Montagskolumne von Torsten Oletzky: Wie Flut und Versicherungspflicht zusammenhängen
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Torsten Oletzky, Digitalisierungsexperte und Kolumnist bei VWheute. Quelle: TH Köln/Thilo Schmülgen - bearbeitet von VWheute.

„Die Bilder der Flutkatastrophe haben uns alle erschüttert“, schreibt Torsten Oletzky in der heutigen Montagskolumne für VWheute. Angesichts des unvorstellbaren menschlichen Leids in Folge der Unwetterereignisse falle es schwer, eine Diskussion über die resultierenden Versicherungsfragen zu führen. „Auf Dauer werden wir aber nicht umhin­kom­men, diese Fragen zu klären.“

In einem Fernsehbericht vor wenigen Tagen interviewte die Journalistin ein Paar mittleren Alters, das durch die Fluten nahezu alles verloren hatte. Die beiden berichteten, dass sie sich bei ihrem Versicherer für das Wohngebäude und den Hausrat nach möglichen Versiche­rungsleistungen erkundigt hätten.

Der Versicherer habe diese Möglichkeit unter Verweis auf die nicht abgeschlossene Versicherung gegen Elementarschadenereignisse aus­geschlossen. Im Nachsatz erläuterte die Journalistin, dass sich das Paar vor einigen Jahren aufgrund der hohen Kosten gegen die Versicherung gegen Elementarschadenereignisse entschieden hätte.

Es wäre in diesem Fall also offensichtlich möglich gewesen, das Gebäude und den Inhalt gegen die Flut zu versichern – am akuten Leid der betroffenen Menschen ändert diese Feststel­lung jedoch leider rein gar nichts. Und es handelt sich um keinen Einzelfall. Obwohl die Versicherer nach Angaben des GDV für 99% der Gebäude den Schutz gegen Elementarschäden anbieten, hat sich nicht einmal die Hälfte der Hauseigentümer für diese Form des Versicherungsschutzes entschieden.

Die Politik hat vor dem Eindruck der schrecklichen Bilder den betroffenen Bürgern versichert, dass sie diesen schnell und unbürokratisch mit finanziellen Soforthilfen unter die Arme greifen wird. Ich halte diese Entscheidung losgelöst von allen Versicherungsfragen ausdrücklich für richtig. Ich wüsste nicht, wie eine andere Entscheidung die Akzeptanz der Betroffenen und von uns allen, die wir von den Bildern aus den Katastrophengebieten geschockt sind, finden sollte.

Allerdings könnte die Auszahlung von Soforthilfen an die nicht versicherten Betroffenen wenig­stens in Nordrhein-Westfalen auf rechtliche Hürden stoßen. Denn nach mäßig erfolgreichen Kampagnen zur Erhöhung der Quote von Elementarschadenversicherungen hatte die NRW-Landesregierung unter Armin Laschet in einer im Januar 2018 erlassenen „Richtlinie über die Gewährung von Soforthilfen bei durch Naturkatastrophen hervorgerufenen Notständen“ Hilfen in solchen Fällen ausdrücklich ausgeschlossen, in denen ein verfügbarer Versicherungsschutz nicht abgeschlossen wurde. Konkret heißt es in dieser Richtlinie in Ziffer 4.3.2: „Schäden, die wirtschaftlich vertretbar versichert werden können, sind grundsätzlich nicht soforthilfefähig. Zu den Schäden, die in diesem Sinne versicherbar sind, gehören insbesondere (…) Schäden, verursacht beispielsweise durch Überschwemmungen (…).“

Armin Laschet steckt also in einem Dilemma. Um die Bürger zu motivieren, sich rechtzeitig, wo immer dies möglich ist, gegen das Risiko von Elementarschäden zu versichern, hat seine Landesregierung die Zahlung von Hilfen an Nicht-Versicherte ausgeschlossen. Nur scheinbar hat dies niemand mitbekommen. Oder aber Bürger haben darauf vertraut, dass die Politik ihre Linie, wenn der Katastrophenfall erst einmal eingetreten ist, nicht durchhalten wird.

