a. eine mittlere Risiko-Tranche von über einer Milliarde Euro abgewälzt werden könnte. Die Zeichner eines solchen Cat Bonds dürften wohl unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle von US-Sanktionen segeln und im Gegensatz zu professionellen Rückversicherern nicht leicht identifizierbar sein und keine Folgen für ihre US-Geschäfte befürchten müssen.

Grundsätzlich zählen die Errichtung und der Betrieb von Pipelines zu den „Perils of the sea“ ausgesetzte Aktivitäten, die in der Sparte Offshore gedeckt werden. Zu den Risikoszenarien gehören technische Störungen, Verschiebungen des Seebetts, das Explodieren versenkter Munition aus dem Ersten Weltkrieg, noch herumtreibende alte Seeminen und die Folgen von Naturgefahren.

Sollten Untersee-Reparaturen notwendig werden, so könnte eine Verlegung der Pipeline erforderlich werden, was neue Genehmigungen der Anrainerstaaten erforderlich machen würde. Zu den Reparaturkosten käme auch noch die Betriebsunterbrechung. Die Explosion eines an der Küste gelegenen Terminals könnte zudem erhebliche Haftpflicht-Kollateralschäden auslösen.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema in der kommenden September-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

Autoren: David Gorr und Philipp Thomas

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