VersR BLOG von Theo Langheid: Beweis- und andere Lasten
In einer noch sehr frischen Entscheidung hat sich das OLG Köln zur Beweissituation geäußert, die entsteht, wenn die Versicherungsnehmerin einer D&O – Versicherung sich den Deckungsanspruch ihres Organs abtreten lässt und dann unmittelbar gegen den D&O-Versicherer vorgeht (AZ 9 U 206/22). Gilt dann noch die Beweislast des § 43 Abs. 1 GmbHG (entsprechend § 93 Abs. 2 S. 2 AktG), wonach das Organ (und jetzt also der Versicherer) nachweisen muss, dass ihm kein Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten anzulasten ist oder er ohne Verschulden gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre?
Oder dreht sich die Beweislage zulasten der Versicherungsnehmerin, weil diese aus dem abgetretenen Deckungsanspruch vorgeht, und da trägt sie gemeinhin die Vortrags- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen. Das OLG Köln hat entschieden, dass die Beweislastverteilung des gesellschaftsrechtlichen Haftungsgrundes fortbesteht. Der Versicherer tritt also an die Stelle der versicherten Person und die Versicherungsnehmerin muss nur ihren Schaden nachweisen und nicht sämtliche anspruchsbegründenden Umstände. Das wird als großer Sieg gefeiert, weil es die Prozesslage der D&O-Versicherungsnehmer entscheidend verbessere. Das Urteil stärke die Position der Unternehmen und es sei zunehmend attraktiv, direkt gegen den Versicherer und nicht gegen das versicherte Organ vorzugehen.
Ohne jetzt als Spaßverderber auftreten zu wollen, scheint angesichts solchem Optimismus doch der Hinweis nötig, dass der beklagte Versicherer den Rechtsstreit gewonnen hat! Das geht im unmittelbar nach Urteilsverkündung einsetzenden Blätterrauschen, in dem die vermeintliche Verbesserung der Position der Versicherungsnehmerin im Vordergrund steht, unter. Natürlich hätte es auch schlimmer kommen können, indem das OLG Köln die umfassende Beweisführungspflicht der klagenden Versicherungsnehmerin aufgebürdet hätte. Aber allein das kann ja nicht solche Freude auslösen. Das ist so, als ob der 1. FC Köln sich freut, gegen die Bayern nur 0:1 verloren zu haben, es hätte ja auch 0:3 oder 0:4 ausgehen können.
In der Sache selbst ist zunächst festzustellen, dass die Verbindung von Deckungs- und Haftungsanspruch in einer Hand eine Zahlungsklage gegen den Versicherer ermöglicht. Ob das nun auf einer Konfusion von Freistellungs- und Schadensersatzanspruch beruht oder darauf, dass der Zahlungsanspruch des Geschädigten „an die Stelle des Freistellungsanspruchs“ tritt (so das OLG Köln, das hier freilich ausblendet, dass ja gerade kein Zahlungs-, sondern nur der Deckungsanspruch abgetreten wurde und der Haftungsanspruch sich eben nicht gegen den Versicherer richtet) oder dass beide Ansprüche nebeneinander bestehen (so auch das OLG Köln in einer anderweitigen Bemerkung, was allerdings nicht erklärt, welcher der beiden nebeneinander bestehenden Ansprüche denn nur geltend gemacht wurde), ist letztlich unerheblich, weil diese Fragen nur bei der fraglichen Bindung des Direktprozesses für das Verhältnis Versicherungsnehmerin/versicherte Person eine Rolle spielen können.
Mit dem Ergebnis, dass aus der Abtretung und der Vereinigung von Haftungs- und Deckungsanspruch in einer Hand jedenfalls ein Zahlungsanspruch direkt gegen den D&O-Versicherer entsteht, sind jedenfalls die Stimmen abgearbeitet, die nur die Geltendmachung des abgetretenen Deckungsanspruchs für möglich hielten, mit der (leicht absurden) Folge, dass der Versicherer nach Feststellung seiner Deckungspflicht dann doch Abwehrdeckung geben könne und die Versicherungsnehmerin sich mit ihrem Haftungsanspruch wieder gegen die versicherte Person wenden müsse (die dann aber die Abwehrdeckung durch den Versicherer genösse). Das ist wohl endgültig vom Tisch.
