Schadenexperte Matthew Whittall: „Komplette Dunkelverarbeitung und Drohnenbilder sind derzeit Fiktion“

Matthew Whittall, CEO der Innovation Group Deutschland im Interview. Quelle: Unternehmen,

Die Innovation Group steuert Kfz-Schäden für etwa ein Drittel des Marktes und steht somit in der Mitte des hochkochenden Disputs zwischen Werkstätten und Versicherern. Zum heutigen Start des neuen Prozessmanagement-Tools, das Handling der Schadenbearbeitung über eine Online-Plattform erlaubt, sprach VWheute mit Deutschland-CEO Matthew Whittall. Der Fachmann erklärt, warum hundertprozentige Dunkelverarbeitung weiter Zukunftsmusik ist, es wegen Corona dauerhaft weniger Unfälle geben wird und warum Kosten nicht alles sind. Er weiß auch, warum die viel gelobte Bild- und Scantechnologie kein Allheilmittel ist.

VWheute: Herr Whittall, stellen Sie bitte kurz ihr Unternehmen vor, was Sie wie tun und mit wem Sie arbeiten.

Matthew Whittall: Wir sind der größte unabhängige Schadenmanager im Kfz-Schadenbereich in Deutschland und international aktiv. Wir steuern Kfz-Schäden für etwa ein Drittel des Marktes und agieren damit an der Schnittstelle von Kunde, Werkstatt und Versicherung. Unser Ziel ist eine schnelle Hilfe im Schadenfall. Das heißt, wir betreuen wesentlich den Bereich Unfallschadenmanagement für Versicherungen und Flottenmanager. Wir steuern die Reparatur und garantieren qualitativ hochwertige Reparaturen nach Herstellervorgaben und bieten eine umfassende Logistik für Ersatzteile. Zudem stellen wir die Mobilität der Geschädigten zu jederzeit sicher.

VWheute: Sie sind also die neutrale Stelle zwischen Werkstätten und Versicherer, die zuletzt gerne stritten. Wer hat Schuld oder sagen sie zumindest, wo die Probleme liegen?

Matthew Whittall: Ein wichtiger Faktor für unsere neutrale Position ist sicherlich die Nähe, die wir sowohl zu unseren Auftraggebern, den Versicherungen haben, aber eben auch durch unser 1.100 starkes Netzwerk an Partnerwerkstätten die andere Seite sehr gut verstehen können. Wir sind ein neutraler Vermittler, der versucht mit Fachwissen den Schadenprozess für alle Beteiligten effizienter und einfacher zu gestalten und vor allem für die betroffenen Kunden den Stress aus dem Prozess zu nehmen. Dafür ist eine gute Kommunikation notwendig. Aber es ist natürlich auch ganz klar, dass jede Partei seine Interessen verfolgt und für sich den größten wirtschaftlichen Ertrag erzielen möchte. 

VWheute: Sie haben kürzlich ein neues Schadenmanagementsystem gestartet – kann es bei den genannten Problemen Abhilfe schaffen?

Matthew Whittall: Mit Gateway haben wir ein Prozessmanagement-Tool entwickelt, das bereits positive Resonanz auf internationalen Märkten gefunden hat. Es dient in erster Linie dazu, den Schadenbearbeitungsprozess über eine einzige Online-Plattform abzuwickeln. Gateway verbindet Kunden, Versicherer und Werkstätten miteinander und beschleunigt den Prozess. Für Versicherungen bietet es eine schnelle Werkstattsuche, um den passenden Reparaturbetrieb zu finden. Versicherte werden mit Gateway über jeden Schritt des Prozesses eingebunden und werden transparent informiert. Auch für die Werkstätten stellt die Plattform eine Vereinfachung dar. Mit konkreten Vorschlägen zum nächsten Schritt des Prozesses oder einer einfachen Austauschfunktion im Auftrag selber. Dadurch wird der Aufwand erheblich reduziert. Durch einen kontinuierlichen Datenfluss sorgt die Plattform für maximale Transparenz an jedem Punkt des Schadenprozesses und gestaltet ihn effizienter.

VWheute: Ist es ein Problem, dass zwischen Versicherer und Karosserie- oder Werkstattbetrieb öfter der Autohändler als Zwischenhändler positioniert ist?

Matthew Whittall: Die Autohändler sind für viele Kfz-Besitzer/innen der Ansprechpartner Nummer Eins. Das ist der logische Schritt, wenn ich einen Schaden habe, wende ich mich an das Autohaus, von dem ich das Fahrzeug gekauft habe. So stelle ich sicher, dass Original-Ersatzteile verbaut werden. Was viele eben noch nicht wissen ist, dass die Autohäuser eben vielfach auch nur ein Zwischenhändler sind und die Reparaturaufträge an spezialisierte Karosserie- und Lackierbetriebe weitergeben. Geht der Weg direkt in diese Werkstätten ist das meist wesentlich kostengünstiger und schneller, obwohl auch hier nach Herstellervorgaben und mit Originalteilen gearbeitet wird. Darin liegt ein riesiges Potenzial, da wir durch unser umfängliches Leistungsangebot die Schadenabwicklung von der Auslastungssteuerung bis zum Ersatzteilbezug effizient gestalten.

VWheute: Wie entscheiden Sie als Vermittler im Spannungsfeld Preis-Leistung-Service, anhand welcher Kriterien?

Matthew Whittall: Durch einen verlässlichen Partner und exakten Überblick im Schadenmanagement kann der Versicherer Kosten senken und gleichzeitig die Kundenzufriedenheit steigern. Zudem ist die Voraussetzung für eine leistungsfähige Reparaturbranche, der Erhalt der Investitionsfähigkeit der Werkstätten. Daher achten wir sehr auf eine qualitativ hochwertige Leistung und einen freundlichen und schnellen Service. Dieser hat seinen Preis, sorgt aber auch für zufriedene Kunden.

