„Unwetter haben zu einer steilen Lernkurve geführt“ – Matthew Whittall von der Innovation Group kennt die Zukunft der Schadenbearbeitung

Matthew Whittall, CEO der Innovation Group Deutschland. Quelle: Redaktion.

Heute startet der Messekongress „Schadenmanagement & Assistance“. Was liegt näher, als vorab mit Matthew Whittall über die neusten Trends in der Schadenbearbeitung zu sprechen? Der CEO der Innovation Group Deutschland ist nicht nur Profi, sondern auch ein feiner Vordenker, wie er in vorherigen und diesem Interview bewies.

VWheute: Als wir im Februar sprachen, hatten Sie gerade ihr neues Schadenmanagementsystem gestartet. Wie lief es, wo hakt es?

Matthew Whittall: Wir haben Gateway Anfang 2021 in einer Pilotphase in Deutschland gestartet. Die Testphase läuft sehr gut, sodass wir sukzessive immer mehr Teilnehmer zu Gateway hinzufügen können. Zwei große namhafte Versicherungen sind im Juli hinzugekommen. Weitere werden folgen. Derzeit wickeln wir rund 15 Prozent unseres Vermittlungsvolumens über unser digitales Schadenmanagement-Tool ab. Unser Ziel ist es bis Jahresende rund 50 Prozent der Schadenfälle über Gateway laufen zu lassen. Ich bin zuversichtlich, dass wir dies schaffen werden.

Unabhängig davon haben wir in den vergangenen Monaten eine steile Lernkurve durchlebt. Durch das starke Schadenaufkommen infolge der heftigen Unwetter im Juli mitten in der Reisesaison konnten wir die Kapazitäten von Gateway zwar erhöhen, es wurden uns aber auch Schwachstellen offengelegt. Diese konnten wir in Arbeitsgruppen und durch einen steten Austausch mit allen Prozessbeteiligten weitestgehend beheben. Es zeigt aber, dass die digitale Transformation kein abgeschlossener Prozess ist, sondern von fortwährenden Optimierungen lebt. Genau hier liegt der Vorteil. Wir können mit Gateway dem steten Wandel und der steigenden Komplexität in der Schadensteuerung viel besser begegnen als es in der analogen Steuerungswelt möglich war. Das zeigt sich bereits heute in der Kundenzufriedenheit. Diese ist mit einem Durchschnittswert von 4,7 von 5 Sternen sehr positiv, was für die einfache Handhabung des Tools spricht, aber auch für den Schritt, die Geschädigten aktiv in den Prozess einzubinden.

VWheute:  Welche Änderungen gab es seit dem Start und warum?

Matthew Whittall: Wir konnten uns auf die Erfahrungen aus anderen europäischen Märkten verlassen und haben eine sehr gute Grundlage geschaffen. Während der Testphase zeigt sich dann mit steigendem Volumen, wo es Verbesserungspotenzial gibt. Das haben auch wir festgestellt und verbessert. Vor allem bei der Benutzerfreundlichkeit haben wir nachgebessert und das Fein-Tuning zum Kalkulationssystemanbieter vorgenommen. In den vergangenen Monaten haben wir zudem ein Terminbuchungs-Tool für die Endkunden integriert. Dies ist insbesondere für den Anstoß des Schadenprozesses hilfreich und sorgt bei allen Prozessbeteiligten für Erleichterungen. Bei massiven Auftragsanstiegen wie in den vergangenen Monaten und dadurch bedingten Verzögerungen hat sich gezeigt, dass sich die Kunden durch smarte digitale Lösungen selbst helfen wollen und können. Über eine schnittstellenbasierte, digitale Schadensteuerungsplattform wie Gateway haben sie die Möglichkeit, eigenständig ihren Schaden bei ihrer Versicherung anzulegen und sogar direkt einen Wunschtermin für die Reparatur bei einer Partnerfirma ihrer Versicherung abzustimmen.

VWheute: Wo liegen die aktuellen Herausforderungen im Schadenmanagement und warum kann unabhängiges Schadenmanagement dabei helfen?

Matthew Whittall: Die vergangenen Monate waren herausfordernd, denn sie haben uns die Herausforderungen einer digitalen Transformation aufgezeigt und zugleich die zunehmenden Unbestimmbarkeiten im Schadenmanagement deutlich gemacht. Wir erleben gerade extreme Volumenschwankungen und die Volatilität in den Schadenzahlen strapazieren alle Prozessbeteiligte gleichermaßen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt die Infrastruktur und die Prozessabläufe im Schadenfall optimieren und eben digitalisieren. Die Herausforderungen im Schadenmanagement liegen ganz klar in der Digitalisierung der Branche und den Veränderungen bei den Fahrzeugen. Ziel aller beteiligten Parteien ist eine schnelle und reibungslose Schadenabwicklung, daher setzen wir neben unserem umfangreichen Expertennetzwerk auf Technologie. Dabei kommt uns unsere Expertise aus verschiedenen Märkten und der 360-Grad-Blick auf die Branche zugute. Als unabhängiger Schadenmanager können wir unvoreingenommen agieren und sind Schnittstelle zu allen Prozessbeteiligten. Genau dies bilden wir mit Gateway digital ab.

