USA: „Wahlergebnis ist aus Versicherungssicht positiv zu bewerten“

Ein Gericht in New York zwingt die Swiss Life zu hohem Schadenersatz. Quelle: Bild von Ronile auf Pixabay

Rund vier Tage hat es gedauert, bis der neue Hausherr im Weißen Haus von Washington D.C. feststand: Joe Biden ist zum 46. Präsidenten der USA gewählt worden. Mit Kamala Harris übernimmt erstmals eine Frau mit Migrationshintergrund das Amt des US-Vizepräsidenten. International herrscht Erleichterung über seine Wahl – auch bei den Versicherern.

Die Probleme, welche Biden zu lösen hat, sind hingegen gewaltig. „Er kann sicher wichtige Anstöße zur Heilung geben, aber die Überwindung der Polarisierung Amerikas ist eine Generationenaufgabe. Das kann Joe Biden nicht, das kann überhaupt niemand innerhalb von vier Jahren schaffen“, betont Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, in einem Interview mit T-Online. Zudem warnt der frühere deutsche Diplomat davor, dass die „Gefährdungen populistischer, spalterischer Politik“ bleiben würden: „Fast die Hälfte der Amerikaner, 70 Millionen, hätte ja gerne vier weitere Jahre Trump gehabt“ warnt Ischinger.

Auch unter den Wirtschaftsexperten hält sich die vermeintliche Euphorie über den Sieg Bidens eher in Grenzen. „Europa war seit 2018 am Rande eines Handelskrieges mit den USA. Die Trump-Administration drohte andauernd mit neuen Zöllen auf Stahl und Aluminium sowie mit Handelsbarrieren gegen europäische Autoexporte. Hinzu kam, dass Trump multilaterale Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation systematisch geschwächt hat. Die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen hat das schwer belastet“, betont Hubertus Bardt, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

„Doch eine 180-Grad-Wende ist auch mit dem neuen Präsidenten nicht zu erwarten. Die Pläne der Demokraten, die protektionistische Buy-American-Politik auszubauen, ist für europäische Anbieter kein gutes Zeichen. Hoffnung besteht für die Zukunft der Welthandelsorganisation und damit auch für die Klärung künftiger Konflikte. Biden wird weniger drohen als Trump, verlässlicher sein und sich an internationale Regeln halten“, warnt der Ökonom.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) „wünscht sich in den transatlantischen Beziehungen einen Neustart auf Augenhöhe. Unsere Partnerschaft ist in den vergangenen vier Jahren in schwieriges Fahrwasser geraten. Es muss jetzt nach der Trump-Ära darum gehen, unsere Beziehungen wiederzubeleben und das beschädigte Vertrauen neu aufzubauen. Bei den großen Herausforderungen in der internationalen Sicherheit, im Klimaschutz, bei der Digitalisierung, die alle durch die Coronakrise noch verschärft werden, müssen EU und USA an einem Strang ziehen“, betont BDI-Präsident Dieter Kempf. So erwarte die deutsche Industrie vom künftigen US-Präsidenten, das riesige Potenzial des transatlantischen Marktes ernst zu nehmen.

„Die Wahl Joe Bidens zum neuen US-Präsidenten bietet die Chance auf einen Politikwechsel. Ein zentrales Ziel sollte es sein, die politischen Gräben innerhalb der Gesellschaft zu schließen und zu einer am langfristigen Wachstum orientierten Wirtschaftspolitik zurückzukehren.“

Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR)

Und dennoch: „Die Wahl Joe Bidens zum neuen US-Präsidenten bietet die Chance auf einen Politikwechsel. Ein zentrales Ziel sollte es sein, die politischen Gräben innerhalb der Gesellschaft zu schließen und zu einer am langfristigen Wachstum orientierten Wirtschaftspolitik zurückzukehren. Zu begrüßen ist die Ankündigung Bidens, dem Pariser Klimaschutzabkommen und der Weltgesundheitsorganisation WHO wieder beizutreten“, konstatiert Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR).

„Dies ermöglicht größere Fortschritte beim Klimaschutz und der Pandemiebekämpfung. Zu hoffen ist, dass unter Biden die Handelspolitik weniger protektionistisch ausgerichtet wird. Dies würde der Weltwirtschaft und auch den deutschen Exporteuren wichtige Impulse geben“, ergänzt die Verbandschefin.

