Trotz Kritik der Versicherer will Eiopa Solvency II überarbeiten

Quelle: Bruno Germany auf Pixabay

Von Anfang an stand fest, dass das implementierte Solvency II noch einmal überarbeitet werden wird, doch wohl wenige Versicherer hatten dieses Größenverhältnis und diese Implikationen im Sinn. Die Vorschläge und Ideen der European Insurance and Occupational Pensions Authority bedeuten für die Branche viel Arbeit und zusätzlichen Kapitalbedarf.

„Die Regulierung ist mittlerweile ein wesentlicher Kostenfaktor. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es einmal eine Spanne von drei bis fünf Jahren ohne neue Vorschläge“, erklärte Stuttgarter-Vorstand Ralf Berndt kürzlich gegenüber VWheute. Die europäische Aufsichtsbehörde sollte gerade angesichts der Vielzahl der in den letzten Jahren umgesetzten Regulierungsvorhaben – IDD, PRIIPs, IBIPs – „nicht übersehen“, dass eine dynamische Zunahme an Vorschriften und zusätzliche Aufsichtsgremien „nicht notwendigerweise zur Verbesserung und Stärkung der Aufsicht
führen“, sondern im Gegenteil die Effektivität der Aufsicht und die Umsetzbarkeit rechtlicher Vorgaben beeinträchtigen können, warnt Ulrich Keunecke, Partner bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG.

Der Wunsch der Manager nach weniger Regulierung wird sich nicht erfüllen. Eiopa hat etwa im Oktober ein Consulting-Paper auf den Tisch gelegt, das Punkte beinhaltet, die teilweise auf den jetzt herrschenden, schwierigen Marktbedingungen basieren. Ob das für eine langfristig ausgelegte Regelstruktur zielführend ist, wird in der Branche bezweifelt. „Wir sollten regulatorisch nicht etwas tun, was wir in zehn bis 15 Jahren bereuen werden. Es muss zwischen konjunkturellen und strukturellen Problemen unterschieden werden“, warnt Christian Thimann, CEO der Athora Deutschland. Das angesprochene Paper dient Eiopa als Testballon, um Richtung und Intensität des Kritikwindes bestimmen zu können.

Das Konzept hat Licht und Schatten nach Meinung des GDV

In der aktuellen Dezemberversion des Review Papers wird u.a. die Änderung der Explorationsmethode verlangt und Versicherer müssen zukunftig mehr Kapital für langfristige Verpflichtungen vorhalten. Die Aufsichtsbehörden sollen zudem das Recht erhalten, Versicherern zusätzliche Kapitalauflagen zu machen und Dividendenausschüttungen zu begrenzen. Auch negative Zinsen müssen Assekuranzhäuser in ihre Kalkulationen miteinbeziehen. Grundsätzlich müsse das Regelwerk besser an die niedrige Zinswelt angepasst werden, so das Fazit der Eiopa. Insgesamt habe sich das Regelwerk aber bewährt, grundsätzliche Änderungen seien nicht nötig. Die Bonner Finanzaufsicht Bafin begrüßte die Vorschläge. „Die Eiopa hat einen sinnvollen und vor allem zukunftssicheren Änderungsvorschlag unterbreitet, der sowohl die langfristig niedrigen Zinsen als auch die Belastungsfähigkeit der Versicherungsbranche angemessen berücksichtigt und insofern eine gute Balance findet“, sagte der oberste Bafin-Versicherungsaufseher Frank Grund. Den GDV überzeugt das Konzept nicht, wie Jörg Asmussen im Folgenden ausführt.

„Die Eiopa hat einen umfangreichen und sehr detaillierten Plan für die Überarbeitung von Solvency II vorgelegt – damit ist ein wichtiger Meilenstein erreicht und der Reviewprozess bleibt trotz Covid-19 im Zeitplan. Das Ergebnis überzeugt leider nicht: Auf Dauer müssten die europäischen Versicherer bei einer Umsetzung des ‚Advice‘ in erheblichem Maße zusätzliches Kapital für langfristige Zins- und Kapitalmarktrisiken aufbauen. Damit jedoch würde der Investitionsbeitrag der europäischen Versicherungswirtschaft zu europäischen Projekten wie Kapitalmarktunion und Green Deal zwangsläufig geringer. Positiv sind die vorgeschlagenen Verbesserungen zur Stärkung des Proportionalitätsprinzips. Das spart nicht nur Kosten, sondern setzt wichtige Managementressourcen frei, die bislang durch bürokratische Prozesse ohne Mehrwert gebunden sind.“

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV

Die Vorschläge sind nicht in Stein gemeißelt. Das Eiopa-Konzept geht nun erst an die EU-Kommission, die eine Umsetzung in europäisches Recht vorschlagen kann. Danach müssen das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten zustimmen.

