Wahl-Special: Warum kein deutscher Versicherer am Weltmarkt USA vorbeikommt

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Die Vereinigten Staaten als Versicherungsmarkt bieten den Vorteil, dass über ein großes Gebiet 330 Millionen Menschen die gleiche Sprache sprechen, eine einheitliche Währung haben und der gleichen Gesetzgebung unterliegen. Und das Allerwichtigste: Die Menschen sind bereit, viel Geld für Versicherungen auszugeben. 39 Prozent der weltweiten Prämieneinnahmen stammen aus den USA und deutsche Gesellschaften verdienen kräftig mit.

Wird der Verlierer der US-Wahl das Ergebnis nicht akzeptieren, dann droht ein Bürgerkrieg. Ist das der Anfang von einem angeblich bevorstehenden Niedergang der USA, der seit einem halben Jahrhundert prognostiziert wird? Bislang ist dieser nie eingetreten. Politisch, kulturell und wirtschaftlich driftet die Nation zwar auseinander – und nicht erst seit Donald Trump – doch auf absehbare Zeit wird niemand den Vereinigten Staaten den Rang ablaufen. Nicht militärisch oder wirtschaftlich. Und so kann es sich auch kein großer Versicherer leisten, auf das US-Geschäft zu verzichten.

Boom-Märkte wie China haben zwar eine größere Bevölkerung. Diese ist aber in der Breite noch nicht in der Lage, viel Geld für Versicherungen auszugeben. In China kommt man auf Prämieneinnahmen in Höhe von rund 430 Dollar auf einen Einwohner. In Deutschland sind es 2.938 Dollar und in den USA stolze 7.495 Dollar. Die US-Versicherungsdurchdringung hält sich laut OECD seit Jahren stabil bei rund 11 Prozent. Mit über einer Billion Euro oder gut 39 Prozent des globalen Beitragsaufkommens sind die USA nach wie vor der größte Versicherungsmarkt weltweit.

Fragmentierte Regulierung verjagt ausländische Versicherer

23,6 Mrd. Dollar zahlte die Versicherungsbranche, die etwa 2,8 Millionen Menschen beschäftigt, 2019 an Steuern. Fast 6.000 Versicherungsgesellschaften befinden sich im Land. Europäische Player haben es da schwer, das hat historische Hintergründe.

Die älteste Versicherung der Welt, die Police gegen Brandschäden, wurde in dem Einwanderungsland zunächst von vielen ausländischen Versicherern, darunter Kanada, Deutschland, Russland, Schweiz oder Großbritannien, angeboten. 1881 entfielen 25 Prozent aller Prämien in der Feuerversicherung auf ausländische Assekuranzen. Meist gründeten Immigranten ihre eigenen Gesellschaften. 1913 waren 89 ausländische Versicherer aus 14 Nationen am US-Markt tätig. Laut Schätzungen generierten allein die Briten etwa 40 Prozent der gesamten US-Prämien zwischen 1870 und 1914. Rein amerikanische Schadenversicherer machten ebenfalls gute Geschäfte, sodass eine Expansion in andere Märkte der Welt sich nicht lohnte. US-Lebensversicherer wie Equitable, New York Life oder Mutual versuchten hingegen zu dieser Zeit bereits auch außerhalb der USA ihre Policen zu verkaufen.

Pioniere im Risikogeschäft: Viele Einwanderer, darunter auch Deutsche, gründeten
im 19. Jh. ihre eigenen Feuerversicherer. Dazu zählt die 1867 geschaffene German Fire
Insurance Company of Wheeling in West Virginia. (Bildquelle: RYAN STANTON / FLICKR/ https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/)

Ohnehin blieben die meisten Versicherer nicht nur im Heimatmarkt, sondern boten Policen nur innerhalb ihres Bundesstaates an. Das ist bis heute annähernd so geblieben, weil nach dem Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) das föderale System den Bundesstaaten eine Teilsouveränität gewährte und diese entsprechend unterschiedliche Regulierungsvorschriften und Standards für Versicherungen einführten. Das ist mit ein Grund, warum manche Versicherer sich nur auf eine Sparte konzentrierten. AIG spaltete sich kürzlich deswegen auf, um mit der Konkurrenz mitzuhalten. Die strenge Regulierung hatte zudem den gewollten Effekt, ausländische Assekuranzen vom US-Markt fernzuhalten.

Über 50 Jahre ohne deutsche Versicherer

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden ohnehin deutsche Gesellschaften aus den USA verbannt. Die Allianz kehrte erst 1974 auf den US-Markt zurück, nach dem sie bereits ihre internationale Belastungsprobe 1906 mit hohen Entschädigungzahlungen nach dem verheerenden Erdbeben in San Francisco oder nach dem Titanic-Untergang 1912 bestand.

Die Münchener sind eine der wenigen deutschen Gesellschaften, die auch im US Privatgeschäft tätig sind (Allianz Life). Im Industriegeschäft ist man über AGCS am Markt vertreten. Die Hälfte der Prämieneinnahmen von 9,1 Mrd. Euro erwirtschaftet AGCS in den USA.

In der gleichen Sparte ist Axa mit seiner US-TochterXL aktiv, die 18 Prozent zu den Gesamteinnahmen des französischen Konzerns beiträgt, aber nur ein Teil direkt aus den USA generiert. Wie bei XL hat man überwiegend über Zukäufe, darunter der US-Lebensversicherer Equitable (1991) oder Mutual of New York (2004) in den USA Fuß gefasst.

