Insurtechs: Warum eine Disruption des Versicherungsmarktes ausblieb

Quelle: Bild von Pete Linforth auf Pixabay

Vor sechs Jahren betraten die Insurtechs den deutschen Markt und verliehen dem Thema Digitalisierung der Versicherungsbranche eine ganz andere Dringlichkeit. In zahlreichen Studien von Experten und Beratern wurden den VUs veraltete IT-Strukturen und schlechte Kundenbindungen attestiert. Die Fintechs hatten gerade erste Erfolge gesammelt und das Unwort „Disruption“ hielt schlussendlich auch im Versicherungsmarkt Einzug.

Bis heute ist es jedoch nur den wenigsten Fullstack-Insurtechs gelungen, überhaupt Prämien-Einnahmen im niedrigstelligen Millionenbereich zu generieren. Stattdessen wurden, sowohl auf Initiative der etablierten VUs als auch der Insurtechs, Partnerschaften geschlossen. Heute sind nur noch wenige Insurtechs auf offenem Konfrontationskurs. Business as usual also, obwohl die Experten und Berater mit ihren ursprünglichen Befunden nicht falsch lagen. Die Gründe einer ausbleibenden Disruption liegen in der Theorie selbst und in der Beschaffenheit des Marktes begraben.

„Disruptive Innovation“, die Theorie nach Clayton Christensen

Der Begriff Disruption wurde, wie auch in diesem Fall, häufig im falschen Zusammenhang benutzt. Disruptoren begründen ihr Dasein ausschließlich, indem sie entweder das Low-end-Segment (Produktkategorien mit geringer Leistung und geringem Preis) besetzen oder indem sie einen neuen Markt auf Basis des Ausgangsproduktes erschaffen. Die Voraussetzung für den Einstieg in ein Low-end-Segment ist, dass etablierte Marktteilnehmer keine adäquaten Produkte für das korrespondierende Kundensegment anbieten.

Das kann beispielsweise daran liegen, dass die etablierten Unternehmen ihre Produkte mit der Zeit an die Bedürfnisse der Kunden aus hochpreisigen, lukrativeren Segmenten angepasst haben. Die potenziellen Disruptoren verändern, zum Beispiel durch den Einsatz digitaler Technologien, den Wertschöpfungszyklus. Sie bieten dem Low-end-Markt ein Produkt an, welches “gerade gut genug“ ist. Rationale Kunden, welche das umfassendere Leistungsportfolio der Etablierten nicht benötigen, steigen auf die billigeren Produkte um.

Nachdem der Low-end-Markt durchsetzt wurde, passen die Disruptoren ihre Leistungen beziehungsweise Produkte stetig auf höhere Qualitätsstandards an, während der Preis, bedingt durch Unternehmensgröße und Wertschöpfungszyklusanpassung, weiterhin unter dem etablierter Marktteilnehmer bleibt. Die Disruption geschieht dann, wenn es die Herausforderer geschafft haben, dass auch höhere Marktsegmente auf ihre Produkte umsteigen.

Die zweite Möglichkeit einer Disruption ist, ein bestehendes Produkt so zu modifizieren, dass ein komplett neuer Markt entsteht und eine neue Kundengruppe angesprochen werden kann. Beispiele hierfür sind der Heim-Drucker oder der PC (Transformation B2B Produkt à B2C Produkt).

Eine Disruption wird demnach durch vier Kriterien ermöglicht:

  • Ein Angebotsvakuum im Low-end-Markt
  • Die Disruptoren müssen mit einem gewissen Tempo skalieren können
  • Der Wertschöpfungszyklus muss veränderbar sein
  • Die Einstiegshürden für Start-ups müssen niedrig sein (Kapital, Regularien, Infrastruktur etc.)

Warum eine Disruption bisher ausblieb

Der Versicherungsmarkt erfüllt nur eines der genannten Kriterien. Lediglich der klassische Wertschöpfungszyklus ist bis zu einem gewissen Grad veränderbar. Von einem Angebotsvakuum im Low-end-Markt (Unfall-/Sachversicherungen) ist hingegen nicht auszugehen. Die etablierten Versicherer decken mit standardisierten und variablen Verträgen den Markt ab.

Regularien zu Kapitalreserven wie Solvency II verbieten eine aggressive Skalierung ohne ausreichende Kapitalisierung und stellen somit große Einstiegshürden dar. Hohe Investitionsrunden, erhöhen aber die Wachsamkeit der etablierten Marktteilnehmer und so konnten diese sich dementsprechend positionieren.

Nach der kurzen Panik folgte so die allmähliche Konsolidierung. Viele Insurtechs entschieden sich im Namen der Wirtschaftlichkeit dazu, strategische Partnerschaften mit etablierten Versicherern einzugehen. Diese nahmen auf der anderen Seite die Chance war, ihre Digitalisierung so voranzutreiben.

Branchengrößen haben mittlerweile eigene Insurtechs aufgebaut und sind dabei ihre Vertriebs- und Kommunikationswege zukunftsorientiert zu konsolidieren. Auch wenn Insurtechs schlussendlich keine Disruption des Versicherungsmarktes bewirkt haben, so ist ihre Einflussnahme auf den Markt aufgrund der Signalwirkung für etablierte Unternehmen nicht zu unterschätzen. Zudem hat es eine Kategorie von Insurtechs geschafft sich still und heimlich zu den Champions unter den Insurtechs zu entwickeln.  

Plattformen und das Abhängigkeitsdilemma

Vertriebsplattformen zählen zu den größten Gewinnern der letzten Jahre und könnten mit der zunehmenden Digitalisierung der Versicherungsnehmer noch weiter an Traktion zulegen.

An sich bieten Vertriebsplattformen interessante Möglichkeiten für Träger, Vermittler und Dienstleister. So können von Seiten der Träger, Aufwände zur Digitalisierung der Vertriebswege eingespart werden und Synergien durch das Angebot von Drittanbietern (zum Beispiel für Sensorik) genutzt werden, um das Leistungsspektrum zu erweitern.

Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass Plattformen ab einer gewissen Größe Sogwirkungen erzeugen, welche ihre Nutzer in eine Abhängigkeit zwingen. So ist den etablierten Versicherern zu empfehlen ihre eigene Digitalisierung weiterhin voranzutreiben, statt ausschließlich auf Plattformanbieter zu setzen, um kurzfristige Vertriebsoptimierung nicht mit langfristiger Abhängigkeit zu bezahlen.

Autor: Jannis Klocke ist Associate Consultant bei dem IT-Dienstleister Adesso SE in Dortmund. Sein Fokus liegt auf der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle und der Automatisierung analoger Geschäftsprozesse.

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