Wie digitale Prozesse die Schadenmeldungen im Kfz-Versicherungssektor neu definieren

Bildquelle: Mercedes Benz AG

Die Digitalisierung prägt zunehmend die Prozesse in verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Die Versicherungsbranche ist dabei keine Ausnahme, sondern nimmt in vielen Bereichen sogar eine Vorreiterrolle ein. Besonders im Bereich der Schadenregulierung bei Kfz-Versicherungen zeigen sich vielversprechende Möglichkeiten zur Optimierung des Schadenmanagements sowohl mit Blick auf den Schadenaufwand als auch zur Effizienzsteigerung und Kundenzufriedenheit durch den Einsatz digitaler Kanäle. Ein Gastbeitrag von den ControlExpert-Managern Roy Heiderich und Michael Kubijowicz.

Ein Katalysator für die Ausweitung digitaler Kanäle war dabei insbesondere die Corona-Pandemie, die zu einem veränderten Kundenverhalten beigetragen hat. So hat sich beispielsweise die Anzahl der Suchanfragen im Internet zu schadenbezogenen Themen, wie einer Online-Schadenmeldung, teilweise vervierfacht. Die Einführung von Online-Schadenmeldungen stellt daher eine bedeutende Entwicklung dar, die darauf abzielt, den Schadenregulierungsprozess für Kunden und Versicherer gleichermaßen schneller und transparenter zu gestalten. Trotz der technologischen Fortschritte und des Potenzials zur Prozessoptimierung wird die Online-Schadenmeldung jedoch in vielen Fällen nur zögerlich angenommen. Dies deutet darauf hin, dass die Implementierung neuer Technologien nicht nur technische, sondern auch soziale und kognitive Herausforderungen mit sich bringt.

Dies ist insbesondere von Bedeutung, weil Versicherungsunternehmen ihre Kunden in den vergangenen Jahren trainiert haben, ihre Schäden telefonisch zu melden und dieses Verhalten aus Versichertensicht auch heute noch der oftmals präferierte Weg ist. Um die Barrieren und Potenziale digitaler Schadenmeldungen besser zu verstehen, wurde Ende 2024 eine explorative Studie durchgeführt.
Diese Studie untersucht, wie digitale Prozesse die Schadenmeldungen im Kfz-Versicherungssektor neu definieren – sowohl in Bezug auf deren Potenzial als auch auf bestehende psychologische und praktische Hürden. Im Zentrum der Studie steht die Frage, wie Kundinnen und Kunden im Schadensfall Entscheidungen über den Meldeweg treffen – und welche Rolle dabei digitale Kanäle spielen. Ziel ist es, die zentralen Einflussfaktoren auf dieses Verhalten systematisch zu analysieren, bestehende Barrieren sichtbar zu machen und daraus konkrete Strategien zur Verbesserung der digitalen Schadenmeldung im Kfz-Versicherungsbereich abzuleiten.

Methode und theoretischer Hintergrund

Die Analyse basiert auf zwei aufeinander aufbauenden quantitativen Online-Erhebungen, die über die Plattform Qualtrics durchgeführt wurden. Im ersten Studienteil August 2024 (1) lag der Fokus auf der Identifikation von Nutzungshürden und Barrieren bei der Online-Schadenmeldung. Aufbauend auf diesen Ergebnissen folgte im zweiten Studienteil im Januar 2025 (2) eine vertiefende Untersuchung zu den wahrgenommenen Mehrwerten sowie potenziellen Weiterentwicklungen digitaler Schadenmeldungen.
Zur systematischen Erfassung der Einflussfaktoren kam im ersten Studienteil ein erweitertes Technology Acceptance Model (TAM) zum Einsatz, das über ein Strukturgleichungsmodell abgebildet wurde. Dieses erlaubt eine differenzierte Analyse der Zusammenhänge zwischen zentralen Dimensionen wie wahrgenommener Nützlichkeit, Benutzerfreundlichkeit und Vertrauen sowie der daraus resultierenden Nutzungsintention. Die zugrunde liegenden Konstrukte wurden anhand validierter Likert-Skalen gemessen. Strukturgleichungsmodelle ermöglichen dabei die simultane Berücksichtigung direkter und indirekter Effekte und liefern so ein umfassendes Bild der Nutzerakzeptanz. Im zweiten Teil der Studie wurde ergänzend eine MaxDiff-Analyse (Maximum Difference Scaling) durchgeführt, um die Relevanz verschiedener Mehrwertfaktoren aus Kundensicht unter realitätsnahen Abwägungsszenarien zu ermitteln. Diese Methode bietet eine hohe Diskriminierungsfähigkeit und erlaubt es, relative Präferenzen auch bei komplexen Entscheidungssituationen zuverlässig zu quantifizieren.

