BSV-Prozesse: Täuschen die Versicherer die Öffentlichkeit?

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Viele Medien lassen sich scheinbar von der Versicherungsbranche täuschen, weil sie den Trend im Streit um coronabedingte Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung (BSV) aus öffentlichen Urteilssammlungen entnehmen. Denn danach haben die Versicherer deutlich die Oberhand. Doch die Realität wäre eine andere. Die Branche würde systematisch negative Urteile durch Vergleich verhindern, sagt ein Anwalt.

„Die Verweigerungshaltung bei der Entschädigung von Betriebsschließungen durch Corona strahlt längst in andere Sparten aus“, sagte Rechtsanwalt Mark Wilhelm aus Düsseldorf auf dem Online-Kongress „Aktives Schadenmanagement 2021“ des Businessforums21. Nach Einschätzung des Juristen ist die Schadenregulierung bei der Betriebsschließungsversicherung (BSV) auf dem schlechten Stand von vor 20 Jahren angelangt. „Die Branche kämpft mit harten juristischen Bandagen“, meinte Wilhelm. So würden Prozesse beispielsweise systematisch verschleppt. Gleichzeitig würden die Versicherer, die eine Leistung gänzlich ablehnen, versuchen negative Entscheidungen zu verhindern.

Versicherer verlieren in 70 Prozent der Fälle

So würde die Kanzlei Wilhelm derzeit in 70 Prozent aller Verfahren gewinnen. „Doch sobald der Richter das klarstellt, haben wir innerhalb von 24 Stunden ein Vergleichsangebot auf dem Tisch“, erläuterte Wilhelm. Daher würden derzeit über 90 Prozent der Prozesse, die positiv für die Versicherten ausgehen würden, durch Vergleich „gewonnen“. Die klagenden Unternehmen, in der Regel aus der Gastronomie und dem Eventbereich würden bisher diese Vergleiche immer annehmen, denn in der Regel ständen sie wirtschaftlich trotz staatlicher Corona-Hilfe mit dem Rücken zur Wand.

Aufgrund der Vergleichsstrategie der Branche würden nur in ganz wenigen Fällen Prozesse durch Urteil gewonnen. Daher hätten quantitative Rechtsprechungsübersichten kaum Aussagekraft. Im Vergleich sei in der Regel ein Stillschweigen über den Namen des betroffenen Versicherers und die Höhe der gezahlten Summe vereinbart. Nach Auffassung des Anwalts hätte die Branche rund drei bis vier Milliarden Euro zahlen müssen, wenn alle Ansprüche in vollem Umfang anerkannt worden wären. Diese Summe hätten Versicherer ohne eigene wirtschaftliche Schwierigkeiten stemmen können. „Allein ein einziger der rund 46 involvierten Assekuranzen würde wohl Probleme bekommen“, so der Anwalt. Insgesamt gäbe es 73.000 versicherte Betriebe. Seine Kanzlei würde in über 1.000 Verfahren gegen die Versicherer streiten. „Mehr als 200 Klagen haben wir bereits eingereicht, weitere 500 sind in Vorbereitung“, sagte Wilhelm.

Die Höhe der Entschädigung, die die Unternehmen von den Assekuranzen fordern, läge zwischen rund 10.000 und einer Million Euro. Die durchschnittliche Anspruchshöhe bezifferte der Anwalt mit rund 108.000 Euro. Viele Kunden müssten die Prozesse mittlerweile über sogenannte Prozesskostenfinanzierer führen, weil sie durch Corona in sehr schwierige wirtschaftliche Verhältnisse gekommen sind – VWheute hat dem Thema ein eigenes SCHLAGLICHT gewidmet.

Sehr teuer könnte es für die Branche werden, wenn der Bundesgerichtshof (BGH) tatsächlich den Versicherungsfall für Corona auf der BSV feststellen sollte. Dann hätten alle die Versicherer ein großes Problem, die den Kunden mitgeteilt haben, dass ihr Fall nicht versichert sei, sie aber 15 Prozent Entschädigung aus Kulanz erhalten könnten. „Diese Versicherer hätten ihre Kunden dann falsch informiert und der Vergleich ist dann anfechtbar“, erläuterte Wilhelm. Darauf würden die Prozessfinanzierer nur warten. Nur zwei oder drei Versicherer hätten den Kunden im Rahmen des sogenannten „bayerischen Kompromiss“ mitgeteilt, dass eine Leistung aus der BSV aufgrund Corona umstritten sei und die Abfindung zur Vermeidung eines Rechtsstreits gezahlt werde, wenn der Kunde einverstanden wäre.

Autor: Uwe Schmidt-Kasparek