Die Kernprobleme der Lebensversicherer und wie sie gelöst werden können

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Von außen betrachtet, steht Deutschland wirtschaftlich insgesamt noch sehr gut da, trotz Handelsstreit, Brexit und einer wohl schwächeren Konjunktur in diesem Jahr. Wirft man jedoch einen tieferen Blick auf den Bereich der finanziellen Vorsorge, ergibt sich ein weniger positives Bild. Im Vergleich mit allen Euroländern liegt der langfristige sichere Zinssatz in Deutschland am weitesten unter der Inflationsrate.

Mit anderen Worten, die klassische Sparanlage in Bundesanleihen ist kaufkraftvernichtend. Das setzt deutsche Sparer und damit den deutschen Lebensversicherungssektor zunehmend unter Druck. So liegt in dem Phänomen – „Inflation ohne Zins“ – zurzeit die größte Herausforderung für die finanzielle Vorsorge. Denn eine kapitalbildende Lebensversicherung und eine Rentenversicherung ergeben nur Sinn, wenn ihr Ertrag mindestens die Inflation kompensiert, also die Kaufkraft zumindest stabil hält. Das heißt für die Lebensversicherungsbranche: Kapitalanlage und Risikomanagement sind wichtiger denn je.

Die Inflationsrate als Richtschnur

Welche Anforderungen müssen Kapitalanlage und Risikomanagement von Lebensversicherungen unter diesen Gegebenheiten erfüllen? Die Antwort auf diese Frage hängt von der Inflationsrate ab, der sich Versicherte ausgesetzt sehen. Wir alle haben die durchschnittliche Inflationsrate von 1,9 Prozent im letzten Jahr vor Augen. Sie ist aber nur ein Durchschnitt über alle Haushaltstypen hinweg und basiert auf dem durchschnittlichen Warenkorb. Daher ist sie nur bedingt aussagekräftig.

Versicherte, deren Fokus auf der Altersvorsorge liegt, gewichten die Themen Gesundheits­ausgaben und Pflege- oder Altersheimkosten besonders hoch. Diese Kosten stiegen in den letzten Jahren überdurchschnittlich mit etwa 4 Prozent jährlich. Versicherte wiederum, die an langfristiges Sparen und den Vermögensaufbau denken, messen dem Thema Immobilienerwerb eine hohe Bedeutung bei. Laut Bundesbank stiegen die Preise für Wohneigentum in den Städten 2016 um 8 Prozent; zwischen 2010 und 2015 waren es durchschnittlich 6,8 Prozent.

Diese wichtigen Ausgabenposten sind praktisch nicht in der Inflationsrate enthalten. Denn sie ist ein Verbraucherpreisindex, der definitionsgemäß auf Verbrauchsgütern beruht. Ein Haus ist aber kein Verbrauchsgut. Insofern unterschätzt die Inflationsrate den Kaufkraftschwund für Langfristsparer ganz erheblich.

Die oben genannten Posten mit einbezogen, sehen sich die Kunden der Lebensversicherer eher einer Inflationsrate von mindestens 3 Prozent ausgesetzt. Der Lebensversicherungssektor muss es also schaffen, auch in diesem schwierigen Umfeld attraktive Vorsorgelösungen bereitzustellen. Eine große Rolle spielt dabei der Umgang mit – zum Teil geschlossenen – Altbestände. Denn hier binden Lebensversicherungen häufig viel Kapital und Kapazitäten.

In jüngster Vergangenheit haben sich zwei Lösungswege für den Umgang mit geschlossenen Beständen aufgetan, die Bestandsversicherung und die Bestandsrückversicherung.

Bestandsversicherung: Kapitalanlagestrategie im Fokus

Bei der Bestandsversicherung überträgt der Lebensversicherer die Altbestände vollständig oder anteilig ­an einen externen Bestandsversicherer, der die Verträge unter den gleichen Bedingungen fortführt. Für Versicherungsunternehmen hat dies den Vorteil, dass Kapital und Managementkapazitäten freigesetzt werden und sie ihre operative Ausrichtung neu justieren können. Auch die Versicherten profitieren davon. Denn Bestandsversicherer, also Versicherungsunternehmen ohne Neugeschäft und Vertrieb, können aufgrund ihres fokussierten Geschäftsmodells und spezialisierten Know-hows oftmals besser mit den Herausforderungen des Marktes umgehen.

