Perspektive 2022: Was war, was kommen wird

Oliver von Ameln ist seit 2015 Geschäftsführer beim IT-Profi adesso insurance solutions GmbH.

Auch 2021 stand natürlich unter dem Einfluss der Pandemie. Vor allem die Notwendigkeit der Digitalisierung von Prozessen und Produkten wurde Versicherungen deutlich vor Augen geführt. Automatisierung, Dunkelverarbeitung und perspektivisch auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) spielen 2022 eine wichtige Rolle, sagt Oliver von Ameln, Geschäftsführer bei der adesso insurance solutions GmbH in seinem Ausblick.

Potenzial der Dunkelverarbeitung wird nicht ausgeschöpft

Die Dunkelverarbeitung ist im Grunde bei allen Versicherungen nicht ausreichend. In Teilprozessen ist sie realisiert, selten aber „Ende zu Ende“. Gute Ergebnisse finden wir bei den Spitzenreitern in der Schaden-/Leistungsbearbeitung. Da können bei einigen Leistungsarten bis zu 80% der Einreichungen dunkel verarbeitet werden. Das klappt bei einfachen Belegarten wie der Abrechnung einer Sehhilfe oder einer professionellen Zahnreinigung in der PKV wie auch dem Einsatz einer neuen Windschutzscheibe in der Kfz-Versicherung. Insbesondere hier sehen wir ebenfalls schon digitale Datenströme zwischen Leistungserbringer und Versicherern; die PKV steht dabei aber leider noch ganz am Anfang, weil die Strukturdaten am Eingang fehlen. Da wird es endlich Zeit, dass die Telematik-Infrastruktur Fahrt aufnimmt.

KI ist kein Mythos mehr

Die Missverständnisse und Unsicherheiten rund um den Begriff Künstliche Intelligenz sind weniger geworden. KI wurde weiter entmystifiziert. In der Realität sprechen wir von maschinellem Lernen mit Stützvektorverfahren oder tiefen neuronalen Netzen, die nicht empfindungsfähig sind und schon gar keinen eigenen Antrieb haben. KI kann Muster schneller erkennen und Prognosen sicherer treffen. Deshalb ist sie zu Recht im Werkzeugkasten der IT angekommen. Der Hype ist vorbei, praktikable Lösungen für das Schaden- und Leistungsmanagement werden angeboten und erfolgreich eingesetzt. Das ist gut und hilft allen.

Ihren Mitarbeitenden sollten Versicherer vermitteln, dass KI kein Jobkiller ist, sondern eine Job-Erschaffungsmaschine. Ohne breite Akzeptanz in der Belegschaft ist kein Wandel fruchtbar. Natürlich ändern sich Arbeitsfelder, aber nur durch erhöhte Produktivität lässt sich verantwortungsvolles Wachstum gestalten. Kundinnen und Kunden sollte die diffuse Angst vor einer sich verselbstständigenden Maschine und mangelndem Datenschutz durch einfache Erklärungen genommen werden. Beispielsweise, dass beim Einsatz von KI selbstverständlich die gleichen Gesetze zum Schutz persönlicher Daten gelten wie bei der händischen Bearbeitung.

An der Cloud führt kein Weg mehr vorbei

Die Cloud ist mittelfristig für Versicherer „the place to be“. Gestiegene regulatorische Anforderungen, vor allem bei der Datensicherheit, machen den Betrieb eines eigenen Rechenzentrums immer aufwendiger, sodass mittelständischen Versicherern über kurz oder lang kaum eine andere Wahl bleibt. Die „Cloud“, verstanden als die Nutzung von im Internet bereitgestellter Software, ist in der Lebenswelt der Menschen angekommen. Personenbezogene Daten können in Komposit- und Personenversicherung mittlerweile EIOPA-konform auch auf den Plattformen der Hyperscaler wie AWS, Azure & Co. gehostet werden. Durch die Einführung des C5-Standards seitens des BSI haben wir mittlerweile zertifizierbare Mindestanforderungen, die durch Wirtschaftsprüfer bestätigt werden können und so die Vorstände in ihrer Entscheidung für Cloud-Anbieter entlasten. Das wird den Trend weiter beschleunigen.

Effizienter nutzbar wird die Cloud, wenn man nicht mehr nur „platform shift“ betreibt, also die bestehenden Anwendungen in Container verpackt  und auf ein anderes „Blech“ transferiert, sondern wenn man „cloud native“ entwickelt. Hierbei sind andere Architekturprinzipien gefragt (Serverless, Microservices, Kubernetes as a Service, etc.), die nun Einzug in die IT-Abteilungen halten müssen.

