Aon-Deutschland-Chef Thofern im Interview: „Die USA bleiben einer der global spannendsten Märkte“

Jan-Oliver Thofern, Chairman und Chief Executive Officer Aon Deutschland (Quelle: Aon)
Jan-Oliver Thofern blickt entspannt auf die große US-Wahl. „Für die Versicherungsbranche ist es glücklicherweise kein Megaevent“, sagt der Chairman und Chief Executive Officer Aon Deutschland im Interview mit der Versicherungswirtschaft. Ganz losgelöst vom Ausgang agiert die Assekuranz allerdings nicht. Wichtig sei für die Versicherer die Frage, ob eine neue Regierung nach der Wahl markt- und unternehmensfreundliche Regelungen rückgängig machen würde, oder gar eine Reform der Steuerreform 2017 in Angriff nähme.
VWheute: Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Finanzkraft der Rückversicherer?
Jan-Oliver Thofern: Die Finanzkraft der Gesellschaften ist grundsätzlich weiterhin groß. Das zeigen die Bewertungen der Ratingagenturen. Die bislang gemeldeten Schäden durch Covid-19, machen etwa zwei bis drei Prozent des aggregierten Eigenkapitals aus. Diese Zahl bedeutet natürlich nicht, dass die Schäden bereits das Eigenkapital reduzieren, sondern soll lediglich die Größenordnung verdeutlichen. Aktuell handelt es sich um ein Ereignis, das die Gewinne, aber nicht das Kapital reduziert. Es gibt deshalb auch keinerlei Anlass, an der Werthaltigkeit der Erst- oder Rückversicherungsprodukte zu zweifeln. Für das Funktionieren des gesamten globalen Wirtschaftssystems ist dies ausgesprochen wichtig.
VWheute: Die Unsicherheiten scheinen mit Einflussfaktoren wie Corona, Wahlen oder auch der Klimathematik groß wie
selten zuvor zu sein. Wie trifft das den Versicherungsmarkt?
Jan-Oliver Thofern: Corona ist nicht spezifisch auf den US-Markt zu kommentieren. Auch wenn gewisse Unterschiede zu Europa vorhanden sind. Wenn man zum Beispiel schaut, wie die Originalvertragswortlaute ausgestaltet sind, findet man eine einheitlichere Landschaft vor als in Europa. Die US-Branche operiert häufig mit Standartwortlauten. Das ist in Deutschland in geringerem Maße der Fall.
VWheute: Darf man die Naturgefahrenentwicklung in den USA überhaupt isoliert betrachten?
Jan-Oliver Thofern: Nein. Rückversicherer diversifizieren einen großen Teil ihrer Portfolios für Naturgefahrenrisiken multinational und weltweit. Wir haben es erfreulicherweise in diesem Jahr bislang noch mit einem normalen Schadenjahr für Naturgefahren zu tun. Im Durchschnitt der letzten Jahre lagen diese Schäden bei etwa 60 Mrd. US-Dollar
VWheute: Inwiefern ist das politische Megaevent US-Wahl ein Risiko? Ist die Branche immun?
Jan-Oliver Thofern: Für die Versicherungsbranche ist es glücklicherweise kein Megaevent. Die Börsen haben zwar für kurze Zeit ins Minus gedreht, als bekannt wurde, dass Präsident Trump das Coronavirus hatte. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass ein Wahlgewinn der Demokraten sich negativ auf die Börse auswirken würde. Der Grundsatz, dass politische Börsen kurze Beine haben, hat sich schon häufig als zutreffend erwiesen – auch bei der Wahl von Trump 2016, als die Märkte kurzfristig stark zurückgingen, um danach Rekorde zu brechen. Wichtig für die Versicherer ist die Frage, ob eine neue Regierung nach der Wahl markt- und unternehmensfreundliche Regelungen rückgängig machen würde, oder gar eine Reform der Steuerreform 2017 in Angriff nähme. Das könnte negativ auf die Märkte wirken und auch den Konsum schwächen.
VWheute: Und die versicherungstechnische Seite?
Jan-Oliver Thofern: Ich kann mir in diesem Zusammenhang kein Szenario vorstellen, in dem für den Versicherungsmarkt in den USA durch Unruhen nach den Wahlen wirklich relevante Schäden entstünden. Der gesellschaftliche Schaden könnte hingegen beträchtlich sein. Ich würde das Wahlereignis, zumindest in der kurzen Frist, als neutral bewerten. Was in zwei oder drei Jahren ist, kann niemand absehen.
VWheute: Vier Jahre Donald Trump liegen hinter uns. Eine bewegte Amtszeit. Gibt es aus Ihrer Sicht etwas wie die wichtigsten „Markierungspunkte“?
Jan-Oliver Thofern: Ich glaube, das kann jeder selbst in den Statistiken und der Berichterstattung der seriösen Medien nachlesen, wie sich die USA in den letzten Jahren entwickelt haben. Die Steuerreform wird gelegentlich etwas verkürzt dargestellt. Tatsächlich hat sie auch dem Mittelstand und den Beziehern kleinerer Einkommen spürbare Vorteile gebracht. Nicht nur den Millionären. In der Folge haben die Amerikaner als Konsumnation dann auch deutlich mehr gekauft, was gut für die Wirtschaft war.
VWheute: Stichwort Innovation: Wie wichtig ist bei der Ideenfindung das Silicon Valley. Kann man sich als Versicherer wirklich so viel von Google und Co. abschauen?
Jan-Oliver Thofern: Ich würde nicht sagen, dass der Versicherungsmarkt Europa nicht innovativ genug ist. Es gibt einige Nachteile im Verhältnis zu den USA. Wir haben in Europa ein etwas zurückhaltenderes Verhältnis zum Kapitalmarkt allgemein und auch ganz speziell zur Start-up-Finanzierung. Man muss sich nur das Anlageverhalten der Sparer ansehen, um das zu verstehen. Der Anteil der Anleger mit einer eher risikoaffinen Mentalität ist in den USA größer. Außerdem haben wir mit Blick auf einige Länder in Kontinentaleuropa noch weitere Nachteile.
Die Fragen stellte VWheute-Chefredakteur Michael Stanczyk
Das vollständige Titelinterview lesen Sie in der neuen Novemberausgabe der Versicherungswirtschaft.