Versicherer üben sich in Zurückhaltung

Auch die Versicherer zeigen sich über den Wahlsieg Bidens bislang eher zurückhaltend. „Für eine Bewertung, welche Folgen dieser Führungswechsel auf die Versicherungsbranche national und international haben wird, ob positiv oder negativ, dafür ist es meiner Meinung nach noch zu früh. Wie viel Einfluss Biden generell haben wird und inwieweit er Veränderungen treiben kann, hängt auch von der Mehrheitsverteilung im Kongress ab, sowie ob neben dem Repräsentantenhaus auch der Senat von den Demokraten dominiert wird“, konstatiert Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa bei Atradius.

„Die Pläne und Visionen für die eigene Amtszeit rückten bei Joe Biden im Verlauf des Wahlkampfs vermehrt in den Hintergrund. Der Fokus lag auf einer deutlichen Abgrenzung zu Administration und Person Trump. Eine konkrete Erwartung an Biden zu formulieren ist daher schwierig. Außen- und wirtschaftspolitisch wird die USA wahrscheinlich keinen vollständigen Kurswechsel vornehmen, z.B. in Bezug auf China. Aber der Umgangston wird voraussichtlich ein anderer werden und auch eine Wiederannäherung an die EU ist möglich. Klar ist, Biden wird eine Vielzahl von ‚Baustellen‘ von Trump übernehmen – die offensichtlichste und drängendste davon wird erst einmal eine innenpolitische sein: die Eindämmung und Bekämpfung der Corona-Pandemie in den USA“, so Langen.

„Das Wahlergebnis, sprich die Wahl von Joe Biden als künftigen US-Präsidenten, ist erst einmal aus Versicherungssicht positiv zu bewerten. Dies liegt zum einen an seinem Politikstil, der im Gegensatz zu dem von Donald Trump besser einschätzbar und auf echten Fakten basisert ist. Dies macht seine politischen Maßnahmen für uns deutlich berechenbarer und nachvollziehbarer.“

Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Deutschland

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Deutschland: „Das Wahlergebnis, sprich die Wahl von Joe Biden als künftigen US-Präsidenten, ist erst einmal aus Versicherungssicht positiv zu bewerten. Dies liegt zum einen an seinem Politikstil, der im Gegensatz zu dem von Donald Trump besser einschätzbar und auf echten Fakten basiert ist. Dies macht seine politischen Maßnahmen für uns deutlich berechenbarer und nachvollziehbarer (Trump hat zwar genau das umgesetzt, was er gesagt hat, aber eine nachvollziehbare Faktengrundlage war oft nicht gegeben)“.

Zudem habe „sich Biden deutlich umgänglicher als Donald Trump gezeigt, was sich positiv auf internationale Beziehungen auswirken dürfte. Dennoch wird womöglich der Handlungsspielraum Bidens begrenzt sein, je nachdem ob der US-Senat nun eine demokratische oder republikanische Mehrheit hat (das Repräsentantenhaus bleibt demokratisch, aber für große Reformen braucht es beide Häuser des Kongresses). Dies steht aktuell noch nicht fest. Bei Gleichstand ist die Stimme der Vizepräsidentin ausschlaggebend, aber das wäre für viele Gesetze oft zu knapp, da nicht immer streng nach Parteilinie gestimmt wird.“

Mit Blick auf Bidens künftige Präsidentschaft sind die Erwartungen der Ökonomin eher gedämpft: „Ein paar der von Biden angesprochenen Maßnahmen dürften die Länderrisiken verringern und könnten sich positiv auf unsere Länderrisikoeinschätzung auswirken. Hierzu gehört die geordnete Bekämpfung von COVID-19, welche mittelfristig wieder zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum führen sollte, alleine, da es das Vertrauen der Bevölkerung in eine entschlossene Reaktion der Regierung stärken dürfte.