Ich bin mir sicher, dass Armin Laschet einen Weg finden wird, sich über die Regelung seiner eigenen Landesregierung hinwegzusetzen – und das halte ich in dieser Situation wie gesagt auch für richtig. Auf Dauer ist es aber keine Lösung, dass eine Hälfte der Bevölkerung die Kosten für den Versicherungsschutz trägt und die andere Hälfte im Schadenfall vom Steuerzahler entschädigt wird. Und da die Elementarschadenkampagnen in allen Bundesländern, die sie durchgeführt haben, nicht ansatzweise zu Versicherungsquoten nahe 100% geführt haben, bleibt auf Dauer nur die Lösung der Versicherungs­pflicht, wenn wir diese unselige Diskussion nicht nach jeder weiteren Katastrophe erneut führen wollen.

Eine Versicherungspflicht ist in Deutschland nichts grundsätzlich Ungewöhnliches. Wir kennen sie bekanntlich in der Kfz-Haftpflichtversicherung, der Haftpflichtversicherung bestimmter Berufsgruppen und der Krankenversicherung. Eine Versicherungspflicht macht immer dann Sinn, wenn von vorneherein erkennbar ist, dass im Schadensfall bei nicht versicherten Risiken die Allgemeinheit eintreten müsste, weil die Schäden durch die Betroffenen ohne Leistungen vom Versicherer oder der Allgemeinheit nicht zu tragen sind.

Und mit einem solchen Fall haben wir es hier zu tun. Da es nicht vorstellbar ist, die Geschädigten ohne jegliche Unterstützung auf sich allein gestellt zu lassen, muss sichergestellt werden, dass alle versicherbaren Risiken auch versichert werden können. Soforthilfen würde es dann tatsächlich nur noch für die nicht versicherbaren Risiken geben. Oder – noch besser – auch diese wenigen Risiken würden in eine eigene Versicherungslösung eingebracht, bei der der Staat als ultimativer Risikoträger, z.B. über eine Schadenexzedentenrückversicherung, eintritt.

In der Öffentlichkeit entsteht aktuell mitunter der Eindruck, als würden sich die Versicherer grundsätzlich gegen jede Form der Pflichtversicherung von Elementarschäden wenden. Dies hielte ich für unglücklich, es scheint mir bei genauerem Hinsehen aber auch nicht der Fall zu sein. In der Stellungnahme des GDV heißt es, man lehne die „Pflichtversicherungslösung als singuläres Instrument“ ab. Damit scheint mir die Brücke zur Lösung bereits gebaut zu sein. Denn angesichts des menschengemachten Klimawandels und der immer weiter steigenden Kosten von Naturkatastrophen wird niemand ernsthaft erwarten, das Problem mit einem „singulären Instrument“ lösen zu können.

Neben der Versicherungspflicht wird es weitere Schritte von Bauverboten in gefährdeten Zonen, über Vorsorgepflichten der Versicherungsnehmer bis zur Aufgabe von Gebäuden in besonders exponierten Lagen geben müssen. Die Versicherungspflicht reiht sich in diese Maßnahmen als wesentlicher Baustein zur Lösung des Gerechtigkeitsproblems zwischen versicherten und (heute noch) nicht versicherten Haushalten ein. Vermittler, Versicherer und der GDV können auf diesem Weg nur gewinnen. Denn wer will schon die hässlichen Diskussionen führen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn Kunden zu spät erkennen, dass sie eine Versicherung mit einer gravierenden Lücke abgeschlossen haben.

Zum Autor: Torsten Oletzky lehrt an der TH Köln. Zuvor arbeitete er unter anderem bei  McKinsey und war Vorstand bei der Mannheimer und Ergo. Der Digitalisierungsexperte ist Vorstand beim Insurlab Germany in Köln.