Beide Analyseverfahren ergänzen sich: Während das Strukturgleichungsmodell zentrale Treiber der Akzeptanz digitaler Schadenmeldungen identifiziert, zeigt die MaxDiff-Analyse deutlich, welche konkreten Funktionen und Merkmale den größten Kundennutzen stiften – und somit gezielte Ansatzpunkte für eine nutzerzentrierte Weiterentwicklung bieten.

Die Stichprobenstruktur wurde hinsichtlich zentraler soziodemografischer Merkmale mit der Grundgesamtheit deutscher Kfz-Versicherungsnehmer abgeglichen und stellt eine ausreichende Repräsentativität für den Zielmarkt sicher.

ERGEBNISSE:

Unfallereignis und das unmittelbare Bedürfnis nach Kontrolle

Ein Autounfall trifft Betroffene meist unvorbereitet – selten, aber dafür mit umso stärkerer emotionaler Wucht. Die Studienergebnisse zeigen: In den ersten Stunden nach dem Ereignis dominiert das Bedürfnis, schnell zu handeln und die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen. Zwei Drittel der Befragten meldeten ihren Schaden noch am Unfalltag – ein klares Indiz dafür, dass in Ausnahmesituationen das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Orientierung zentral ist.

Emotionen wie Schock, Verunsicherung oder Hilflosigkeit prägen nicht nur den Unfallmoment, sondern beeinflussen den gesamten weiteren Schadenprozess. Besonders in dieser frühen Phase wünschen sich Kundinnen und Kunden klare, verständliche und stützende Abläufe. Das von uns herangezogene „Wheel of Control“ zeigt exemplarisch, wie wichtig es ist, Betroffenen trotz digitaler Prozesse das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit zu vermitteln.

Digitale Meldewege mit integrierten, KI-gestützten Prozessen bieten genau an dieser Stelle großes Potenzial: Sie bieten schnelle Hilfe, schaffen Orientierung und sorgen für emotionale Entlastung. Damit sie jedoch als echte Alternative wahrgenommen werden, müssen die zugrunde liegenden Vorbehalte und Nutzungsbarrieren konsequent verstanden und adressiert werden. Die Studie liefert dazu zentrale Erkenntnisse und konkrete Handlungsansätze.

Hemmnisse und Barrieren der Nutzung der digitalen Schadenmeldung

Obwohl digitale Schadenmeldungen technisch vollständig ausgestaltet und jederzeit verfügbar sind, zeigt die Forschung, dass sie in der Praxis oft nicht genutzt werden. Rund 75 Prozent der Versicherten wissen, dass eine Online-Schadenmeldung im Kfz-Bereich möglich ist, dennoch bevorzugen derzeit nur etwa ein Drittel diesen Weg. Durch die ermittelten Pfadkoeffizienten des beschriebenen Strukturgleichungsmodells wird deutlich, dass die wahrgenommene Nützlichkeit der Online-Schadenmeldung den entscheidenden Unterschied in der konkreten Nutzungsabsicht macht. Das bedeutet, wird der digitale Weg nicht als vorteilhaft gegenüber den anderen Meldewegen wahrgenommen, bleibt der digitale Kanal ungenutzt und das alte, gewohnte Telefonat dominiert. Eine genauere Betrachtung des Nutzerverhaltens zeigt, dass vor allem emotionale und psychologische Hürden eine zentrale Rolle spielen. Viele Kundinnen und Kunden sind unsicher im Umgang mit digitalen Anwendungen und befürchten Fehler, die sich negativ auf die Schadenregulierung auswirken könnten. Um Unsicherheiten und Misstrauen effektiv abzubauen, sind eine klare Kommunikation der Vorteile sowie eine empathisch gestaltete Nutzerführung essenziell.

