SV-Chef Jahn: „Dass wir ein Unternehmen werden, dessen Mitarbeiter nur noch zu Hause – oder gar aus der Ferienwohnung auf Mallorca – arbeiten, mag ich mir nicht vorstellen“
Was erwartet uns 2022? Vermutlich werden uns die gleichen Themen beschäftigen wie 2021. Das wird allerdings keineswegs langweilig. Corona wird uns noch lange begleiten. Nach Monaten wiedergewonnener Freiheiten hat sich die Situation drastisch verschärft und vor allem die Situation in den Krankenhäusern ist dramatisch. Entscheidend wird sein, wie schnell und konsequent jetzt gehandelt wird. Spannend wird sein, ob die neue Ampel einer Impfpflicht grünes Licht geben wird. Ein Ausblick von Dr. Andreas Jahn, Vorstandschef der SV SparkassenVersicherung.
Auch über Corona hinaus wird das Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit der neuen Regierung das Leben der nächsten Jahre prägen. Ich hoffe, dass nun die wirklich wichtigen Themen angegangen werden. Im Hinblick auf neue Regulierungsmaßnahmen wünsche ich mir, dass immer auch die Frage gestellt wird, ob damit tatsächlich ein Mehrwert für Verbraucher erreicht wird. Ich habe den Eindruck, dass wir nicht selten Lösungen diskutieren, ohne ein Problem zu haben. Vielleicht bringt die geplante Cannabis-Legalisierung ja eine gewisse Gelassenheit mit dämpfender Wirkung auf die ausufernde Regulierung.
Spannend wird die Diskussion zur Elementarschadenversicherung. Gemessen an den versicherten Schäden ist „Bernd“ mit mehr als 7 Mrd. EUR das größte Elementarereignis in Deutschland. Zudem waren mehr als 180 Todesopfer zu beklagen, das kannten wir bisher nicht.
Infolge der Klimaänderung werden wir extreme Elementarereignisse häufiger erleben. Das zeigen wissenschaftliche Studien seit Jahrzehnten ohne jeden Zweifel. Da solche Schäden außerhalb von Baden-Württemberg trotz intensiver Bemühungen häufig noch immer nicht versichert sind, gibt es aktuell wieder den Ruf nach einer Pflichtversicherung. Das greift aber zu kurz.
Die deutschen Versicherer haben in den letzten Monaten eine umfassende Lösung erarbeitet, die auch die Prävention umfasst. Es geht darum, in hochwassergefährdeten Gebieten keine Baugebiete mehr auszuweisen und Schutzmaßnahmen umzusetzen. Es geht um ein anderes Risikobewusstsein. Unser Lösungsvorschlag zeigt einen Weg, die Versicherungsdichte sehr schnell auf mehr als 90 % zu erhöhen – heute ist nicht einmal jedes zweite Haus umfassend gegen Elementarschäden versichert.
Ich hoffe, dass wir die schrecklichen Bilder aus dem Ahrtal nicht zu rasch verdrängen. Nachdenklich stimmt mich, dass wir bei der Erarbeitung dieser Lösung auf einem Konzept aus dem Jahr 2003 aufgesetzt haben, das nach den extremen Hochwasserschäden 2002 erstellt, dann aber beiseitegelegt wurde, weil andere Themen wichtiger waren. Das sollten wir diesmal nicht tun. Als Marktführer in der Gebäudeversicherung in unserem Geschäftsgebiet und ehemaliger Monopolversicherer in Baden-Württemberg suchen wir den konstruktiven Dialog mit der Politik und sind bereit neue Wege zu gehen.
Homeoffice gefährlich für Unternehmenskultur
Ein weiteres Thema, das uns 2022 beschäftigen wird, ist die Frage, wo man zukünftig arbeiten wird. In vielen Beiträgen lese ich, dass Homeoffice nun auf Dauer den Idealzustand darstellt und notwendig ist, um als moderner und attraktiver Arbeitgeber im „War for Talents“ bestehen zu können. Ich lese das mit gemischten Gefühlen.
Dass wir ein Unternehmen werden, dessen Mitarbeiter*innen nur noch zu Hause – oder gar aus der Ferienwohnung auf Mallorca – arbeiten, mag ich mir nicht vorstellen. Homeoffice funktioniert in der aktuellen Situation gut, auf Dauer geht aber etwas verloren – unsere Unternehmenskultur. So ist es herausfordernd, neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Werte eines Unternehmens zu vermitteln.
Ein Unternehmen ist mehr als ein Marktplatz, an dem Arbeitsleistung gegen Geld getauscht wird. Unsere SV SparkassenVersicherung ist ein soziales Gebilde, man trifft Freunde und auch schon mal seinen späteren Lebenspartner. Insofern halten wir an unserem Modell fest: zwei oder drei Tage zu Hause arbeiten und zwei oder drei Tage im Büro. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, übrigens auch schon vor Corona.
Bestes Neugeschäft in der Lebensversicherung seit 2004
In der Krise zeigen wir uns stabil und verlässlich, wie man es von einem guten Versicherer erwartet. Das galt 2020, daran hat sich 2021 nichts verändert und das wird auch 2022 so sein. Im Gegenteil – 2021 haben wir es noch besser als im ersten Corona-Jahr geschafft, Kunden von uns zu überzeugen. In der Schaden-/Unfallversicherung werden wir über Markt wachsen und das beste Neugeschäft der letzten Jahre erreichen. In der Lebensversicherung erwarten wir dieses Jahr sogar das beste Neugeschäft seit 2004. Hier macht mir nur Sorge, dass die gestiegene Inflation bei anhaltendem Niedrig- oder Negativzins zu einer Vermögensvernichtung bei den Menschen führt, die sparen und eigenverantwortlich fürs Alter vorsorgen. Das halte ich gesellschaftlich für eine sehr kritische Entwicklung.
Unsere positive Geschäftsentwicklung zeigt für mich klar die Überlegenheit unseres Geschäftsmodells. Mit unseren Vertriebspartnern in den Regionen legen wir den Grundstein unserer Kundenbeziehung: Vertrauen. Und auf dieser Basis sind wir unseren Kunden auch digital nah. Digitale Nähe ersetzt nicht die physische Nähe, vielmehr erleichtert die physische Nähe den digitalen Kundenkontakt. Davon bin ich überzeugt und daher auch optimistisch für 2022.
Und was die Wünsche für 2022 angeht: Wäre es nicht schön, die Corona-Pandemie endlich zu überwinden und wieder zu einer gewissen Normalität zurückzufinden? Wenn wir im Unternehmen wieder Kolleginnen und Kollegen beim Kaffee holen treffen und über das vergangene Wochenende reden? Wäre es nicht ein gutes Gefühl zu wissen, dass man sich im Falle einer zukünftigen Naturkatastrophe zumindest über die Sachschäden keine Sorgen machen müsste?
Gehen wir optimistisch ins neue Jahr, genießen aber erst einmal ruhige und besinnliche Tage zwischen den Jahren und tanken Kraft für die neuen alten Themen.
Autor: Dr. Andreas Jahn, Vorstandsvorsitzender SV SparkassenVersicherung.