Montagskolumne mit Reiner Will: Intensiver Hürdenlauf zum New Normal Top-Entscheider exklusiv
Die Pandemie hat die Arbeitswelt erheblich durchgeschüttelt, vorbehaltlich der Sorge über die Fortsetzung von notwendigen Ausnahmeregelungen infolge einer neuen Infektionswelle im Herbst/Winter mit Delta, Eta oder Lambda-Varianten steht in vielen Betrieben die Frage nach dem „New Normal“ in der Post-Corona-Welt auf der Agenda.
„Viele“ gilt es allerdings zu relativieren. Die Diskussion um das New Work fokussiert sich vor allem auf Unternehmen und Jobs, bei denen eine Tätigkeit außerhalb der Betriebsstätte möglich ist und den positiven Erfahrungen damit. Dies trifft insbesondere auf viele Büro-, IT- oder auch Callcenter-Tätigkeiten zu. Handwerk, Dienstleistung am Menschen oder Logistik beispielsweise lassen sich nicht vom heimischen Schreibtisch aus erledigen, von der Diskussion um eine Anpassung der Arbeitswelt sind diese nur ganz am Rande betroffen.
Aber auch in Betrieben, in denen im Hinblick auf den Arbeitsort grundsätzlich Flexibilität möglich ist, gibt es in aller Regel jobbedingte Ausnahmen. Eine Befragung aus dem Januar 2021 der Personalberatung Hays unter 1.042 Mitarbeitenden und Führungskräften zeigte, dass dies zu Spannungen und Neid zwischen den Beschäftigungsgruppen führen kann.
Heute lässt sich feststellen, dass Corona geholfen hat, in breiter Form die digitalen beruflichen Kompetenzen zu erhöhen. Denn während der Pandemie mussten viele Unternehmen gezwungenermaßen Erfahrungen mit Videokonferenzen, virtuellen Teammeetings und neuen Formen kollaborativer Arbeit sammeln. Dabei wurden viele Vorbehalte in Bezug auf die Produktivität bei mobiler Arbeit und digitalen Kommunikationsformaten zerstreut. Warum soll man also die Ausnahme nicht gleich zur Regel machen?
Mobiles Arbeiten ermöglicht eine viel selbstbestimmtere Arbeitsgestaltung, schafft Freiräume und fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zeit lässt sich zudem durch den eingesparten Arbeitsweg sparen, was letztendlich auch dem Klima und der Nachhaltigkeit nutzt. Wie so oft im Leben gibt es dazu jedoch auch viele Einwände.
Mobile Arbeit als „Privileg“ und „Neidfaktor“ wurde schon angesprochen. Deshalb auf den Nutzen zu verzichten, erscheint wenig überzeugend, vielmehr helfen hier eine besonders achtsame Führung und eine transparente Kommunikation der Spielregeln.
Eine weitere Gefahr stellt die soziale Vereinsamung dar, wofür das Homeschooling in der Pandemie einen eindrücklichen Nachweis liefert. Schule ist eben nicht nur Fakten lernen, sondern vor allem ein Ort vielfältiger sozialer Interaktionen. Für Kinder hat dies eine immens hohe Bedeutung, weshalb der Ruf nach einer Rückkehr in den Präsenzunterricht immer vehementer wurde. Auch im Betrieb trägt der zwischenmenschliche Austausch unter Mitarbeitenden, etwa beim gemeinsamen Mittagessen oder der Kaffeepause, zur Arbeitszufriedenheit bei.
Der Wunsch der Mitarbeitenden, aus diesem Grund schnellstmöglich in die Betriebe zurückzukehren, hält sich allerdings in Grenzen. Sicher hängt dies mit der latenten Sorge einer Infektion am Arbeitsplatz zusammen. Kritisieren lässt sich ferner, dass bei mobiler Arbeit die Trennlinie zwischen Arbeit und Privatem leichter verwischt, die Entlastung dann zu einer Mehrbelastung wird und Kommunikation und Teamzusammenhalt leiden können. Letzteres hängt wiederum eng mit der Gestaltung sozialer Kontakte sowohl online als auch in Präsenz zusammen. Dies ist sicher eine der zentralen Herausforderungen im New Normal.
Neben diesen eher inhaltlichen und prozessualen Fragen, zeigt die Praxis, dass die Einführung mobiler Arbeit anspruchsvoller, komplizierter und komplexer ist als vermeintlich gedacht. Außerhalb der Coronanotstandsverordnung und den damit einhergehenden situativen Regelungen bewegt man sich, nämlich bei der dauerhaften Gestaltung im deutschen Arbeitsrecht. Und dies baut auf Leitgedanken wie der Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmenden, der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses und der Unabdingbarkeit von Arbeitnehmerrechten auf. Das New Normal muss also in einen rechtlich verbindlichen Rahmen gekleidet werden. Das fängt schon damit an, dass im Sprachgebrauch meist undifferenziert bzw. synonym von Homeoffice, mobiler Arbeit und Telearbeit gesprochen wird. Rechtlich sind dies aber völlig unterschiedliche Konstrukte mit deutlich voneinander abweichenden Rechten und Pflichten sowie Freiheiten und Bindungen.
Einen Weg bietet eine Betriebsvereinbarung zur mobilen Arbeit an. Die können Arbeitgeber und Betriebsrat für alle Beschäftigten vereinbaren. Für eine Vielzahl von Mitarbeitenden trifft dies jedoch nicht zu, denn nur rund 46 Prozent aller Beschäftigen werden in Deutschland durch einen Betriebsrat vertreten. Alternativ könnte der Arbeitgeber gegenüber den Mitarbeitern eine einseitige Gesamtzusage für mobile Arbeit aussprechen. Das Problem dabei ist, dass sich eine solche im Nachhinein grundsätzlich nicht einschränken lässt, es sei denn durch eine Änderungskündigung. Dies wirkt abschreckend, muss man doch sehr vorausschauend überlegen, wie die Zusage aussehen könnte, denn Kündigungen ohne triftigen Grund sind haltlos.
Tatsache ist auch, dass dieses flexible Modell nicht jedem liegt, z. B. gibt es im mobilen Büro vielfältige Quellen für Ablenkung. Daher sollte dies ein Angebot und kein Zwang sein, der für alle Beteiligten Wege in das mobile Arbeiten, aber auch den Rückweg in das Büro offen hält. Dies und den übrigen Rahmen rechtsverbindlich zu formulieren, ist nicht trivial. Steht der Weg einer Betriebsvereinbarung nicht zur Verfügung, sind individuelle ergänzende Vereinbarungen zum Arbeitsvertrag zielführend.
Man sieht, die neue Flexibilität ist zunächst mit einigen Hürden verbunden. Die größte dabei ist aber, und dies zeigt wiederum die angesprochene Hays-Studie, mangelndes Vertrauen in die Mitarbeiter.
Zum Autor: Reiner Will ist geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur. Er beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit der Analyse und Bewertung von Versicherungsunternehmen und Tarifen.