Gothaer: Assekuranz muss Risiken übersetzen VWheute Sprint

Matthias Land, Chefaktuar Schadenversicherung im Gothaer-Konzern. Quelle: lie
Das Risiko von Naturkatastrophen wächst durch den Klimawandel, wird aber vielfach nicht richtig verstanden. Risikotechnische Begriffe müssen nach Einschätzung von Matthias Land übersetzt werden. „Viele, auch in der Assekuranz, verstehen nur einzelne Teile“, sagt der Chefaktuar Schadenversicherung im Gothaer-Konzern. Bei der Elementarschadendeckung geht es üblicherweise um die Versicherung seltener, aber meist existenzbedrohender Naturgefahrenereignisse – etwa der Jahrhundertflut. „Aussagen zur Jährlichkeit oder Wiederkehrperioden sind äußerst problematisch und nur scheinbar einfach zu verstehen“, sagt Land.
Denn: Wie oft bei Missverständnissen steckt der Teufel in Details: Auf welche Zielgröße wird bei einem 100-Jahresereignis abgestellt – auf eine monetäre Schadensumme oder eine meteorologische Messgröße? Auch Faktoren wie die Zeitdauer, die betrachtete Region und die Risikoart beeinflussen die Ausprägung.
Gegen Naturgefahren ist nach wie vor mehr als die Hälfte der Immobilien nicht abgesichert. Die Folge: Nur sieben Milliarden Euro (inklusive Kraftfahrt) Schäden sind durch das Tief Bernd (Juni) versichert. 29 Mrd. Euro müssen Bund und Länder aufbringen, damit die vom Wasser zerstörten Gemeinden wieder ans Laufen kommen. Damit ist wieder die Diskussion um eine Pflichtversicherung entbrannt.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat jüngst ein Positionspapier für ein „neues Gesamtkonzept zur Klimafolgenanpassung“ veröffentlicht. Darin geht es erstens um verbindliche Schritte zur Klimafolgenanpassung (betrifft im Wesentlichen den Baubereich), zweitens um den Versicherungsschutz für private Hauseigentümer und drittens um staatliche Unterstützung der Assekuranz in einem „katastrophalen Kumulschadenfall“. Die Eintrittsschwelle für eine Stop-Loss-Regelung durch den Staat soll „jenseits des heute bekannten 200-Jahres-Schaden“ liegen. Die Höhe eines solchen 200-Jahresereignis beziffert der Verband nicht. Auf Nachfrage wird von einem „substanziellen zweistelligen Milliardenbetrag“ gesprochen, der „ein Mehrfaches“ von „Bernd“ ausmache.
Bei der Gothaer geht man, wie überall in der Branche, davon aus, dass Starkregen-Ereignisse wegen des Klimawandels zunehmen werden. „Ein wärmerer Nordpol senkt die Temperaturdifferenz zum Äquator, der Jetstream verlangsamt sich, und es kommt zu weniger Wetteränderungen. Auf die wachsende Zahl von feuchten Sommern haben wir uns in der Rückversicherung mit einer Aggregatdeckung eingestellt“, so Land. Versichert ist so eine hohe Schadenlast aus vielen kleineren Ereignissen über einen Zeitraum. Einzelereignisdeckungen bei Sturmtiefserien können zu Deckungslücken führen, wenn diese in ihrer Einzelschadenlast jeweils nicht durch die Rückversicherung gedeckt sind, aber sich in der Jahresgesamtschau dann doch zu einem großen Schaden kumulieren.
Beim Gothaer-Konzern belaufen sich die „Bernd“-Schäden auf brutto 470 Mio. Euro. „Das ist hoch reserviert“, so Land. Die abgerechnete Schadensumme falle sicher niedriger aus, auch wenn die Schäden bei „Bernd“, anders als bei den bisherigen Hochwassern, zeitlich verzögert gemeldet würden.
Das Sturmtief „Bernd“ nennt Land ein „between“ von Starkregen und Überschwemmung. „Nicht so kleinflächig wie Starkregen üblicherweise und von langer Dauer. Deshalb spricht der GDV auch von einer Sturzflut.“ Für Starkregen seien unter anderem Parameter wie Topologie, Abflusswege und Bodenbeschaffenheit entscheidend. „Das hängt von kleinsten lokalen Gegebenheiten ab“.
Aktuell wird im GDV die unverbindliche Tarifkalkulation Elementar überarbeitet. Erstmals sollen die Starkregengefährdungsklassen ein Risikomerkmal sei. Auch die Risiko-Modellierungsfirmen arbeiten daran, in ihren Überschwemmungsmodellen die Starkregenkomponente besser abzubilden. „Dieser Trend hat sich durch Bernd beschleunigt“, so Land.
Autor: Monika Lier