Montagskolumne von DFV-Chef Knoll: „Politische Meinungen beschränken sich auf Probleme, die häufig keine sind“
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Stefan Knoll, CEO der Deutschen Familienversicherung. Quelle: DFV - von der Redaktion bearbeitet

„Der Staat, dem wir uns geradezu genussvoll in der Hoffnung ergeben, dass er unsere gesellschaftlichen Probleme löst, versagt auf allen Politikfeldern und kennt nur noch den Ausbau der Bürokratie“, kritisiert Stefan Knoll in seiner heutigen Kolumne. Der DFV-Chef warnt vor wegbrechenden gesellschaftlichen Stützen und einem Standort D auf Abstiegskurs.

Als ich mit neun Jahren zum Kommunionsunterricht zur Vorbereitung auf die erste heilige Kommunion anstand, wurde ich von meiner Mutter dahingehend belehrt, dass ich sofort zu ihr zu kommen habe, wenn der Pfarrer mich anfassen würde. Ich habe das damals allenfalls rudimentär verstanden, was auch im Ergebnis egal ist, denn mich hat nie ein Geistlicher angefasst. Heute, rund 53 Jahre später, bin ich aus der Kirche ausgetreten, weil ich den systemischen Missbrauch, dessen Vertuschung und die Unfähigkeit zur Aufklärung in meiner Kirche nicht auch noch durch Kirchensteuer unterstützen will. Eine Kolumne von DFV-Chef Stefan Knoll.

Es geht aber nicht nur um Missbrauch im Sinne eines strafrechtlich bewehrten Vergehens und die damit verbundene Verwerflichkeit, sondern um den Niedergang einer Institution, die unseren Kulturkreis Jahrhunderte geprägt hat.

Und so wird mit mir die katholische Verwurzelung meiner Familie – immerhin ist meine Mutter noch vom evangelischen Glauben zum Katholizismus konvertiert, um meinen Vater heiraten zu können, abreißen. Das könnte man mit einem „geschieht ihnen recht“ kommentieren, aber in Wirklichkeit ist es so, wie wenn ich etwas Bestimmtes kaufen will und auf den Erwerb verzichte, weil der Verkäufer unfreundlich war. Der Kirche scheint meine Reaktion egal zu sein und so schädigt sie in Wirklichkeit auch die, die nicht Missbrauchsopfer waren.

Im Vorgriff auf die Umsetzung der Heeresstruktur 4 erhielt das Jägerbataillon 132 in Schwarzenborn, das bis zu meinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst in der Bundeswehr meine erste militärische Heimat war und wo ich am 1. Oktober 1979 zum Fahnenjunker ernannt worden bin, die ersten neuen Schützenpanzer vom Typ Marder. Ich wähle diese Zeit, weil mit der Umsetzung der Heeresstruktur 4 ab 1980 die stärkste Bundeswehr in ihrer Geschichte entstand. Zwölf Divisionen mit 36 Brigaden und ein noch größeres Territorialheer sicherten die alte Bundesrepublik Deutschland gegen die zahlenmäßig überlegenen Truppen des Warschauer Paktes.

Wir hatten traditionell die beste Infanterie und keiner unserer Bündnispartner in der NATO hat damals das Gefecht der verbundenen Waffen so beherrscht, wie wir. Rund 40 Jahre später verfügt die Bundeswehr über den größten Verteidigungsetat in ihrer Geschichte und die Kritik am Zwei-Prozent-Ziel reißt nicht ab. Dabei wäre es besser, wenn man die Frage stellen würde, wie man so viel Geld ausgeben kann, ohne ein adäquates Ergebnis zu erzielen. Die Panzergrenadierbrigade 37 soll ab 2023 die sogenannte „Speerspitze“ im Rahmen der Very High Readiness Joint Task Force im Rahmen der NATO Response Force werden. Dafür werden wahrscheinlich schon jetzt Waffen und Gerät in der ganzen Bundeswehr zusammengesucht.

Im Jahr 1973 fragte mich mein Vater, ob ich Mitglied der Jungen Union geworden sei, Post und diverse Abendtermine ließen darauf schließen. Ich verneinte das wahrheitsgemäß, weil ich direkt Mitglied der CDU geworden war. Die Partei Adenauers wurde damals von Rainer Barzel und dann bis 1998 von Helmut Kohl geführt. Seit 16 Jahren stellt sie die Kanzlerin und wir werden nicht müde den Erfolg dieser Zeit zu betonen. Im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern mag das zutreffen. Im Verhältnis zu den wirklichen wirtschaftlichen Konkurrenten, wie China und den USA, werden wir Jahr für Jahr schlechter und die Inkompetenz der Unions-Regierungsmitglieder ist im wahrsten Sinne unglaublich.

Ob es der Wirtschaftsminister, die Bildungsministerin, der Verkehrsminister, die Staatsministerin für Digitalisierung, der Gesundheitsminister oder die Verteidigungsministerin sind, alle weisen eine geradezu beeindruckende fachliche Distanz zu ihrer Ressortverantwortlichkeit auf. In Frankfurt hat die CDU gerade die Kommunalwahl krachend verloren, was bei einer Wahlbeteiligung von ca. 45 Prozent eine Leistung für sich ist und nur geht, wenn die im Adenauer-Haus erfundene asymmetrische Demobilisierung auch die eigenen Mitglieder erfasst.