In der noch relativ jungen Geschichte der Bestandsversicherung haben sich Anforderungen verschiedener Stakeholder herauskristallisiert, auf die Verkäufer und Käufer eine Antwort parat haben müssen. Da ist zum einen die Öffentlichkeit, die die Vorteile eines Verkaufs der Altbestände kritisch hinterfragt. Die Bestandsversicherer können bisher nur einen relativ kurzen Erfahrungshorizont vorweisen. Daher ist es ganz normal und richtig, dass das Geschäftsmodell von allen Seiten unter die Lupe genommen wird – gerade in einem so auf Sicherheit und Vertrauen ausgerichteten Markt wie der Lebensversicherung.

Zu Beginn der öffentlichen Debatte wurden Erstversicherer, die sich damit auseinandergesetzt haben, vor allem mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden ihre Kunden verraten. Mittlerweile hat sich jedoch gezeigt, dass die Bestandsversicherer durchaus in der Lage sind, die Altbestände effizient und zum Vorteil der Kunden abzuwickeln.

Zum anderen stellt das schwierige Marktumfeld hohe Anforderungen an die Bestandsversicherer. Sie müssen vor allem beweisen, dass sie angemessene Renditen erwirtschaften können, um den Versicherungsnehmern Sicherheit bei ihrer finanziellen Vorsorge zu bieten. Das rückt die Kapitalanlage und das Risikomanagement in den Fokus als tragende Säulen des Geschäftsmodells jedes Bestandsversicherer.

Ich möchte an dieser Stelle kurz den Ansatz von Athora bei der Kapitalanlage beschreiben als ein Beispiel für eine erfolgreiche Anlagestrategie. Athora hat vor rund eineinhalb Jahren seiner Kapitalanlagestrategie neu aufgesetzt. Seitdem liegt der Fokus bei der Vermögensanlage auf weniger liquiden, hoch qualitativen Anlagen in der Realwirtschaft, insbesondere bei Unternehmen. Dabei geht es weniger um Anleihen von börsennotierten Unternehmen, deren Renditen zum Teil stark gesunken sind, sondern insbesondere um private Platzierungen.

Eine breite Streuung in der Anlage hilft zudem, Renditechancen über verschiedene Emittenten, Bonitätsklassen, Märkte und Regionen zu erschließen. Athora Deutschland verwaltet seine Assets nicht selbst, sondern hat dafür den weltweit tätigen Asset Managers Apollo engagiert. Apollo verwaltet ein Vermögen von ca. 240 Milliarden Euro und hat eine anerkannte Expertise für den gesamten Kreditanlagebereich.

Die Neuausrichtung der Kapitalanlage trägt nun Früchte. Die Athora Lebensversicherung erhöht die Überschussbeteiligung für Leben-Policen im kommenden Jahr auf eine Gesamtverzinsung von 2,75 Prozent. Das Unternehmen hebt damit zum ersten Mal seit der Übernahme der Delta Lloyd im Jahr 2015 die Gesamtverzinsung an. Für den Bestand ist es die erste Erhöhung seit 2008. Mit der Gesamtverzinsung von 2,75 Prozent wird Athora Leben im Jahr 2020 über dem diesjährigen durchschnittlichen Zinssatz von 2,46 Prozent für klassische Lebensversicherungsverträge im deutschen Markt liegen. 

Bestandsrückversicherung: Stabilisierung des LV-Geschäfts bei Erhalt der Kundenbeziehung

Eine zweite mögliche Lösung für Altbestände ist eine umfassende Rückversicherung der Marktrisiken und versicherungstechnischen Risiken. Der Charme dieser Lösung: Der Bestand bleibt beim Erstversicherer.

