Enttäuschung oder neue Hoffnung? Was Baden-Baden für Rückversicherer bringt
Geschäftsabschlüsse im Theater, Budgethotels um die 300 Euro die Nacht und ein Speeddating im Halbstunden-Takt zwischen Kurhaus, Parkhotel und Fußgängerzone: In gediegenem Ambiente kommen die Rückversicherer in Baden-Baden in dieser Woche zum Jahreskongress zusammen. Was die Teilnehmer eint, ist die berechtigte Hoffnung auf höhere Preise.
Maßgeblich dazu beigetragen haben dabei vor allem die hohen Versicherungsschäden der vergangenen zwei Jahre. So konnte die Branche schon bei den jüngsten Vertragserneuerungsrunden im Januar, April und Juli entsprechende Preiserhöhungen durchsetzen. Ein Trend, der sich wohl auch in Baden-Baden fortsetzen dürfte: So rechnet Johannes Bader, Rückversicherungsanalyst der Ratingagentur Standard & Poor’s, mit Preissteigerungen von durchschnittlich fünf Prozent.
„Wir sind etwas optimistischer als im vergangenen Jahr“, gab sich Sven Althoff, Vorstand der Hannover Rück, entsprechend optimistisch. Ihm zufolge profitiert die Hannover Rück davon, dass Versicherer die Prämien bei ihren Kunden erhöhten und der Rückversicherer einen festen Anteil der Einnahmen erhält. Aber auch bei vielen Verträgen, bei denen der Rückversicherer erst ab einer gewissen Schadenshöhe einspringt, hätten die Prämien angezogen. Bei ihrem jährlichen Treffen im Fürstentum Monaco sondierten Rückversicherer wie Munich Re, Swiss Re, Hannover Re oder Scor mit ihren Kunden Preise und Konditionen für die Vertragserneuerung zum bevorstehenden Jahreswechsel.
Das erste Halbjahr 2019 ist mangels größerer Cat-Nat-Schäden im Gegensatz zu den Jahren 2017 und 2018 gut verlaufen – sieht man von Swiss Re ab, welche es im ersten Halbjahr 2019 auf eine Combined Ratio von 100,5 Prozent gebracht hatte. Eine Folge von Nachreservierungen für Typhoon „Jebi“ in Japan. Hurrikan „Dorian“ dürfte die Assekuranz weniger als zehn Mrd. US-Dollar kosten, hätte bei einem etwas anderem Verlauf aber auch das Potenzial für 50 Mrd. US-Dollar an Marktschaden gehabt. Typischerweise können Rückversicherer nach schweren Katastrophen zumindest in betroffenen Gebieten höhere Prämien durchsetzen.
Klimawandel treibt die Versicherer besonders um
So verwundert es nicht, dass die Rückversicherer vor allem die Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Geschäftsmodell fürchten. Demnach sehen laut aktuellem „Reinsurance Banana Skins 2019“, von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC und des Centre for the Study of Financial Innovation (CSFI), Rückversicherer immer häufiger auftretende Wetterextreme und teurer werdende Katastrophenschäden erstmals als wesentliche Risiken für das operative Geschäft an.
Dabei sorge der Klimawandel nach Einschätzung der Befragten für Veränderungen in allen Geschäftsbereichen – von der mittel- bis langfristigen Risikobewertung bis hin zur Preisgestaltung. Gleichzeitig wächst die Sorge unter den Studien-Teilnehmern, dass bestimmte Naturkatastrophen langfristig kaum noch versicherbar sein werden.
„Nicht nur die Häufigkeit und Heftigkeit der Wetterextreme nimmt zu, auch die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen im Kampf gegen die Erderwärmung verändern sich. Dadurch entstehen neue Risiken, aber auch Chancen für die Rückversicherer“, kommentierte Julia Unkel, Leiterin des Bereichs Insurance bei PwC Deutschland, das Ergebnis.
Allein die Munich Re musste im vergangenen Jahr eine Rekordsumme von rund 340 Mio. Euro für naturbedingte Schäden ausgeben. Dabei dürfte das vermutlich erst der Anfang sein: „Langfristig zeigt der Pfad ganz klar nach oben. Dabei steigen die versicherten und die unversicherten Katastrophen. Die Versicherungslücke ist schon heute groß. Und es ist nicht absehbar, dass sie in Zukunft kleiner wird“, betonte Vorstandschef Joachim Wenning Anfang August 2019 in einem Interview mit dem Handelsblatt.
Digitaler Wandel steckt noch in den Kinderschuhen
Immerhin: „Die Digitalisierung ist das Mittel schlechthin. Damit lässt sich alles verbessern. Sie ist wie ein Produktionsfaktor, den es vorher nicht gab. Bei Naturkatastrophen helfen Satelliten oder Drohnen beispielsweise dabei, Schäden in den betroffenen Regionen auszuwerten. Ich sehe als Versicherer dann in kürzester Zeit auf jedes einzelne Hausdach und weiß, welche Fälle ich vorrangig behandeln muss. Ein anderes Beispiel wäre im Underwriting, also der Risikonahme. Hier können wir die einzelnen Risiken stärker differenzieren. Außerdem können wir den Kundenzugang und den Vertrieb verbessern“, ergänzte Wenning.
Dabei steckt der digitale Wandel in der Rückversicherungsbranche allenfalls noch in den Kinderschuhen. So bereiten veraltete IT-Systeme, hohe IT-Modernisierungskosten und Unsicherheiten, in welche digitalen Innovationen investiert werden soll, vielen Branchenvertretern ebenfalls Sorgen. „Neue Technologien ermöglichen die Auswertung enormer Datenmengen und können die Risikobewertung revolutionieren. Zudem schaffen sie vor allem auch neue Möglichkeiten in der Interaktion mit den Kunden. Der Druck, veraltete Technologie schneller als bisher abzuschalten, wächst“, erläutert PwC-Expertin Unkel.
Der wachsende Kostendruck und der Wettbewerb unter den Anbietern dürfte jedenfalls nach Einschätzung der Rückversicherer die Konsolidierungswelle der Branche weiter anschieben. Dabei machen die Insurtechs den Rückversicherern laut Analyse weniger zu schaffen als den Erstversicherern. Deren Sorgenkinder liegen vielmehr in den vorhandenen Überkapazitäten und Niedrigzinsen.
Autor: VW-Redaktion