Montagskolumne mit Torsten Oletzky: „Es sind spannende neue Geschäftsmodelle entstanden“
 Top-Entscheider exklusiv 

Torsten Oletzky, Digitalisierungsexperte und Kolumnist bei VWheute. Quelle: TH Köln/Thilo Schmülgen - bearbeitet von VWheute.

Luftnummer oder Zukunft – welche Rolle spielen Insurtechs in der Branche? Torsten Oletzky zeigt, dass gerade die Marktführer auf die Ideen der Jungunternehmen setzen und das ebenso wenig wie das Vertrauen der Investoren ein Zufall ist – Allianz und Clark, Ottonova und Debeka, HUK und Neodigital, die Liste wird immer länger und prominenter. Die Großen wissen: Erfolg muss stets neu erarbeitet werden.

Seit einigen Jahren beschäftige ich mich im Schwerpunkt mit der Entstehung neuer, digitaler Geschäftsmodelle und Marktteilnehmer in der Versicherungswirtschaft. In dieser Zeit ist viel passiert – zahlreiche Teams haben sich auf den Weg gemacht und neue, digitale Versicherer oder digitale Dienstleister für die Versicherungswirtschaft aufgebaut. Es sind spannende neue Geschäftsmodelle entstanden und einige der etablierten Versicherer experimentieren mit eigenen Neugründungen oder Kooperationsprojekten.

Gleichwohl scheint die Frage, wie nachhaltig dieser Trend ist, die Branche nach wie vor zu spalten. Evan Greenberg, CEO von Chubb und einer der erfahrensten Manager der Versicherungswirtschaft in den USA, provozierte die Teilnehmer der InsurTech Connect Conference in Las Vegas vor wenigen Wochen mit der Behauptung, der Trend der InsurTech-Gründungen sei „just hype“. Nur geringfügig diplomatischer äußerte sich jüngst Deutschlands oberster Versicherungsaufseher Frank Grund auf der „Future of Insurance Europe“-Konferenz – „Versicherungsaufseher warnt vor InsurTech-Hype“ und ähnlich lauteten die Überschriften der Berichterstattung über seinen Auftritt.

Schaut man auf die nackten Umsatzzahlen, lassen sich derartige Äußerungen auf den ersten Blick nachvollziehen. Nennenswerte Marktanteile hat – wenigstens in Deutschland – keiner der Neo-Insurer bislang gewonnen und es sind die altbekannten Namen wie Allianz, R+V, Generali und Ergo, die in den Umsatz-Rankings der Versicherungswirtschaft auf den vorderen Plätzen stehen. Wie passt dies mit der Nachricht zusammen, dass Investoren ein Unternehmen wie Wefox mit Beitragseinnahmen von gerade einmal 33,8 Mio. Euro im Jahr 2020 in der letzten Finanzierungsrunde rund 650 Mio. US-Dollar zu einer Bewertung von drei Mrd. US-Dollar zur Verfügung gestellt bekommen hat?

Langsamer Markt

Zunächst einmal sollte es nicht überraschen, dass Marktanteilsverschiebungen in einer Branche wie der Versicherungswirtschaft mit ihrem extrem langfristigen Geschäftsmodell nicht von heute auf morgen geschehen. Wenn Investoren in einem solchen Markt zukunftsträchtige Geschäftsmodelle identifizieren, kann es durchaus plausibel sein, für diese einen in Relation zu den heutigen Umsatzzahlen sehr hohen Preis zu zahlen. Und der Trend in diese Richtung scheint in der Tat ungebrochen. Das aktuelle InsurTech-Briefing von WillisTowersWatson weist für die ersten drei Quartale 2021 weltweit 421 Transaktionen mit einem gesamten Finanzierungs­volumen in Höhe von 10,5 Mrd. US-Dollar aus – eine nochmalige Steigerung gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2020.

Einerseits ist kaum anzunehmen, dass dieses Geld ausschließlich von naiven Investoren kommt, die einem Hype aufgesessen sind und zu wenig von der komplexen Versicherungs­materie verstehen, um ihre Investitionsobjekte korrekt bewerten zu können.  Andererseits wäre es zu einfach, die Erfolgschancen der neu gegründeten Marktteilnehmer alleine danach zu beurteilen, ob es ihnen aktuell gelingt, Investoren für die Finanzierung ihrer Geschäftsmodelle zu finden. Diejenigen, die den Finanzmärkten misstrauen und die aktuellen InsurTech-Bewertungen ausschließlich für einen Hype halten, lassen sich durch den Blick auf die Transaktionsentwicklung schon gar nicht überzeugen.

Erfahrungsgemäß lassen sich Versicherungsmanager immer noch am meisten davon beeindrucken, was der jeweilige Marktführer macht. Und siehe da: vor einigen Tagen berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass die HUK-Coburg mit den Eignern des Start-ups Neodigital über eine strategische Beteiligung und die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens verhandele. Während der ganze Markt noch neidisch auf die Marktanteile der Coburger blickt, machen diese sich offensichtlich Gedanken darüber, wie sie den Herausforderungen der Zukunft und der rasanten Entwicklung der digitalen Technologie begegnen können. Wenn der unbestrittene Marktführer in der Kfz-Versicherung mit einem InsurTech-Start-up über die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens in seinem Kernkompetenzfeld verhandelt, dann sollte dies für die übrigen Marktteilnehmer Anlass genug sein, die eigene Position zu überdenken.

Derartige auf den ersten Blick ungewöhnliche Partnerschaften wie die von Huk-Coburg und Neodigital werden wir in Zukunft vermutlich häufiger sehen. Auch in der Privaten Krankenversicherung wurden die Newcomer von Ottonova angesichts sehr überschaubarer Vertriebserfolge zunächst von vielen Marktteilnehmern belächelt; Marktführer Debeka hielt dies nicht davon ab, in das Unternehmen zu investieren. Zuletzt ist die Allianz bei Clark eingestiegen.

Interessant finde ich, dass es aktuell vor allem die in ihren Segmenten starken und erfolgreichen Marktteilnehmer zu sein scheinen, die die neuen Konkurrenten ernst nehmen und bereit sind, diesen auf Augenhöhe zu begegnen. Aus einer Position der Stärke fällt der ehrliche Umgang mit den eigenen (technologischen) Defiziten offensichtlich leichter. Für die übrigen Marktteilnehmer bleibt zu hoffen, dass ihnen noch ausreichend Zeit für ihre Reaktion bleibt, wenn sie erkennen, dass der Trend der InsurTech-Gründungen doch nicht nur „just hype“ ist.

Zum Autor: Torsten Oletzky lehrt an der TH Köln. Zuvor arbeitete er unter anderem bei  McKinsey und war Vorstand bei der Mannheimer und Ergo. Der Digitalisierungsexperte ist Vorstand beim Insurlab Germany in Köln.

Ein Kommentar

  • Sehr gut. Die Kommentare werden ja nur so reinrasseln. Ich behalte das heute mal im Auge. Eines lässt sich auf jeden Fall erkennen. Der Großteil der Versicherer hat kein Interesse mehr Risiken einzugehen und das Interesse verloren Geld zu verdienen. Alles und jeder versteckt sich hinter irgendwelchen Projekten und die Kräfte fehlen eindeutige an anderer Stelle. Eine Armee bestehend ausschlich aus Offizieren wird womöglich die Schlacht nicht mit Soldaten gewinnen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

achtzehn + neun =