„Die Zahl und Qualität der Wettbewerber ist in den USA sehr hoch.“

HDI-Sprecher

Wie die Allianz wagte auch die Talanx in den 70er-Jahren den Sprung über den Großen Teich. Die Talanx-Tochter HDI Global SE erzielt heute etwa 14 Prozent des jährlich gezeichneten Bruttoprämienvolumens in den USA. „Die Zahl und Qualität der Wettbewerber ist dort sehr hoch“, erklärt ein HDI-Sprecher und macht gleichzeitig deutlich: „Wo gesunder Wettbewerb herrscht, fördert das die Entwicklung moderner Versicherungslösungen und bringt im Ergebnis höheren Service und mehr Qualität für die Versicherungsnehmer.“

Was das Industriegeschäft angeht, so verweisen viele Anbieter auf die Besonderheit, dass die Maklerbindung in den USA besonders ausgeprägt ist, während in Deutschland der Kontakt zum Kunden eine größere Rolle spielt. HDI sieht im US-Geschäft große Potenziale vor allem in den Bereichen Engineering (Technische Versicherung), Marine (Transport Versicherung) und Construction Casualty sowie im Industrie-Sachgeschäft, „wobei wir zu jeder Zeit das Management unserer Naturkatastrophen-Exponierung besonders im Auge behalten.“

Rückversicherer stellen trotz Wetterextreme Versicherbarkeit noch nicht in Frage

Dieser Hinweis ist die Kehrseite der hohen Versicherungsdichte und Wertekonzentration, die sich in der hohen Schadenbilanz der Versicherer bei Wetterextremen niederschlägt. Auch in diesem Jahr gab es bei Hurrikans und Waldbränden Rekordwerte. 100 bis 200 Euro kostet es in Deutschland oder Mitteleuropa ein Haus gegen Sturm und Hagel zu versichern. In Florida ist es um das zehn bis zwanzigfache teurer, weil dort die Gefahr durch Tropenstürme viel größer ist, erklärt Ernst Rauch, Klimaexperte bei der Munich Re. Sind manche US-Gebiete daher überhaupt noch versicherbar? „Aus Sicht eines Rückversicherers: Ja. Eine Nichtversicherbarkeit erwarten wir nicht in den kommenden Jahren. Aber wenn das Risiko steigt, dann kann der Versicherer oder Rückversicherer nicht anders darauf reagieren, als die Versicherungsprämien zu erhöhen“, sagt Rauch gegenüber dem Spiegel.

Etwa 50 Prozent der US-Haushalte sind gegen Naturkatastrophen versichert. Es liegt wohl auch zum Teil an den hohen Prämien, dass nicht noch mehr eine Elementarschäden-Deckung haben. Trotz Rekordschäden verdienen die Münchener nach wie vor gutes Geld mit den Amerikanern. Die Munich Re zeichnet bei Leben und Gesundheit ca. 40 Prozent des weltweiten Rückversicherungsgeschäfts in Nordamerika, wobei die USA mit ca. 25 Prozent vor Kanada mit ca. 15 Prozent rangieren. Im weltweiten Schaden- und Unfallrückversicherungsgeschäft, inklusive Risk Solutions, generiert man gemessen am Umsatz ca. 45 Prozent in Nordamerika (inklusive Kanada).

Auch für Hannover Rück, die ein Drittel ihrer Gesamtprämien in den USA erwirtschaften, kann man „durch ausreichende Risikostreuung, verstärkte Schadensverhütung und Schutzmaßnahmen“ weiterhin in Waldbrandgebieten oder in den durch Wirbelstürme exponierten Küstenregionen Versicherung angeboten werden. „Natürlich wirkt sich jedoch eine erhöhte Schadenlast auch auf die Preise und auf die notwendigen Selbstbehalte der Kunden aus. Viele Versicherer haben die Raten sehr deutlich nach oben angepasst und erfordern gleichzeitig deutlich höhere Eigenbeteiligung der Immobilieneigentümer. Die Modellierung, auch von Waldbrandgefahren, ist in den vergangenen Jahren sehr weit vorangeschritten, sodass eine Risikoselektion und Preisfindung durchaus vorgenommen werden kann“, erklärt Axel Freiboth, Managing Director Property & Casualty Treaty North America bei Hannover Rück.

Von den 38 Mrd. Dollar an Gesamtprämien erwirtschaftete der Konkurrent Swiss Re 2019 etwa 18 Mrd. Dollar in den USA. Die Schweizer hatten mit dem Erdbeben in San Francisco ihren historisch größten Schaden, aber haben laut eigenen Angaben dafür gesorgt, dass andere Erstversicherer dadurch nicht Pleite gegangen sind. Der Rückversicherer profitierte ebenfalls davon, dass deutsche Konkurrenten eine Zeit lang international keine Geschäfte tätigen konnten. Somit wollen die Schweizer traditionell dem US-Markt nicht so schnell den Rücken kehren und glauben weiterhin, dass „wetterbedingte Risiken versicherbar bleiben“.

Autor: David Gorr

Lesen Sie ausführlich die Titelgeschichte zum US-Markt in der November-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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