Corona hat die Digitalisierung beschleunigt

Corona hat viele Unternehmen in sehr kurzer Zeit motiviert, Remote-Zugänge nicht nur für Meetings, sondern auch für die Sachbearbeitung einzurichten. Ich kann mir vorstellen, dass die Zahl der Postsendungen an und von Agenturen massiv reduziert wurde, weil sich kaum jemand physisch mit Dokumenten beschäftigen konnte oder wollte. Die größte Überraschung aber haben die Vermittler selbst erlebt: In einigen Agenturen ist mehr Geschäft gezeichnet worden als vor der Pandemie. Durch die Umstellung auf Video-Beratungstermine ist die Terminfrequenz erhöht worden und die Konversionsrate dabei kaum gesunken. Das hat zu mehr Kundenkontakt und somit zwangsläufig auch zu mehr Anträgen geführt, die letztlich auch in Verträge mündeten. Damit hatte zu Beginn des Lockdowns niemand gerechnet. Jetzt gilt es, diese Digitalisierungsgewinne zu kultivieren und langfristig in die Vertriebsstrategie einzuarbeiten. Der regionale Vertrieb hat dabei aber nicht an Bedeutung verloren! Auch hier gilt: „Multikanalansprache“ muss jetzt ordentlich in die Agentursysteme integriert werden; viele Vertriebler haben sich bis dato mit selbstgestrickten Lösungen beholfen. Da besteht noch viel Optimierungsspielraum für die digitale Unterstützung.

Kooperationen statt eigener Ökosysteme

Auch die Diskussion um (eigene) Ökosysteme begleitet uns seit Jahren. Immer wieder gab es Versicherer, die annahmen, dass andere Marktbegleiter nur auf die von ihnen entwickelten „Ökosysteme“ warten. Eine Initiative setzte auf eine „Open Source Plattform“, auf der die eigene Verwaltungssoftware in Kombination mit anderen Produkten verschenkt werden sollte. Der Erfolg blieb aber bis heute aus. Man macht sich eben in der Assekuranz genauso ungern abhängig vom Wettbewerber wie anderswo. Jetzt ist aber klar, dass die zunehmende Komplexität in der Kommunikation mit Dienstleistern, Partnern und Kunden nicht von einem Unternehmen allein bewältigt werden kann. Deshalb sehen wir eine Tendenz weg vom Paradigma des Ökosystems, hin zu sinnvollen Kooperationen und Zusammenschlüssen von Leistungserbringern, zum Beispiel in der Pflegefallbearbeitung in der PKV oder der Betrugsprävention/-aufdeckung in der Kompositversicherung. Generell ist das Thema Kooperation heute leichter zu vermitteln als noch vor einigen Jahren. Trotz erlebbarer Differenzierungsmerkmale können Wettbewerber auch gut gemeinsam zum Ziel kommen, ohne an Profil zu verlieren.

Datengetriebene Softwareentwicklung wird zunehmen

Ein Haupttrend ist der Umbau zu datengetriebener Softwareentwicklung. Die Möglichkeiten der KI sind erkannt, jetzt müssten die Unternehmen Kompetenzen erwerben und neue Positionen schaffen. „Data Analyst“ und „Data Engineer“ sind für diesen Umbau arbeitsteilig nötig und werden nächstes Jahr sicher häufiger in Stellenanzeigen von Versicherungen zu lesen sein. KI & SaaS werden uns also weiterhin beschäftigen. KI kann insbesondere in der Schaden-/Leistungsbearbeitung enorm hilfreich sein, aber auch in der Tarifierung in Bezug auf die risikoadaptierte Berechnung. Fahrerprofile werden heute schon von den Marktführern einbezogen, aber auch in anderen Versicherungszweigen wie der Gebäudeversicherung sind KI-Methoden geeignet, frühzeitig Schäden z.B. im Leitungswassernetz zu erkennen und durch Prävention größere Volumina zu vermeiden. Und für SaaS gibt es eine Menge guter Argumente. Darunter sicherlich, dass mit der richtigen Strategie die TCO (Total Costs of Ownership) massiv gesenkt werden können und dass die ortsunabhängige Vernetzung verschiedener Akteure, beispielsweise für die oben angesprochenen Kooperationen, erleichtert beziehungsweise erst ermöglicht wird.

Zum Autor: Oliver von Ameln ist seit 2015 Geschäftsführer beim IT-Profi adesso insurance solutions GmbH. Er verantwortet die Bereiche Marketing sowie Vertrieb und verfügt über langjährige Erfahrung in der Versicherungsbranche.