AGCS-Experte Michael Furtschegger: „Systemische Risiken nicht bewert- und versicherbar“

Michael Furtschegger, Global Head of Entertainment bei der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS). Quelle: AGCS
Corona hat die Veranstaltungsbranche im Jahr 2020 praktisch lahmgelegt – mit entsprechenden Folgen für die Versicherer. Der Industrieversicherer AGCS „verzeichnete global pandemiebedingte Schäden von mehr als 500 Mio. Euro – der größte Teil davon in der Entertainment-Sparte“. VWheute sprach mit dem Experten Michael Furtschegger über Haftungsausschlüsse, Anpassungen und das Eventgeschäft.
VWheute: Corona hat 2020 zu zahlreichen Veranstaltungsabsagen- und ausfällen geführt. Wie hat sich die Pandemie bislang auf die Event-Versicherung ausgewirkt?
Michael Furtschegger: Unser Entertainment-Bereich war im vergangenen Jahr besonders hart von den Folgen der Pandemie getroffen: Die AGCS etwa verzeichnete global pandemiebedingte Schäden von mehr als 500 Mio. Euro – der größte Teil davon in der Entertainment-Sparte. Die Belastungen durch Covid sind dieses Jahr – auch durch Ausschlüsse – aber deutlich zurückgegangen. Es gibt nur wenige Schadenfälle und die Ursache sind nicht mehr behördliche angeordnete Schließungen oder Absagen.
Was die Prämienentwicklung betrifft, hat uns geholfen, dass unser Entertainment-Geschäft in CEE auf zwei Beinen steht, nämlich Film- und Veranstaltungsversicherung. Vor allem im Filmgeschäft kamen wir relativ schnell nach den Lockdowns fast wieder auf ein normales Niveau, da die Produktionen in sogenannten „Clouds“ unter strikten Gesundheitsrichtlinien weiter produzieren konnten. In Deutschland und der Schweiz beispielsweise liefen Filmproduktionen fast wie gewohnt weiter. Live-Veranstaltungen gab es hingegen in den zurückliegenden Monaten de facto nicht.
VWheute: Bei der Betriebsschließungsversicherung kam es in den vergangenen Monaten wiederholt zu Klagen gegen die Versicherer wegen der coronabedingten Schließungen. Droht bei der Event-Versicherung eine ähnliche Entwicklung?
Michael Furtschegger: Eine Entwicklung wie in der Betriebsschließungsversicherung gab es im Entertainment-Bereich nicht, da es entweder einen konkreten Seuchenausschluss gab oder aber einen Wiedereinschluss. Deshalb waren die Deckungsfragen relativ klar, und wir konnten gedeckte Schäden unserer Kunden zügig begleichen. Als Reaktion auf die Pandemie haben wir den Seuchen-/Pandemieausschluss flächendeckend bei unseren Produkten eingeführt, da dieses systemische Risiko nicht bewert- und versicherbar ist. Unsere Film- und Veranstaltungsversicherungsprodukte decken aber weiterhin den Ausfall und die Unterbrechung von Filmproduktionen oder Veranstaltungen aufgrund der klassischen Gefahren unter anderem durch Sachschaden, Haftpflicht, Naturkatastrophen, Wetter, Terror oder aber der Personenausfall durch Krankheit, Unfall, Tod.
VWheute: Das Jahr 2021 neigt sich dem Ende zu: Allmählich finden wieder erste Veranstaltungen statt – wenn auch unter verschärften Bedingungen. Was bedeutet dies für die Event-Versicherer und wie reagieren Sie darauf?
Michael Furtschegger: Die Signale an uns sind sehr positiv, alle Organizer sind voll in der Planung. In einigen Ländern sahen wir auch sehr schnell schon wieder Veranstaltungen und es werden vermehrt Deckungen angefragt. Beispiel Schweiz: Hier suchen die Makler dringend nach Deckung für Veranstaltungsausfall, etwa für internationale Sportverbände oder für Ausrichter von Festivals und Open-Air-Veranstaltungen. Das Interesse an Veranstaltungsausfall-Versicherung (VAV) ist weiterhin groß, auch wenn es keine Deckung für Seuchenrisiken mehr gibt. Feuer, Wetter, Naturkatastrophen, Personenausfallrisiken zum Beispiel sind weiterhin existent und deckungsfähig und somit auch nachgefragt. Gleichzeitig sind die Kapazitäten knapp, weil sich einige Versicherer am lokalen Markt teilweise aus der VAV zurückgezogen haben. So sehen wir doch vermehrt Anfragen auf unserem Tisch.