Zudem sollten „die angekündigten Maßnahmen zum Klimaschutz, die Biden durchführen möchte (z.B. stärkere Regulierung der Förderung von Gas und Öl, Fracking) das Länderrisiko etwas verringern, da die Auswirkungen des Klimawandels eine Säule unseres Risikomodells darstellt. Die Erhöhung der Unternehmenssteuer (in Teilen) und der höchsten Einkommensgruppen, könnten zudem die sozialpolitische Spaltung zumindest in geringem Maße verringern (auch wenn es die Aktienkurse negativ beeinflussen dürfte). Jedoch dürfte sich die protektionistische Handelspolitik der USA gegenüber China aber womöglich auch der EU nicht viel ändern.

Insgesamt sollte der Ton daher „höflicher sein, aber die Maßnahmen werden kaum gemildert werden, da die protektionistischen Maßnahmen eine weite Unterstützung im US-Kongress haben. Somit sehen wir die Wahl als gemäßigte Veränderung der US-Politik, aber keine 180-Grad-Wende.“

Dennoch kommen auch die deutschen Versicherer am Weltmarkt USA nicht vorbei. Die Vereinigten Staaten bieten vor allem den Vorteil, dass über ein großes Gebiet 330 Millionen Menschen die gleiche Sprache sprechen, eine einheitliche Währung haben und der gleichen Gesetzgebung unterliegen. Und das Allerwichtigste: Die Menschen sind bereit, viel Geld für Versicherungen auszugeben. 39 Prozent der weltweiten Prämieneinnahmen stammen aus den USA und deutsche Gesellschaften verdienen kräftig mit.

Allianz erwartet „nur begrenzte Auswirkungen“ auf US-Geschäft

So verwundert es nicht, dass die Allianz „nur begrenzte Auswirkungen auf unsere Geschäfte in den USA. Je nachdem wie stark das Wahlergebnis angefochten wird, kann es kurzfristig zu einer erhöhten Volatilität an den Finanzmärkten kommen. Mehr noch als die US-Wahl wird die Entwicklung rund um Covid-19 das Wirtschaftsgeschehen global und auch in den USA bestimmen, insbesondere die Geldpolitik (Staatsschulden) als auch die Fiskalpolitik (Finanzierung der Schulden)“, so eine Unternehmenssprecherin gegenüber VWheute.

Zudem stehen die Münchener „zu unserem Engagement in den USA. Sie sind der größte Versicherungs- und Kapitalmarkt. Die Allianz ist dort erfolgreich positioniert, insbesondere über Pimco, AZ Life, Allianz Partners, Euler Hermes oder AGCS bieten wir attraktive Kundenlösungen an. Unsere Aktivitäten in den USA trugen 9M 2020 ~ 25 Prozent zum Vorsteuergewinnder Allianz Gruppe bei.“

„Für die Versicherungsbranche ist es von großem Vorteil, wenn man ein homogenes System hat, das viele Menschen umfasst. Natürlich ist Europa rein an der Anzahl der Bürger gemessen noch größer als die Vereinigten Staaten, aber im US-Markt hat man eben 330 Millionen Menschen, die mehr oder weniger den gleichen Hintergrund haben. Die Kultur ist noch jung und sie ist auch recht homogen – selbst wenn es unterschiedliche Hintergründe in der Geschichte gab. Darüber hinaus hat man die Sprach-, Währungs- und in Teilen auch regulatorische Einheit. Die USA bleiben aufgrund ihrer enormen Wirtschaftsdynamik meines Erachtens noch auf lange Zeit einer der spannendsten Märkte für Versicherer und andere Unternehmen.“

Jan-Oliver Thofern, Chairman und Chief Executive Officer Aon Deutschland

Auch Jan-Oliver Thofern blickt entspannt auf die große US-Wahl. „Für die Versicherungsbranche ist es glücklicherweise kein Megaevent“, sagt der Chairman und Chief Executive Officer Aon Deutschland jüngst im Interview mit der Versicherungswirtschaft

Zudem könne er sich „kein Szenario vorstellen, in dem für den Versicherungsmarkt in den USA durch Unruhen nach den Wahlen wirklich relevante Schäden entstünden. Der gesellschaftliche Schaden könnte hingegen beträchtlich sein. Ich würde das Wahlereignis, zumindest in der kurzen Frist, als neutral bewerten. Was in zwei oder drei Jahren ist, kann niemand absehen“.

Autor: VW-Redaktion

Mehr zum US-Versicherungsmarkt lesen Sie in der November-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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