Comeback der Grundfähigkeitenversicherung: „Weniger Personen werden ohne vertragliche Erschwernisse eine BU erhalten“

Immer weniger Menschen sind körperlich fit und dadurch BU-versicherbar. Bild: happyveganfit auf Pixabay

Die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) ist stets ein großes Thema. Doch zur Absicherung der Arbeitskraft gibt es auch die Grundfähigkeitenversicherung (GFV), die allerdings ein Nischendasein fristet. Warum sowohl die Anbieter wie auch Kunden daran ihren Anteil haben und wie die Vermittler beim Vertrieb vorgehen sollten, erklärt der Fachmann und Autor Alexander Schrehardt, der im VVW Verlag einen Leitfaden zum Thema geschrieben hat.

VWheute: Warum kommt die Grundfähigkeitenversicherung (GFV) nicht über den Status einer kleinen Schwester der BU hinaus, wie groß ist die Durchdringung am Markt?

Alexander Schrehardt: Die GFV ist noch immer ein zartes Pflänzchen, das lange Zeit nur von wenigen Gesellschaften angeboten wurde. Erst in letzten Jahren haben sich zunehmend weitere Anbieter im Markt positioniert. Auch die Akzeptanz im Kreis der Vermittlerschaft benötigt Zeit, zumal die GFV gegenüber der Berufsunfähigkeitsversicherung durchaus auch Nachteile hat. Allerdings, und das darf nicht übersehen werden, kann die GFV auch gegenüber der großen Schwester punkten. Beide Versicherungslösungen haben ihren Charme und sollten aktiv beraten werden.

VWheute: Das Produkt ist bei Vermittlern nicht beliebt, warum?

Alexander Schrehardt:Die GFV ist eine relativ komplexe Vorsorgelösung mit sehr vielen unterschiedlichen Leistungsauslösern. Eine vergleichende Tarifbewertung gestaltet sich im Fall der GFV mit Blick auf die Vielzahl der zu berücksichtigenden Parameter als schwierig. Hier ist sicherlich ein Grund für die ablehnende Haltung von Vermittlern zu sehen. Viele Vermittler folgen aber sicherlich auch dem Grundsatz „Never change a running system“, warum etwas ändern, wenn in der Vergangenheit die Berufsunfähigkeitsversicherung ausreichend war. Mit dieser Fokussierung gehen viele Verkaufsansätze verloren. In den nächsten Jahren werden die Veränderungen der Lebensgewohnheiten in unserer Gesellschaft dazu führen, dass sich der Personenkreis, der ohne vertragliche Erschwernisse eine Berufsunfähigkeitsversicherung erhalten, kontinuierlich eindampfen wird. Darauf sollte jeder Vermittler vorbereitet sein.  

VWheute: Welche Auswirkungen werden die zunehmenden psychischen Erkrankungen auf die GFV haben?

Alexander Schrehardt: Eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung in der Vita des Versicherungsnehmers führt bei einem Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit wenigen Ausnahmen zur Ablehnung durch den Versicherer. Im Ausnahmefall, wenn beispielsweise die Notwendigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung mit einem Akutereignis (z.B. Arbeitsplatzverlust, Trennung des Partners) begründet und die Behandlungsdauer auf wenige Therapieeinheiten begrenzt werden kann, ist unter Umständen eine Antragsannahme möglich. Kunden, denen aufgrund ihrer psychotherapeutischen oder psychiatrischen Behandlungsvita der Zugang zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung verwehrt ist, können zumeist unter Ausschluss einer Absicherung von psychischen Erkrankungen eine GFV abschließen. 

Alexander Schrehardt , Buch-Autor und GFV-Experte.

VWheute: Die BU wird immer weiterentwickelt, ist das bei der GFV auch so, und wenn nein, wird dadurch der Leistungsunterschied nicht noch größer?

Alexander Schrehardt: Die Weiterentwicklung der GFV ist grundsätzlich zu bejahen. Immer mehr Lebensversicherer stellen neue oder auch verbesserte Tariflösungen vor. Im Januar hatte die Signal Iduna Lebensversicherung ihren Tarif SI WorkLife eingeführt und Aktuell wurde von der die R+V Lebensversicherung der Tarif R+V-Grundfähigkeitsversicherung vorgestellt. Die Tatsache, dass voraussichtlich im dritten Quartal eine weitere Markteinführung zu erwarten ist, unterstreicht das Interesse der Lebensversicherungsgesellschaften an diesem alternativen Vorsorgeinstrument. Erfreulicherweise sind einige Gesellschaften sehr gesprächsbereit und setzen auch vorgetragene Verbesserungsvorschläge zeitnah um.

VWheute: Was beinhaltet die Zukunft der GFV, was sollte verändert werden?

Alexander Schrehardt: Die Versicherungsbedingungen für die GFV einiger Anbieter beinhalten aus meiner Sicht teilweise sehr verbraucherunfreundliche Regelung, die Begründung eines leistungspflichtigen Versicherungsfalls sehr bis extrem erschweren. Stolperfallen wie die Verpflichtung zu operativen Eingriffen zur Vermeidung eines leistungspflichtigen Versicherungsfalls oder der verpflichtende Einsatz eines Gehwagens als Hilfsmittel benachteiligen den Kunden nach meinem Verständnis in einer nicht zu verantwortenden Weise. Hier sollte der Verbraucherschutz höher aufgelegt werden, auch im Interesse der Vermeidung eines Imageschadens, der dann wieder die ganze Branche treffen würde.   

