Oliver Bäte über den Standort D: „Das ist doch irre“

Spitzenmanager Oliver Bäte. Bildquelle: Allianz

Der Allianz-Chef holt im Interview mit dem Handelsblatt zur nächsten politischen Analyse aus. Diesmal im Fokus: das deutsche Sozialsystem. Nach Aussagen des Managers könne es nur nachhaltig funktionieren, wenn künftig Leistungen gekürzt werden. Auch zu dem auf Eis gelegten Amundi-Deal und dem abgeblasenen Income-Insurance-Geschäft äußert sich der Manager.

Unser Gesundheitssystem und das Bürgergeld, all das basiert auf einer guten Idee“, sagt Bäte. „Nun aber wird klar: Das gesamte System schafft falsche Anreize für Menschen, sich vom Sicherheitsnetz in die soziale Hängematte zu begeben. Bislang konnten wir uns das leisten, nun aber fehlen der Wirtschaft die Arbeitsstunden.“ Der Manager kritisiert, dass Deutschland mittlerweile „Weltmeister bei den Krankmeldungen“ sei. Man müsse überlegen, wie man damit umgehe und es sozial gerecht gestalte. Bätes Vorschlag: eine Rückkehr zur Karenzzeit, in der Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen.

Die Bundesregierung hat dieses System bereits 1970 abgeschafft. In anderen Ländern wie Schweden, Spanien oder Griechenland ist der Karenztag jedoch weiterhin üblich. Während Arbeitnehmer in Deutschland durchschnittlich 20 Tage im Jahr krank sind, liegt der EU-Durchschnitt bei lediglich acht Krankheitstagen. In Staaten wie der Schweiz und Dänemark arbeiten Beschäftigte im Jahresvergleich etwa einen Monat länger – bei ähnlichem Gehalt.

Bäte rechnet im Gespräch mit dem Handelsblatt vor, dass Arbeitgeber in Deutschland jährlich 77 Milliarden Euro an Gehältern für krankgeschriebene Mitarbeiter zahlen. Hinzu kämen weitere 19 Milliarden Euro von den Krankenkassen, was zusammen etwa sechs Prozent der gesamten Sozialausgaben ausmache. Im EU-Durchschnitt liegen diese Ausgaben hingegen bei rund 3,5 Prozent. Würde Deutschland seine Kosten auf den EU-Durchschnitt reduzieren, könnten 40 Milliarden Euro eingespart werden.

Die Frage, ob das Sozialsystem nur nachhaltig funktionieren könne, wenn künftig Leistungen gekürzt werden, beantwortet Bäte mit Ja. „Wir müssen darüber sprechen, was wir uns in einer alternden Gesellschaft noch leisten können. Die gesetzlichen Krankenkassen zum Beispiel haben im vergangenen Jahr 289 Milliarden Euro ausgegeben – und die Beiträge steigen Jahr für Jahr weiter. Gleichzeitig steht Deutschland bei der Zahl der Arztbesuche pro Einwohner weltweit auf Platz sieben. Das ist doch irre. Ich fordere gar nicht, dass wir uns zu stark einschränken – sondern nur, dass wir uns am EU-Durchschnitt orientieren.“

Auch mit Blick auf das deutsche Bildungssystem legt Bäte den Finger in die Wunde. Man qualifiziere nicht ausreichend Kinder für die Zukunft, erklärt der Allianz-Chef. Die Quote der Schulabbrecher sei neben Spanien und Rumänien hierzulande am höchsten. „Der Anteil der 15-Jährigen ohne Grundkenntnisse etwa in Mathematik hat sich seit 2012 fast verdoppelt. Gleichzeitig sind Tausende Stellen für Lehrkräfte unbesetzt. In den 60er-Jahren hatte Deutschland schon einmal händeringend Lehrpersonal gesucht. Damals hatte Deutschland den Zugang zum Lehrerberuf pragmatisch vereinfacht. Derartigen Pragmatismus gibt es nicht mehr, das sehen wir in vielen Bereichen.“

Weniger in die Karten schauen lässt sich Oliver Bäte bei den auf Eis gelegten Gesprächen um eine Partnerschaft mit Amundi in der Vermögensverwaltung. AGI sei ein leistungsstarker Teil der Allianz-Gruppe und das Asset-Management strategisch wichtig, erklärt der CEO. „Wir wollen daher im Asset-Management wachsen und unsere Gebühreneinnahmen organisch steigern. Grundsätzlich sind wir auch offen für strategische Partnerschaften, wenn sie Wert schaffen und es eine strategische und kulturelle Übereinstimmung gibt.“

Wenn die Fusion nicht gelinge, sieht Bäte Entwicklungschancen für AGI durch eine gezielte Anwerbung von Teams, mit denen man in bestimmten profitablen Anlageklassen wie Private Markets wachsen könne. „Eine weitere Möglichkeit ist, einen größeren Teil der Wertschöpfungskette zu erschließen, beispielsweise stärker in die Anlageberatung zu gehen. Um auf den Kostendruck zu reagieren, kann man entweder voll auf Größe setzen oder das Portfolio gezielt umbauen und erweitern“, sagt der Manager im Handelsblatt.

Ein erneutes Gebot für Income-Insurance kann sich Bäte derweil vorstellen. Man müsse jedoch abwarten, was nach der Wahl im November 2025 passiert. Aufgrund politischen Widerstands hat die Allianz die geplante milliardenschwere Übernahme des Versicherers aus Singapur gestoppt. Die Münchener hatten 1,5 Milliarden Euro für 51 Prozent der Anteile an Income Insurance geboten. Es wäre die größte Übernahme des Konzerns in Asien gewesen wäre.

Autor: VW-Redaktion