Allerdings ist zu beobachten, dass Kunden, die schon einmal Vorerfahrungen mit einer digitalen Schadenmeldung gemacht haben, den Prozess über alle Dimensionen in Bezug auf Nützlichkeit und Benutzerfreundlichkeit, Vertrauen und somit auch Nutzungsintention positiver bewerten. Besonders bei „einfachen“ Schadensfällen dominiert der digitale Kanal fast vollständig, und 85 Prozent derjenigen mit Vorerfahrungen würden diesen Weg auch in Zukunft wählen. Wenn die Personen also einmal den digitalen Weg gewählt haben, sind sie davon überzeugt. Zu dem Griff auf die vertraute Hotline führen überwiegend fehlende Vertrautheit und traditionell geprägte Gewohnheiten.

Schlussfolgernd entscheidet nicht der Kanal, sondern dessen wahrgenommene Vorteile über die Kanalwahl. Über die Befragten hinweg hat eine schnelle Abwicklung der Schadenmeldung die höchste Priorität. Auffällig in der Analyse weiterer wichtiger Faktoren ist, dass das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt eine unwichtige Rolle spielt – gleichzeitig wird aber das Gespräch mit einem Sachbearbeiter als eher wichtig eingeschätzt. Dies lässt darauf schließen, dass zwar der Wunsch nach fachlicher Unterstützung vorhanden ist, dieser jedoch nicht zwingend mit einer persönlichen Interaktion verbunden sein muss.

Diese Ergebnisse unterstreichen, dass eine klare und transparente Kommunikationsstrategie seitens der Versicherer notwendig ist, damit der digitale Schadenmeldeweg attraktiver wird. Um diese Punkte zu identifizieren, widmet sich die zweite Phase der Studie den Mehrwerten, die digitale Schadenmeldungen bieten.

Mehrwert der digitalen Schadenmeldung: Der entscheidende Vorteil

Die Untersuchung zeigt, dass die Teilnehmenden den Mehrwert der digitalen Schadenmeldung in klar priorisierte Bereiche einteilen. An oberster Stelle steht die zeitliche und örtliche Flexibilität, die zusammen mit der nachvollziehbaren Darstellung des Schadenprozesses der wichtigste Mehrwert ist. Ebenfalls als wichtig werden die Aspekte Transparenz, das damit verbundene Vertrauen sowie die Schnelligkeit und Effizienz des Ablaufs wahrgenommen. Diese klare Rangordnung unterstreicht, dass der größte Mehrwert im Prozess der Unfallmeldung per Definition durch eine digitale Schadenmeldung gegeben ist. Denn sie ermöglicht es, den Prozess optimal an die Kernbedürfnisse der Kunden anzupassen. Darüber hinaus eröffnet die Integration von KI-gestützten Systemen Möglichkeiten diese Bedürfnisse noch treffgenauer zu adressieren: Durch die Echtzeitanalyse von Schadensdaten, sekundenschnelle Regulierungsvorschläge und präzise Prognosen zu Bearbeitungszeiten werden operative Prozesse schneller und flexibler.

