Montagskolumne mit Allianz-Vorständin Renate Wagner: „Pandemie als Chance nutzen, um die Weichen für mehr Gleichstellung zu stellen“
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Renate Wagner, Allianz-Vorständin. Quelle: Allianz - von Redaktion bearbeitet.

„Vor einigen Wochen habe ich eine Wanderung mit meiner Mutter im bayerischen Voralpenland gemacht“, schreibt Renate Wagner. Ein willkommener Tapetenwechsel für die Allianz-Managerin im allgemeinen Lockdown, und eine für sie seltene Gelegenheit, sich über die eigene Familiengeschichte zu unterhalten. Sie erfuhr, dass ihre Urgroßmutter vor über 100 Jahren ihrem Vater nahelegte, ihr anstatt einer Mitgift ein Studium zu finanzieren, denn sie sei „zu klug für einen Ehemann“. Eine Kolumne über Gleichstellung, finanzielle Absicherung und neue Perspektiven.

Mit der Aussage war wohl nicht gemeint, dass Ehemänner – oder Männer schlechthin – zu dumm für sie seien. Nein, meine Urgroßmutter wusste, sie würde der tradierten Rolle der intellektuell unterlegenen Ehefrau nicht entsprechen und war deswegen bereit, sich mit einem Junggesellinnen-Dasein abzufinden. Es kam dann anders: Meine Urgroßmutter fand einen modernen und weltoffenen Ehemann, der sich von ihrem Oxford-Abschluss nicht einschüchtern ließ. Ein Glück, denn sonst gäbe es mich nicht.

Die Zeiten haben sich freilich geändert, dennoch frage ich mich, warum so viele Frauen auch in Ländern, in denen Gleichberechtigung ein Grundrecht ist, immer noch gefangen sind in einem Rollenverständnis, das jahrhundertealte gesellschaftliche Erwartungen fortsetzt.

Wir wissen, dass Frauen finanziell im Schnitt schlechter abgesichert sind als Männer – also weniger Altersvorsorge, weniger Geldanlagen, weniger Investitionen und schlichtweg weniger auf der hohen Kante haben und stärker von Armut bedroht sind. Das ist zum Teil dem Umstand geschuldet, dass Frauen immer noch unterrepräsentiert sind in hoch bezahlten Jobs und öfter in Teilzeit arbeiten oder in ungesicherten Arbeitsverhältnissen sind. Und das hängt wiederum oft damit zusammen, dass Frauen die Fürsorge für Kinder, Haushalt und später pflegebedürftige Eltern übernehmen.

Für ihre finanzielle Absicherung hat das oft schwerwiegende Folgen: Im Vergleich zu Männern erhielten Frauen in Deutschland im Jahr 2019 ein um 46 Prozent geringeres Alterssicherungseinkommen, und ihre geschlechtsspezifische Rentenlücke betrug im Schnitt 27 Prozent. Eine aktuelle Befragung im Auftrag der Allianz unter 1.000 Frauen zwischen 20 und 60 Jahren hat ergeben, dass dies den wenigsten Frauen in Deutschland bewusst ist.

Es gibt also nicht nur zu wenig Frauen insbesondere in den sogenannten MINT-Fächern und in den technischen Berufen. Studien belegen, dass Frauen auch weniger über Finanzen Bescheid wissen als Männer und finanzielle Themen oder Entscheidungen gerne Männern überlassen. Eine weitere, neulich von uns in Auftrag gegebene Umfrage in fünf europäischen Ländern – Deutschland, Frankreich, England, Italien und Spanien – zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Sicherheitsgefühl der Menschen hat ergeben, dass neben der jüngeren Generation sich am meisten die Frauen über ihre finanzielle Lage sorgen. Kein Wunder. Eine länger währende Krise kann eine hart erkämpfte Gleichstellung schnell kippen lassen, wenn sie in erster Linie die Frauen wieder an Haus und Herd bzw. Kindertisch und Home-Schooling fesselt, weil das immer noch der herkömmlichen Rollenverteilung entspricht.

Ich wünsche mir, dass wir alle diese Pandemie als Chance nutzen, um die Weichen für mehr Gleichstellung zu stellen und dafür sorgen, dass neben den jungen Leuten auch und besonders die Frauen wieder mehr Perspektiven und mehr Sicherheit erlangen, denn wir haben es als Gesellschaft nötig. Dazu gehört mehr als Gleichberechtigung auf dem Papier, wir müssen alle – Männer wie Frauen – dafür Sorge tragen, dass wir unser jeweiliges Rollenverständnis überdenken. Das öffnet neue Horizonte für alle Geschlechter und setzt die Energien frei, die uns helfen.

Autorin: Renate Wagner ist Vorstand der Allianz SE. Die Mathematikerin ist zuständig für Human Resources, Legal, Compliance, Mergers & Acquisitions. Bei VWheute schreibt sie über alle Themen, die sie bewegen.

2 Kommentare

  • Wenn man die Corona Pandemie als Chance sieht, sollte man hoffen, dass es noch viele und lang anhaltende Pandemien gibt. Wir brauchen noch viele Chancen im Leben.

  • Reicht Frau Wagner ihr Job eigentlich nicht? Sie ist doch das perfekte Beispiel für Gleichstellung von Frauen! In Deutschland wimmelt es nur so von Quoten für Frauen und besonders Minderheiten wie Homosexuelle, Nicht-Weiße, Transgender und Muslime. Kein Fernsehsender und keine Zeitschrift, die sich nicht um möglichst viele Mitarbeiter*Innen aus diesen Bereichen bedienen. Keiner fragt mehr nach der für die Position erforderlichen Qualifikation, die ist nur noch lästig. Und ich bin mir sicher, Frau Wagner verdient nicht 22% weniger als alle ihrer Mit-Glied-Kollegen. Falls es da doch einer auf so viel mehr schafft, dann könnte er auch vielleicht besser sein, weil er schon begriffen hat, dass auch bei Frauen nur die Leistung zählt und nicht fehlende Geschlechtsteile eine geringere Bezahlung bewirken, wie sie denkt.

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