Insurtechs überholen Fintechs in der Krise

Christian Wiens, Gründer von Getsafe. Quelle: Getsafe

Neoversicherungen sind angetreten, um die Versicherungsbranche umzukrempeln. Wie Neobanken bieten sie digitale Lösungen für eine junge Zielgruppe – Versicherungen per App auf dem Smartphone. Der radikale Umsturz lässt bislang auf sich warten. Und dennoch werden sie eine 5 Trilliarden Industrie nachhaltig verändern. Ein Gastbeitrag von Christian Wiens, CEO und Gründer Getsafe.

Die Finanzkrise 2009/10 zerrüttete das Vertrauen der Kunden in Banken. Neobanken wie Monzo, Revolut, Starling Bank oder N26 boten einen neuen Ansatz. Mit ihrem Versprechen “No bullshit banking” trafen sie die Erwartungen der jungen Generation und sie verzeichneten schnell hohe Wachstumsraten.

Mittlerweile sind viele Neobanken mit mehreren Milliarden Dollar bewertet. In nur vier bis fünf Jahren zum Einhorn zu werden, ist eine beeindruckende Leistung, die viele Kritiker zum Schweigen gebracht hat, die an der Nachhaltigkeit und Langlebigkeit von Neobanken zweifelten.

Die Coronakrise zeigt nun die Schwächen des Geschäftsmodells. Viele Neobanken sind schnell gewachsen – vielleicht zu schnell. Sie haben extrem hohe Marketingausgaben; gleichzeitig sind die Umsätze noch gering. Die meisten von ihnen erheben keine Bankgebühren. Gerade wenn Menschen den Gürtel enger schnallen, wird es schwierig, das “Freemium Modell” zu monetarisieren. Stattdessen stammen die Einnahmen hauptsächlich aus Gebühren für Kreditkarten-Transaktionen, welche die Händler zahlen. Mit sinkenden Konsumausgaben in der Coronakrise schrumpfen auch die Einnahmen.

In der Welt der Insurtechs gibt es weniger Einhörner. Daher stehen sie oft im Schatten der Fintechs. Doch die Coronapandemie offenbart nun auch die Stärke von Neoversicherungen. Ihr Geschäftsmodell ist darauf ausgelegt, mit den Kunden über Jahre zu wachsen; die Kunden zahlen vom ersten Tag an für die Leistung. Während Menschen oft mehrere Girokonten und Kreditkarten besitzen, haben sie nur eine Haftpflicht- oder Hausratversicherung, und diese behalten sie auch und gerade in Krisenzeiten.

Weil das Versicherungsgeschäft sehr langfristig ist – Kunden halten ihre Verträge viele Jahre, sogar Jahrzehnte – stehen Neoversicherer wie Lemonade und Getsafe gerade jetzt gut da. Sie wachsen mit ihrer jungen Zielgruppe. In den kommenden zehn Jahren werden Menschen im Alter von 20 bis 35 Jahren allein in Europa eine Milliarde neue Versicherungspolicen abschließen. Das ist ein gewaltiges Marktpotenzial.

Hinzu kommt, dass traditionelle Versicherer die Zielgruppe der Millennials nicht mehr erreichen. Denn im Gegensatz zur Bankenbranche gab es bei Versicherern keine Krise, die ein schnelles Umdenken erforderlich gemacht hätte. Selbst die Coronapandemie geht an Versicherern relativ unbeschadet vorüber. Versicherung ist ein langfristiges Geschäft – es gibt keinen dringenden Bedarf, sich zu verändern.

Doch der Versicherungsvertrieb von morgen wird nichts mit dem Versicherungsvertrieb von gestern gemein haben. Schon heute hat das Maklergeschäft ein Nachwuchsproblem, in zehn Jahren stehen jene Versicherer vor existenziellen Schwierigkeiten, die heute die Neoversicherer belächeln. Doch in 20 Jahren hat keiner mehr Policen im Schrank stehen. Das ist die größte Gefahr für Versicherer – und die größte Chance für Neoversicherungen.

Autor: Christian Wiens, CEO und Gründer Getsafe

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