Für die Vorsorgeberatung zur Absicherung der Arbeitskraft bietet der VVW Verlag den neuen Vertriebsleitfaden Grundfähigkeitenversicherung des Autors Alexander Schrehardt an. Das Buch können Sie HIER erwerben.

VWheute: Welche Empfehlungen würden Sie an die Vermittler geben?

Alexander Schrehardt:Im Rahmen einer Vorsorgeberatung zur Absicherung der Arbeitskraft sollten dem Kunden auf jeden Fall beide Alternativen – Berufsunfähigkeits- und Grundfähigkeitenversicherung – vorgestellt werden. Zum einen führt der Vermittler damit seinen Kunden von einer Ja-Nein- auf eine Entweder-oder-Entscheidungsebene. Dabei sollte auch niemals vergessen werden, dass nicht dem Vermittler, sondern nur dem Kunden die Entscheidung über die Wahl der Versicherungslösung zukommt. Sofern ein Vermittler seinem Kunden nur die Berufsunfähigkeitsversicherung vorstellt und der Antrag vom Versicherer abgelehnt wird, hinterlässt die jetzt als Alternative aus dem Ärmel gezauberte GFV oftmals den faden Beigeschmack der Second-Hand-Lösung. Dies kann vermieden werden, wenn bereits im Beratungsgespräch beide Alternativen vorgestellt wurden.    

 VWheute: Ist auch eine Kombination von Berufsunfähigkeits- und GFV als Versicherungslösung denkbar?

Alexander Schrehardt: In Abhängigkeit vom Kundenwunsch sicherlich ja. Ich möchte aber auch noch eine andere Kombinationsmöglichkeit aufzeigen. Einige Anbieter öffnen GFV bereits für Kinder, z.B. ab dem vollendeten dritten Lebensjahr. Wenn das Kind mit einer GFV versorgt werden soll, dann ist immer der Tarif auf eine mögliche BU-Wechseloption zu prüfen. Sofern ein Versicherer diese BU-Wechseloption in qualifizierter Form einräumt, kann das versicherte Kind nach Abschluss einer Berufsausbildung oder eines Studiums in eine Berufsunfähigkeitsversicherung ohne erneute Risikoprüfung wechseln. Allerdings müssen im Vorfeld die Voraussetzungen für das Einlösen der BU-Wechseloption im Detail geprüft werden. 

Das Buch zur Grundfähigkeitenversicherung von Alexander Schrehardt können Sie hier bestellen.

Alexander Schrehardt hat kürzlich einen Gastbeitrag zum Thema GFV geschrieben, den Sie auf VWheute lesen können. Darin erklärt er ausführlich, warum und welche gesellschaftliche Änderungen sich auf die Absicherung der Arbeitskraft auswirken und welche Möglichkeiten Vermittler haben, diesem Prozess zu begegnen.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

3 Kommentare

  • Die Grundfähigkeitsversicherung ist deshalb nicht belebt, da die Definitionen der einzelnen Grundfähigkeiten definitiv unklar und Intransparenz sind. Weitere Bestimmungen erinnern an die Zeiten vor Jahren, als die Berufsunfähigkeitsversicherung noch voller Regulative war. Der Versicherungsschutz ist meines Erachtens keinen Cent wert zumal der Vermittler die unterschiedlichen Definitionen der Leistungsfälle abwägen und dem Kunden einen Rat geben muss. Auch ist die Hauptursache, seine Arbeitskraft zu verlieren, die psychische Erkrankung, nicht versichert. Übrigens gibt es Versicherungsschutz auch nach psychischen Behandlungen. Das ist meines Erachtens eine bessere Lösung und nach fünf Jahren gibt es wieder vollen Versicherungsschutz in der BU. Definitiv also kein Bedarf für die Grundfähigkeitsversicherung.

  • Eine Grundfähigkeitsversicherung zur Arbeitskraftabsicherung ist wie eine KFZ-Versicherung, die nur nach einem Totalschaden leistet.

    Sie ist keine Alternative, sondern nur eine Notlösung, falls der rechtzeitige Zeitpunkt für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung verpasst wurde.

  • Berufstätige sollten lieber rechtzeitig eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen, denn die Grundfähigkeitsversicherung versichert ausschließlich bestimmte Risiken (Grundfähigkeiten), wie bspw. Stehen, Gehen, Treppensteigen und auch Sinne (Sehen, Hören, Sprechen) und bestimmte Fähigkeiten (z.B. Autofahren). Eine monatliche Rente soll den finanziellen Rückschlag auffangen. Das Risiko der Berufsunfähigkeit wird hier nicht oder nur teilweise indirekt versichert. Zudem kann der Versicherer die Versicherung im Nachgang anpassen und ggf. sogar kündigen, was bei der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht möglich ist.

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