Top-Manager von Axa, Zurich und VHV äußern Bedenken an vollständiger Prozessautomatisierung
 VWheute Sprint 

v.l.n.r. Dr. Nils Reich, Vorstandsmitglied, Ressort Sachversicherung Axa; Ulf Bretz, Geschäftsführer Schaden VHV Solutions; Horst Nussbaumer, COO der Zurich Deutschland; Bildquelle: Sollers

„Viele Versicherer haben in der Pandemie wichtige Schritte nach vorne gemacht und die Zeit nicht ganz ungenutzt gelassen“, sagte Michal Trochimczuk, Gründer und CEO von Sollers Consulting, zum Einstieg einer Abendveranstaltung für ausgewählte Gäste in Köln. Hochrangige Manager von Axa, Zurich und VHV sprachen über Chancen und Hürden der Versicherer auf dem Weg zur Prozessautomatisierung. Eine wichtige Lehre: An erster Stelle müsse der Mensch die Automatisierung annehmen, damit sie auch gelinge.

Automatisierung sei eine Win-Situation, erklärte Nils Reich, Vorstandsmitglied, Ressort Sachversicherung der Axa. Vorausgesetzt man macht es richtig. Convenience und Einfachheit, Kosteneffizienz sind das Ziel. Um den Weg erfolgreich zu bewältigen, brauche es Mut, alte Zöpfe abzuschneiden. Aus Sicht des Axa-Managers, der bald unter der Führung des neuen Deutschlandchefs Thilo Schumacher arbeitet, müsse gerade in Sachen Automatisierung die Frage gestellt werden, wann und wo diese gebraucht werde. Zudem gehe „Technologie mit Kultur Hand in Hand.“ Laut Reich gehöre der Auftrag der Assekuranz in der Absicherung der wirklich existenziellen Ereignisse. „Alles andere ist Beiwerk.“

Kunden brauchen menschliche Berater

Für Horst Nussbaumer, COO der Zurich Deutschland, klingt der Begriff Automatisierung nach einem Relikt aus den neunziger Jahren. Etabliertes einfach nur schneller zu machen sei nicht das Ziel. Zunächst müsse man den Mehrwert erkennen, den Automatisierung biete. Dazu gehöre auch, dass z.B. Berater mit Kunden reden dürfen. Der Manager plädiert dafür, dass Versicherer „intelligenter automatisieren“. Das bedeutet, gezielt zu unterscheiden, wo automatische Prozesse wirklich Sinn machen. Im Fall der Flutkatastrophe vor einigen Monaten wäre ein Chatbot etwa fehl am Platz gewesen.

Ein negatives Beispiel von zu viel Automatisierung nannte Ulf Bretz, Geschäftsführer Schaden VHV Solutions, und blickte auf einen Skiurlaub zurück, als er seine Bankkarte nicht wiederfand. Voice Bots hätten eine Kartensperrung verhindert, woraufhin der Manager entnervt aufgab. „Glücklicherweise fand meine Frau die Karte wieder“, erinnert sich Bretz.

„Nicht wir entscheiden wie viel wir automatisieren. Am Ende entscheidet das der Kunde.“ Man brauche Menschen, die Kunden emotional erreichen können.

Zwar können laut Angaben der Fachleute viele verschiedene Arbeitsbereiche automatisiert werden. Das größte Problem sei die enorme Komplexität der Prozesse in der Assekuranz.

Lange nicht am Ziel

Welcher Prozess ist am stärksten automatisiert? Nach einer Kurzumfrage kamen die teilnehmenden Gäste zu dem Ergebnis Provisions- und Courtageabrechnung, Neugeschäft, Schadenbearbeitung, Betrugserkennung. Abgehakt sei nach Angaben der Experten keines der Themen. Kein Player könne für sich in Anspruch nehmen, dass er mit der Automatisierung am Ende sei.

Ehrliche Worte kamen zum Schluss. Manager Bretz erklärte, dass er persönlich nicht Kunde eines vollautomatisierten Versicherers sein würde. Die Kundenvielfalt sei aber groß, die Bedürfnisse individuell.

Autor: Michael Stanczyk