VWheute: Die Filmindustrie ist nach den Lockdowns unter strengen Hygieneauflagen wieder weitgehend zur Normalität zurückgekehrt. Inwieweit hat sich die coronabedingte Pause auf die Filmversicherer ausgewirkt? Hatten die verschobenen Premieren der Blockbuster Auswirkungen auf die Filmversicherer und wenn ja, welche?
Michael Furtschegger: In der Filmindustrie ist die Lage noch erfreulicher, da die Industrie früher die Rückkehr in Richtung Normalität geschafft hat. Nach dem ersten Lockdown konnten im Juni vergangenen Jahres viele Dreharbeiten unter strengen Auflagen wieder aufgenommen werden. Unsere Wahrnehmung ist, dass bereits jetzt wieder deutlich mehr Content produziert wird. Das liegt zum einen am großen Bedarf der Streaming-Plattformen, zum anderen an weltweit wachsenden Filmproduktionsstätten. Von den Verschiebungen von Kinostarts – wie beispielsweise von James Bond – sind wir als Versicherer nicht betroffen.
VWheute: Neben Hollywood und Europa sind auch Indien (Bollywood), Pakistan oder Nigeria zu neuen Mekkas für Cineasten. Wie reagiert AGCS auf diese Entwicklung und welche Zukunftsperspektiven sehen Sie in diesen Märkten?
Michael Furtschegger: Neben Hollywood sind mittlerweile Bollywood in Indien, Lollywood in Pakistan und Nollywood in Nigeria feste Größen in der jeweiligen Region mit stetig wachsendem Output. Auch in der wachsenden Filmindustrie Chinas ist die Allianz mit einer eigenen Lizenz am Markt. Wir beobachten den weltweiten Markt der Filmindustrie sehr genau und können dank unserer globalen Reichweite überall Deckungen anbieten. Die AGCS ist der einzige Versicherer am Markt mit einem „globalen Underwriting-Setup“ im Bereich Entertainment und kann solche internationalen Programme anbieten. Interessant ist das vor allem für internationale Konzerne, die Werbefilmproduktionen oder Kundenveranstaltungen in verschiedenen Ländern absichern müssen. Die AGCS kann in mehreren Ländern Policen ausstellen und damit Lösungen anbieten, die weltweit compliant sind. Captives können eingebunden, verschiedene Deckungen gebündelt werden. Gerade eine Bündelung macht Sinn im Hinblick auf Risikokontrolle, Prämieneffekte und Deckungsumfang; und eine zentrale Abrechnung schafft Transparenz über alle Aktivitäten und Ausgaben.
VWheute: Welche Lehren ziehen die Event-Versicherer aus der Corona-Krise? Sind Pandemien in der bislang bekannten Form überhaupt noch versicherbar?
Michael Furtschegger: Wie bereits beschrieben, haben wir Ausschlüsse eingeführt, wenn es um Ausfall von Filmproduktionen und Veranstaltungen in Folge eines behördlich angeordneten Lockdowns geht. Weiterhin sehen wir neue Gefahren, die sich aus Covid ableiten: Da ist zum einen das Thema Cyberrisiken: Cyber ist, wie eine Pandemie, ein potenziell systemisches Risiko. Cyberangriffe auf Ticketing-Systeme, regionale Stromversorgungen oder auf ein digitales Zahlungssystem könnten hohe Schäden nach sich ziehen. Dies müssen wir im Underwriting genau prüfen. Sorgen bereitet uns außerdem die Zunahme von zivilen Unruhen, extremeren Wetterereignissen und Naturkatastrophen – vor allem in den USA. Hier beraten wir unsere Kunden gerne und stehen mit Versicherungslösungen zur Verfügung.
Die Fragen stellt VWheute-Redakteur Tobias Daniel.