Kongressgeflüster: Nach dem „Gruß aus der Brüsseler Küche“ fürchten Verbände den Regulierungsnachschlag

Geflüster und Gemunkel wegen neuer Vertriebsrichtlinien. Bild von Szilárd Szabó auf Pixabay.

Bei den Verbänden herrscht nach der Bundestagswahl beträchtliche Verunsicherung, welche politischen Entwicklungen auf die Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler zukommen. Die Verbände fürchten deutliche Verschlechterungen für die Branche. Übereinstimmung gab es zwischen dem Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) und dem AfW – Bundesverband Finanzdienstleistung, dass eine sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Bündnis90/Die Grünen für die Anliegen der Vermittlerschaft deutlich positiver wäre. Das Fazit zogen die Lobbyisten in einer Diskussion auf dem MCC-Kongress „VersicherungsVertrieb der Zukunft 2021“.

Längere Laufzeit für Abschlussprovision

Gleichzeitig betonten die Vertreter beider Verbände, dass sie vor allem auf die FDP und die Grünen setzen, wenn es darum geht „marktwirtschaftliche Ansätze durchzusetzen“. Deutlich wurde zudem, dass die Lobbyisten davon ausgehen, dass sie mit einer SPD in der Regierungsverantwortung mit größeren Problemen für die Versicherungsvermittlung rechnen. Zudem werde die Einführung eines Provisionsdeckels in der Lebensversicherung wieder in die Diskussion kommen. „Wenn die Politik ihn nicht einführt, dann wird es die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht versuchen“, glaubt Norman Wirth, der beim AfW Geschäftsführender Vorstand ist. Dies habe Frank Grund, BaFin-Exekutivdirektor für Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, bereits mehrfach öffentlich verlauten lassen. „Das wäre aber eine Grenzüberschreitung. Denn die Bafin ist kein Gesetzgeber“, kritisierte Wirth. Der AfW würde auf ein solches Vorhaben daher „stark reagieren“.

Statt eines Provisionsdeckels, der laut BVK-Präsident Michael H. Heinz in der Privaten Krankenversicherung (PKV) von vielen Akteuren schlau umgangen werde und daher wenig sinnvoll sei, schlägt er für die Lebensversicherung eine Reform der Abschlussvergütung vor. „Wir können mit der Politik diskutieren, ob man bei der Upfront-Vergütung nicht eine Verlängerung der Laufzeit macht, losgelöst von Stornozeiten“, so Heinz. Die Abschlussvergütung wäre nämlich immer noch unter dem Motto „Anhauen, umhauen, abhauen“ ein sehr emotionales Thema.

Servicepauschalen im Trend

Stark machte sich Wirth für eine „friedliche Koexistenz“ von Honorar und Provisionen. Daher forderte er die Versicherungsbranche auf, mehr Nettotarife auf den Markt zu bringen. „Ich könnte mir vorstellen, dass Nettotarife zu jedem Bruttotarif Pflicht werden. Das gibt es auch schon in anderen Ländern“, so Wirth. Es wäre besser, wenn die Branche hier aktiv werde, bevor es der Gesetzgeber mache. Gleichzeitig würden nach seiner Erfahrung als Anwalt aus der Praxis derzeit sogenannte Servicepauschalen „Fahrt aufnehmen“. Damit würden Leistungen bepreist, die nicht von der Provision oder Courtage erfasst werden. „Das halte ich für gut“, so Wirth. Versicherungsvermittler sollten mit Steuerberatern und Rechtsanwälten gleichziehen. Wirth verwies auf den Arbeitskreis Beratungsprozesse, der aktuell zwei Musterverträge für private und gewerbliche Servicepauschalen veröffentlicht hat. „Damit soll dem Wildwuchs in der Branche Einhalt geboten werden“, so der Jurist, dessen Kanzlei an der Erarbeitung der Musterformulare beteiligt war. „Trotzdem soll natürlich die Provision und die Courtage Leitvergütung bleiben.“

Nachhaltigkeit noch Problem

Unzufrieden ist BVK-Chef Heinz mit der Resonanz seiner Mitgliedsunternehmen bei der Schulung zum nachhaltigen Betrieb. „Wir bieten hier Webinare an, doch die Resonanz ist überschaubar“, so Heinz. Es ginge dabei nicht nur darum, dass der Vermittler künftig mit dem Fahrrad zum Büro fahre, sondern auch um die nachhaltige Beratung zu Produkten. Wirth wies darauf hin, dass die Transparenzverordnung zum März 2021 nur der erste „Gruß aus der Brüsseler Küche“ gewesen sei. So wird sukzessive die Taxonomieverordnung zur Umsetzung gelangen und zum 2. August 2022 kommen über schon beschlossene Änderungen der delegierten Verordnungen zu IDD und MiFID2 weitere Beratungspflichten der Vermittler beim Kunden in Bezug auf Nachhaltigkeitspräferenzen hinzu. Es gehe also um ESG-Beratung und ESG-Dokumentation. Derzeit sei noch unklar, wie hier die Pflichten der Vermittler im Detail aussehen.

Uwe Schmidt-Kasparek