Warum wähle ich diese Beispiele? Nun, weil sie die bisherigen Säulen meines Lebens darstellen. Da brechen ganz substanzielle Stützen der Gesellschaft weg. Die Kirche als Grundpfeiler unserer abendländischen Kultur, die Bundeswehr mit der vormaligen, die Gesellschaft verbindenden Wehrpflicht, das Parteiensystem, das der Willensbildung des Volkes dient. Und eigentlich ist es in Wirklichkeit das Krebsgeschwür der Inkompetenz bei den Verantwortlichen und die damit korrespondierende unerträgliche gesellschaftliche Gleichgültigkeit. Wir sind fett, faul und genügsam geworden. Wir überlassen den hoch bezahlten Nachrichtensprechern die Meinungsbildung und ergeben uns in eine unbegründete Zufriedenheit. Politische Meinungen beschränken sich auf Probleme, die häufig keine sind, sich aber vielleicht gerade deshalb zur Polarisierung eignen.

Und der Staat, dem wir uns geradezu genussvoll in der Hoffnung ergeben, dass er unsere gesellschaftlichen Probleme löst, versagt auf allen Politikfeldern und kennt nur noch den Ausbau der Bürokratie. Keine staatliche Institution und schon gar nicht die staatlichen Aufsichtsorgane haben auch nur ein ansatzweises Verständnis für die Erforderlichkeit von Unternehmertum für die Zukunftsfähigkeit eines Landes. Dabei ist mehr innovatives Unternehmertum der einzige Ausweg, der uns vor der wirtschaftlichen Kolonialisierung durch die USA oder China bewahrt.

Und Unternehmertum finanziert sich typischerweise über die Börse. Deshalb zeigt die Entwicklung dort, wie sehr wir dabei sind, als Nation Boden zu verlieren. Waren die USA früher (2000) ein Land des Öls und Gases, ist es heute ein solches der Technologie. Bei uns hat sich da umgekehrt wenig getan. Der Anteil deutscher Unternehmen an der Weltmarktkapitalisierung hat sich seit dem Jahr 2000 bis heute von 4,9 auf 2,5 Prozent fast halbiert. Wenigstens sind die kleinen Niederlande und das klamme Italien noch hinter uns, werden die Relativierer einwenden. Dass aber die USA ihren Anteil von 46,7 auf 57,8 Prozent gesteigert haben, beachtet niemand. Und bei den Patentanmeldungen – weil ja die Chinesen angeblich nur kopieren können – liegt Asien um das Zehnfache vor Europa.

Was haben wir? Fachlich mehrheitlich unerfahrene Politiker und einen Beamtenapparat, der sich selbst genügt. Im alten Preußen waren die Beamten noch Träger der wirtschaftlichen Weiterentwicklung. Stellen Sie sich vor, Sie würden das gegenüber einer Bundesoberbehörde als Erwartungshaltung formulieren. Und, weil sich die Bürokratie längst selbst im Wege steht, sucht der Staat verfassungsrechtlich bedenkliche Verlängerungen außerhalb seiner Planstellenstruktur. So ist es eine gerade absurde Idee, handelsrechtliche Vorgaben durch den deutschen Corporate Governance Code vorzugeben, die kartellrechtlich bedenkliche Deutsche Aktuarvereinigung verbindliche Regeln zur Zinsbestimmung entwickeln zu lassen oder von der DPR zu erwarten, dass sie investigativ erfolgreich ist, wo ein ganzes Finanzministerium versagt hat. Dafür wird der Finanzminister und frühere Erste Bürgermeister von Hamburg Kanzlerkandidat, nachdem er seine Erinnerungslücken in der größten steuerlichen Plünderungsaktion offenbart hat. Was für ein Land sind wir geworden.

Wann fangen wir an, den überbordenden Staat zurückzudrängen und hören auf, als Empfänger widerspruchslos nach Auswegen zu suchen. Der Staat ist nur die Organisationsstruktur unserer Gesellschaft und aus dieser Funktion heraus hat er sich ganz grundsätzlich subsidiär zu verhalten. Nur das, was wir als Gesellschaft nicht gestalten oder lösen können, hat der Staat zu regeln und zu gestalten. Deswegen sind die Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat ausgestaltet. Das Recht auf Freiheit, auf individuelle und berufliche Entfaltung wird uns nicht vom Staat gegeben. Vielmehr schützen uns Grundrechtsartikel wie Artikel 12 oder 2 davor, dass der Staat übergriffig wird. Und genau das tut er mit seiner überbordenden Bürokratie.

Ich bin 63 Jahre alt und kann mich durch anderweitige Betätigungen davon ablenken, dass ich sinnbildlich dabei bin, vieles zu verlieren, was mir einst wichtig war. Und weil es für mich noch reicht, setze ich mich zur Not auf mein Hausboot und lasse den lieben Gott einen guten Mann sein, solange er noch als „männlich“ bezeichnet werden darf. Und nota bene: 2018 bin ich als Oberst d.R. aus der sogenannten Beorderung ausgeschieden und immer noch Mitglied der CDU – und bei „Nun danket alle Gott“, auch als „Choral von Leuthen“ bekannt, geht mir das Herz auf.

Zum Autor: Stefan M. Knoll ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Familienversicherung. Er ist u.a. für den Digitalisierungsprozess des Unternehmens verantwortlich und hat das Unternehmen an die Börse geführt. Er blickt auf eine jahrzehntelange Karriere als Unternehmer zurück.

Ein Kommentar

  • Dr. Andreas Billmeyer

    Da ist tatsächlich viel Wahres dran – einen Punkt, nämlich die Hybris und Bürokratie aus der EU hat er noch vergessen zu erwähnen! Dagegen ist selbst der deutsche Amtsschimmel ein Pony…

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