VWheute: Die Ersatzteile werden immer teurer, ist gegen die Monopolstellung der Autohersteller anzukommen, was bedeutet der Wegfall des Designschutzes?

Matthew Whittall: In der Vergangenheit sind sowohl die Versicherer als auch die Kooperationsbetriebe eher zögerlich mit alternativen Ersatzteilen umgegangen. Allerdings sind die Preise in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Zuletzt hat der Volkswagenkonzern die Rabattstaffeln der Werkstätten deutlich gekürzt. Sollten die Margen der Reparaturbetriebe tatsächlich massiv schrumpfen, könnte das letztlich zu einem Überdenken dieser Haltung sowohl bei den Versicherern als auch bei den Werkstätten führen. Wir werden jetzt die Auswirkungen anhand unserer Bestellungen genau analysieren und dann Rückschlüsse für die zukünftige Handhabung ziehen. Dazu führen wir aktuell auch Gespräche mit dem Bundesverband der Partnerwerkstätten (BVdP).

VWheute: Ping An setzt Drohnen zur Schadenbearbeitung ein, wann kommt die 100-prozentige Dunkelverarbeitung, wo stehen die deutschen Versicherer jetzt?

Matthew Whittall: Im Kfz-Schadenbereich haben wir im vergangenen Jahr natürlich auch einen Digitalisierungsschub erlebt und viele Prozesse optimiert. Die neue Plattform Gateway wird dazu erheblich beitragen. Bei der Transformation der Branche müssen wir aber Schritt für Schritt vorgehen, um eine vollumfängliche und korrekte Schadenaufnahme gewährleisten können. Was bleibt ist, dass der Schadenfall immer unvorhersehbar und hochgradig individuell bleibt. Frühe Informationen, zum Beispiel durch erste Bilder, helfen bei der Einordnung, reichen aber noch nicht aus für eine vollumfängliche Kostenkalkulation, weil unklar ist, was unter den sichtbaren Teilen passiert ist. Nach der Schadenaufnahme lässt sich viel automatisieren, aber die vollständige Dunkelverarbeitung von Kfz-Schäden sehe ich aktuell als Zukunftsmusik.

VWheute: Apropos Bilder von Schäden, sind sie das Allheilmittel der Schadenbearbeitung oder Gimmick; Sind Sie bei der Betrugserkennung hilfreich?

Matthew Whittall: Mit Blick auf unser System Gateway und weitere digitalen Tools setzen wir vor allem auf eine optimale Nutzung der Daten, die wir aus der großen Zahl abgewickelter Fälle sammeln. Ansonsten helfen Bilder häufig, um zum Beispiel einen Totalschaden zu erkennen und diesen gar nicht erst in eine Werkstatt zu verbringen. So sparen wir uns sinnlose Arbeitsschritte. Zwar gibt es bereits Bild- und Scantechnologie, die das Ausmaß des Schadens grob einordnen kann und mögliche Vorschäden identifiziert, aber diese ist noch nicht ausgereift.  

VWheute: Die Schadenzahlen im Straßenverkehr fallen, ein kurzfristiges Phänomen oder bleibt etwas zurück, mit welchen Folgen für das Schadenmanagement?

Matthew Whittall: Die gesunkenen Schadenzahlen seit März 2020 lassen sich mit der geringeren Nutzung der Kraftfahrzeuge im Zuge der Corona-Pandemie erklären. Die Menschen pendeln weniger und fahren auch aktuell viel weniger in den Urlaub. Die aktuelle Fahrleistung ist laut Apple Mobility Trends rund 30 Prozent geringer als im Vorjahr. Das ist ein entscheidender Faktor bei der Beurteilung der statistischen Werte. Aktuell ist die Auslastung der Werkstätten natürlich nicht so gut wie in den Vorjahren, was auch mit der Haltung vieler Kfz-Halter zu tun hat. Diese warten aktuell mit etwaigen Schäden eher ab und sehen weniger Dringlichkeit in der sofortigen Reparatur. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass die Anzahl der Kfz-Schäden im zweiten Quartal wieder etwas steigen wird, weil saisonale Faktoren wie Saisonkennzeichen wieder mehr Autos auf die Straße bringen. Wir rechnen damit, dass der Home-Office-Effekt längerfristig Bestand haben wird und wir nach der Corona-Krise auf ein Niveau von vielleicht 90 Prozent des Jahres 2019 kommen werden.

VWheute: Letzte Frage: Welche Entwicklungen sehen Sie im Bereich Schadenmanagement?

Matthew Whittall: Das Schadenmanagement wird sich immer mehr digitalisieren und dadurch an Effizienz und Geschwindigkeit gewinnen. Die Prozesse werden kürzer und aufgrund der Datensammlung und -aufbereitung die Aussagen zu Schadenkosten verlässlicher und präziser. Die Erkenntnisse zu neuen Antrieben und Fahrzeugmodellen aus dem Flottenbereich wird zudem weiter an Relevanz gewinnen. Außerdem wird die Verlässlichkeit von Aussagen zu Kosten- und Schadenentwicklungen zu bestimmten Herstellern und Modellen beim privaten Autokauf eine gewichtige Rolle spielen. Ganz wichtig in Sachen Digitalisierung ist, diese als Chance zu begreifen. Die digitale Transparenz des Prozesses gegenüber dem Endkunden ist ein Erfolgskriterium.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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