VWheute: „Kein Versicherer hat eine ganzheitliche Strategie beim Schadenmanagement“, lautet eine kürzlich aufgestellte These. Stimmen Sie zu und was ist die Lösung?

Matthew Whittall: Die Versicherer gehen immer mehr dahin, den Kunden in den Mittelpunkt zu setzen. Ein richtiger Ansatz, da so ein ganzheitliches Ziel klar erkennbar wird, das alle Beteiligten einschließt. Bleibt die Frage, wie der Weg zu diesem Ziel konkret aussehen soll. Eine ganzheitliche Lösung scheint aber momentan von keinem Versicherer wirklich realisiert zu werden. Alleine werden die Versicherungen diese Thematik auch nicht umsetzen können. Es bedarf kompetenter und erfahrener Partner und Dienstleister, um ein zukunftsfähiges Schadenmanagement zu realisieren. Aus anderen Branchen wissen wir, wie die Erwartungshaltung der Kunden heute ist. Sie wollen transparente, einfache Prozesse und das am liebsten mobil. Das wollen Versicherer auch. Doch mit der bestehenden Techniklandschaft und der aktuellen Personalstruktur ist der digitale Wandel noch immer eine Herausforderung.

VWheute: Gibt es Fortschritte bei der Bild- und Scantechnologie sowie der Betrugserkennung – branchenweit und intern?

Matthew Whittall: Es sind sehr gute Fortschritte zu erkennen. Die Technologie ist zwar noch nicht so weit, dass sie ein ganzes Experten-Gutachten ersetzen könnte, dennoch ist sie hilfreich, um eine erste grobe Kostenkalkulation zu erstellen. So lässt sich der geschätzte Reparaturaufwand, also der Faktor Zeit in der Werkstatt, bereits bei der Terminbuchung miteinbeziehen. Im Falle von Flottenfahrzeugen lässt sich zudem die Dringlichkeit einer Reparatur anhand von Bild- und Scantechnologie bestimmen. Wir sind mit KI-Dienstleistern im Austausch, um hier entsprechende Schnittstellen zu schaffen.

VWheute: Das Schadenmanagement wird sich stärker digitalisieren und an Effizienz und Geschwindigkeit gewinnen, sagten Sie im Februar. Hat das verstrichene halbe Jahr bereits Ergebnisse zutage gefördert?

Matthew Whittall: Wir können mit Gateway heute einen volldigitalen Reparaturprozess abbilden. Auf der Schadenmanagement-Plattform befinden sich aktuell rund 1.100 Werkstätten und rund 4.000 Userinnen und User. Bereits jetzt können wir die voll digitalisierten Schadenfälle um 30 Prozent schneller abwickeln als früher. Unser aktueller Fokus gilt den Versicherern, die wir auf unsere Plattform bringen wollen. Wir können alle Beteiligten am besten dadurch überzeugen, wenn wir die Technologie noch einfacher und intuitiver gestalten.

VWheute: Was sind Ihre nächsten Ziele als Unternehmen?

Matthew Whittall: Unser Ziel ist die Vereinfachung des Schadenmanagements. Einen großen Schritt dahin werden wir mit Gateway machen. Die Vernetzung von Kunden, Versicherungen und Werkstätten über verschiedene Schnittstellen wird einen beschleunigten Prozess ermöglichen und so den Stress aus dem Schaden nehmen. Ein kurzfristiges Ziel ist, das bestehende Geschäft zu 100 Prozent auf Gateway zu verlagern. Dazu arbeiten wir an der optimalen Schnittstellenerweiterung zur Versicherungsseite. Derzeit rechnen wir mit der Finalisierung im Frühjahr 2022. Derweil sind bereits andere Marktteilnehmer auf Gateway aufmerksam geworden, weshalb wir auch für andere Bereiche über eine Ausweitung nachdenken und in konkreten Planungen sind.

Weitere News zum Unternehmen:

„Zum 1. November 2021 werden die Innovation Group und ihre Tochtergesellschaft, die Wintec Autoglas GmbH, ihren Versicherungsvertrieb zusammenlegen. Mit diesem strategischen Schritt wollen beide Unternehmen Synergien, die sich durch die Bündelung der jeweiligen Sales- und Key-Account-Aktivitäten ergeben, noch besser nutzen. Geleitet wird die neue Einheit, die unter dem Dach der Innovation Group firmiert, von Markus Buchcik. „

Die Fragen stellte Maximilian Volz