Zudem bietet eine digitale Schadenmeldung eine schnelle Rückgewinnung eines Kontrollgefühls und Entlastung in einer Krisensituation. Wenn der Autounfall einen Zustand äußerster Hilflosigkeit hervorruft, vermittelt die digitale Schadenmeldung Sicherheit, da sie ohne Wartezeit „Hilfe bietet“. In einer Schocksituation bieten die flexible Handhabung und KI-gestützte Lösung sofortige Hilfe. Der Kunde muss keine eigene Expertise mitbringen und erhält dennoch sofortige Sicherheit. Transparent kommunizierte Prozessschritte sowie die ständige Einsehbarkeit des Ablaufs bauen Misstrauen ab und nehmen Orientierungslosigkeit, sodass sich der Kunde „an die Hand genommen“ fühlt. Die dadurch reduzierten Touchpoints entlang des gesamten Prozesses tragen dazu bei, Erschöpfung zu minimieren und vermitteln das Gefühl, dass „wir uns kümmern“.

So verbindet die digitale Schadenmeldung den funktionalen Mehrwert der schnellen und transparenten Abwicklung mit dem emotionalen Benefit, der in der Krise das Gefühl von Sicherheit und Selbstwirksamkeit wiederherstellt – ein zentraler Grund, warum der digitale Ansatz als das beste Potenzial zur Revolutionierung der traditionellen Schadensabwicklung angesehen wird.

Fazit und Ausblick

Digitale Schadenmeldungen ermöglichen eine schnelle, transparente und potenziell fehlerärmere Bearbeitung von Schadensfällen. Während konventionelle Prozesse oft umständlich und fehleranfällig sind, eröffnen digitale Lösungen neue Möglichkeiten: eine nahezu unmittelbare Bearbeitung, erhöhte Effizienz sowie zeitliche und örtliche Flexibilität.

Die Forschung belegt somit, dass der digitale Ansatz, trotz bestehender Hürden, ein großes Potenzial besitzt, um die traditionelle Schadenabwicklung nachhaltig zu revolutionieren. Die Studie zeigt dabei deutlich, dass die digitale Schadenmeldung weit mehr als nur eine technische Neuerung ist. Sie setzt neue Maßstäbe in emotionaler Akzeptanz, Transparenz und Effizienz. Während im Ereignis des Unfalls der erzwungene Handlungsbedarf und das Streben nach Kontrolle dominieren, zeigen die Ergebnisse, dass genau hier die digitale Schadenmeldung ihre Stärken entfaltet. Sie vermittelt den Versicherten nicht nur ein starkes Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, sondern bietet zugleich die gefragten Mehrwerte und optimiert den gesamten Schadenprozess – von der zügigen Meldung über eine transparente und nachvollziehbare Abwicklung bis hin zur schnellen und präzisen Regulierung. Insbesondere die Einbindung KI-gestützter Verfahren senkt den administrativen Aufwand, steigert die Effizienz und eröffnet mehr Zeit für individualisierte Kundeninteraktionen in komplexen Fällen. Eine Kombination, die den Pfad für eine zukunftssichere Schadenabwicklung legt.

Für Versicherer ist dies ein deutlicher Handlungsaufruf, die klaren Mehrwerte der digitalen Schadenmeldung zu nutzen. Versicherungsunternehmen sollten Flexibilität, Schnelligkeit, Transparenz und das Sicherheitsgefühl konsequent in den Vordergrund stellen. So wird der digitale Weg zur ersten Wahl – nicht nur als technische Lösung, sondern als ganzheitlicher Ansatz zur Optimierung des Schadensprozesses und zur Steigerung der Kundenzufriedenheit. Die digitale Schadenmeldung ist daher der nächste evolutionäre Schritt in der Transformation des Schadenmanagements und bildet die Grundlage für eine nachhaltige, KI-getriebene Versicherungsrevolution.

1) Teil 1 der Studie basiert auf einer Befragung von N=1.283 Personen, davon 777 mit einem Kfz-Schadenfall in den letzten 12 Monaten.
2) Teil 2 der Studie basiert auf einer Befragung von N=1.252 Personen, davon 822 mit einem Kfz-Schadenfall in den letzten 12 Monaten.

Autoren: Roy Heiderich, Head of Key Account Management, und Michael Kubijowicz, Director Sales; beide bei ControlExpert

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