Vom Tisch ist – jedenfalls bis zu einer endgültigen Entscheidung durch den BGH – auch die Theorie vom sog. modifizierten Deckungsanpruch. Nicht der Haftpflichtanspruch könne gegen den Versicherer geltend gemacht werden, sondern nur der abgetretene Deckungsanspruch, der insoweit aber ‚modifiziert‘ würde, als er (sozusagen vor dem Hintergrund des Haftpflichtanspruchs) auch auf Zahlung gerichtet sein könne. Eine solche Modifikation würde aber bedeuten, dass eben doch die versicherungsrechtliche Beweisverteilung gelten würde und nicht die gesellschaftsrechtliche. Nach derzeitigem Zwischenfazit ist das eben nicht so.
Nicht vom Tisch ist, wie dargelegt, die Vortrags- und Beweislast des Organs bzw. des Versicherers. Bei der hat sich aber nichts geändert. Es dürfte für die Entscheidung eines solchen Rechtsstreits keine Rolle spielen, ob nun das verklagte Organ, das sich mit der Abwehrdeckung des Versicherers zur Wehr setzt, oder der durch die Abtretung an seine Stelle getretene Versicherer beweisen muss, dass keine Sorgfaltspflichtverletzung oder jedenfalls kein Verschulden und/oder keine Kausalität vorliegen. Aber hier lohnt eine weitere Überlegung, denn es hat sich doch etwas geändert. Etwas möglicherweise Entscheidendes. Denn jetzt steht dem beweisbelasteten Versicherer plötzlich die versicherte Person als Zeuge zur Verfügung. Wie im Fall des OLG Köln auch, wo der Zedent des Deckungsanspruchs als Zeuge vernommen wurde (es ging um die Besorgung unzureichenden Feuerversicherungsschutzes). Und jeder in der juristischen Forensik einigermaßen Kundige weiß, wie wichtig es ist, plötzlich über ein valides Beweismittel zu verfügen. Wo man zuvor auf Plausibilität, Rückschlüsse und Wertungen angewiesen war, kann man jetzt konkrete Tatsachen vortragen und unter Zeugenbeweis stellen. Möglicherweise ist diese bislang unerörtert gebliebene Konsequenz des fraglichen Urteils am Ende doch nicht so geeignet, die geäußerte Euphorie zu rechtfertigen?
Am Ende noch ein Wort zur gerichtlichen Zuständigkeit. Irritierend ist, dass sich der Versicherungssenat des OLG Köln mit keinem Wort damit befasst. Nach der Geschäftsverteilung des OLG Köln ist der 9. Senat zuständig für Streitigkeiten aus Sach- und Personenversicherungsverhältnissen, während für Streitigkeiten aus Gesellschaftsrecht der 18. Senat zuständig gewesen wäre. Es ist natürlich immer ein Problem, wenn sich zwei konkurrierende Ansprüche in einer Hand vereinigen (weil daraus eine multiple Zuständigkeit erwächst), aber wenn sich ein Versicherungssenat ohne weiteres mit einer Sache befasst, dann kann man schon auf den Gedanken kommen, dass hier eben doch ein Anspruch aus der privaten Versicherung geltend gemacht wird. Also vielleicht doch ein auf Zahlung gerichteter modifizierter Deckungsanspruch? Nein, das sollte sich bis zu einer abschließenden Entscheidung des BGH erst mal erledigt haben (s.o.). Aber es bleibt ein Paradoxon, dass ein Versicherungssenat einen Prozess entscheidet, für den er unter Umständen gar nicht zuständig war und ausgerechnet aus seiner umstandslosen und nicht weiter hinterfragten prozessualen Befassung mit der Sache abgeleitet werden könnte, dass die Entscheidung materiell falsch ist.
Autor: Theo Langheid
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