Verschiebung der LLP auf 30 Jahre oder mehr

Zentral für Solvency II ist das marktkonsistente Valuations-Prinzip, das sogenannte Market Consistent Valuation Principle. Auf dieser Basis müssen Unternehmen ihre Verpflichtungen bewerten, und zwar unter Nutzung der Discount Rates, die marktbasierte, risikofreie Zinsen implizieren. Ab einem gewissen Punkt, dem sogenannten Last Liquid Point (LLP), wird die Spezifikation der risikofreien Zinsstruktur zu einer Ultimate Forward Rate (UFR) extrapoliert. Unter Extrapolation wird die Bestimmung eines Verhaltens über den gesicherten Bereich hinaus verstanden. Als Oberaufsicht ist Eiopa verantwortlich für den laufenden Anpassungsprozess der risikofreien Zinsrate. Die drei Hauptkomponenten der Extrapolationsmethode, Extrapolation Methodology, sind die LLP, die UFR und die Geschwindigkeit der Annäherung an eben diese UFR. Diese Faktoren stehen im Mittelpunkt der Änderungswünsche.

Eine stetige Absenkung der UFR erfolgte in den letzten Jahren. Im Juli erklärte Eiopa, dass der Wert ab 2021 bei 3,6 Prozent liegen wird. Eine weitere Degression würde zu einem Anstieg der Rückstellungen für weit in der Zukunft liegende Verbindlichkeiten bei den Unternehmen sorgen, da diese weniger stark abgezinst werden können. Laut Prognose der Eiopa wird der Zinssatz auch in den nächsten 60 Jahren weiter sinken. Eine Anpassung der UFR sei somit notwendig. Ein wichtiger Punkt der angedachten Veränderungen ist die Verschiebung der LLP von derzeit 20 auf 30 oder mehr Jahre.

Die Verschiebung würde die Tatsache mit sich bringen, dass auch für sehr lange Laufzeiten noch der Marktzins und nicht der extrapolierte Zins zum UFR-Niveau von ca. 3,5 Prozent bei 100 Jahren angenommen wird. Ein Sinken des Diskontierungssatzes und damit höhere Verbindlichkeiten wären die Folge. Die Änderungen würden in der Summe zu einer Erschwerung des Geschäfts für Lebensversicherer mit langfristigen
Verträgen führen. Eine noch stärkere Fokussierung auf die eigenen Risiken und Solvency-Assestments sowie häufigere Interaktion mit den nationalen Aufsichtsbehörden wären wohl die Folge für die Unternehmen.

Im Grunde wird in der Diskussion um eine Extrapolationsmethode gestritten, die einerseits Sicherheit gewährt und den Versicherern andererseits eine gewisse Beinfreiheit ermöglicht. Ob das mit dem skizzierten Plan Eiopas gelungen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. „Es gibt beim Review einige Punkte, die eine asymmetrische Belastung zu Ungunsten der Länder mit langfristigen Verbindlichkeiten wie den Niederlanden und Deutschland bedeuten würden“, erklärt Thiemann. „Eiopa hat mit der alternativen Extrapolationsmethode einen akzeptablen Kompromiss gefunden“, widerspricht Frank Grund, Exekutivdirektor der Bafin kürzlich.

Ein weiterer diskutierter Punkt ist die Zulassung von negativen Zinsen in Schockszenarien, die einen höheren Kapitalbedarf und ein größeres Solvency-Capital-Requirement (SCR) nach sich ziehen würden. Wie die Verringerung der UFR wirkt sich auch die Einbeziehung von negativen Zinsen sowohl auf die langfristigen Verpflichtungen wie auch die Bedeckungsquote aus.

Autor: Maximilian Volz

Lesen Sie die vollständige Analyse in der kommenden Januar-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

Ein Kommentar

  • Dr. Andreas Billmeyer

    Auch wenn wir als LV 1871 aufgrund unseres guten Produktmix, mit den höchsten Bewertungsreserven am deutschen Markt und eines abgestimmten Asset-Liability-Management eher sogar momentan eine Entlastung durch den Review erfahren würden, so geht doch fast alles in eine falsche Richtung:
    – Negativzinsen sind mitnichten schon ein Problem, sondern können auch prinzipiell schon durch Bargeldhaltung umschifft werden, somit dürfen sie nicht in die Abzinsung der Passiva einfließen.
    – Wichtige und augenscheinliche Punkte wie eine Reduktion des SCR auf Immobilien oder für das Massenstorno werden einfach ignoriert.
    – Die Steigerung der Komplexität ist enorm und bringt weiter zunehmende Bürokratie, sei es bei Zinskurve (mit Übergangsphase), bei VA, bei zusätzlichen Berichtspflichten, bei Risikomarge…
    – Er wird nach wie vor ignoriert, dass Immobilien und Aktien einen höheren Erwartungswert an Erträgen bieten (-> Risikoprämien), die auch in die Abzinsung einfließen müssten, z.B. als Teil des VA
    – Anwender (partieller) interner Modelle bleiben bei der dyn. VA massiv bevorzugt.

    Es bleibt zu hoffen, dass sich die Branche zu einem Gegen-Advice an die EU-Kommission entschließen kann.

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