Rückversicherungen sind ein fester Bestandteil des Versicherungsgeschäfts. Die meisten Rückversicherer haben sich bislang nur auf die versicherungstechnischen Risiken konzentriert. Sie versichern ihre Kunden gegen Risiken wie Invalidität oder Langlebigkeit. Die Asset-Seite bleibt dabei außen vor. Doch das größte Risiko für die Lebensversicherer ist das Anlagerisiko. Hier treffen die niedrigen Zinsen und die hohen Garantien in den Policen aufeinander.

Um die Risiken signifikant zu senken, die Solvenzquote zu steigern und gleichzeitig das Ergebnis zu stabilisieren, können Versicherer seit letztem Jahr auf eine Rückversicherungslösung für ihre Kapitalanlage- und Haftungsrisiken zurückgreifen.

Das Angebot von Athora ist ein Beispiel für eine solche Rückversicherung des Altbestands. Sie funktioniert folgendermaßen: Tochtergesellschaften der Athora Holding Gruppe in Bermuda und Irland übernehmen für den Erstversicherer das Kapitalanlagerisiko und die biometrischen Versicherungsrisiken in einer bestimmten Quote. Der Lebensversicherer zahlt dafür eine Rückversicherungsprämie an den Bestandsrückversicherer. Die Prämie richtet sich nach der Art, Umfang und Dauer der Rückversicherung. Wirtschaftlich gesehen hat die Rückversicherungslösung der Athora Gruppe eine ähnliche Wirkung wie die Bestandsübertragung, was die Eigenkapitalentlastung angeht, ohne dabei die Kundenbeziehung zu unterbrechen.

Auch die Versicherten profitieren von der Rückversicherungslösung. Athora übernimmt wie bei der Bestandsversicherung das Asset Management vom Erstversicherer und damit findet Athoras Kapitalanlagestrategie Anwendung. Im Austausch mit Erstversicherern hat sich noch ein weiterer erwähnenswerter Aspekt gezeigt: Da es möglich ist, zunächst nur einen kleinen Teil des Bestandes rückzuversichern, kann der Versicherer diese Form der Risikoreduzierung testen und je nach Erfahrung ausweiten.

Die Rückversicherung der Asset-Seite ist in den USA oder Großbritannien schon ein etabliertes Vorgehen. Das Konzept ist also nicht gänzlich neu. Auch mancher deutsche Versicherer hat ähnliche Transaktionen auf globaler Ebene über seine internationalen Gesellschaften durchgeführt.

Eine „dritte Säule“ neben Erst- und Rückversicherern

Es bleibt abzuwarten, wie sich der in Deutschland noch junge Bestandsversicherungssektor weiterentwickelt. Der Bedarf bei Erstversicherern ist jedenfalls groß. Laut einem Report der Ratingagentur Fitch, soll das Volumen von Altbeständen allein in Deutschland bis 2022 von 90 Milliarden auf 180 Milliarden Euro steigen. Athoras Schätzungen zufolge denkt jeder dritte Lebensversicherer über eine Lösung für diese Altbestände nach.

Mit der externen Verwaltung von Beständen und der Rückversicherung stehen zwei Lösungen zur Verfügung, die einerseits die Anforderungen der heutigen Zeit erfüllen und andererseits auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lebensversicherer eingehen. In Deutschland ging die erste große Übernahme eines Altbestands durch einen Bestandsversicherer bisher fast geräuschlos über die Bühne. Und auch über Deutschlands Grenzen hinaus wächst der Markt: Mit der vereinbarten Übernahme des Lebensversicherers VIVAT N.V. mit 2,2 Mio. Kunden und einem verwalteten Vermögen von rund 55 Mrd. Euro durch Athora in den Niederlanden steht ein weiterer großer Schritt bevor. Kurzum: Früher oder später werden sich die Bestandsversicherer als „dritter Säule“ neben Erst- und Rückversicherern im deutschen Markt etablieren.

Autor: Christian Thimann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Athora Deutschland Holding