Umschwung auf dem Rückversicherungsmarkt steht bevor

Begeben sich die Rückversicherer auf neue Wege? Bildquelle: Alex T. auf Pixabay

Das zweckgebundene Rückversicherungskapital auf dem gesamten Rückversicherungsmarkt wird voraussichtlich schrumpfen. Dagegen wird das ILS- oder Drittkapital steigen, prophezeit eine Analyse. Die Rückversicherer geraten auch aus einem anderen Grund unter Druck. Das Vertrauen der Kapitalgeber in ihre ureigensten Fähigkeiten schwindet.

Auf dem Markt ist noch reichlich Rückversicherungskapital vorhanden, aber die Finanzmarktbedingungen werden das zweckgebundene Rückversicherungskapital für 2022 dämpfen, analysiert AM Best. Basierend auf der bisherigen Reaktion der Anlagemärkte auf die Zinserhöhungen sowie der Befürchtung einer anhaltenden Inflation und einer möglichen Rezession erwartete das Analysehaus für das Jahresende 2022 „einen Rückgang des insgesamt verfügbaren Kapitals“. Basierend auf konservativen Schätzungen könnten wir eine Rückkehr in die „Nähe des Ende 2020 beobachteten Niveaus“ sehen.

„Einer der Gründe für den Überfluss an Kapital war das Niedrigzinsumfeld“

Carlos Wong-Fupuy, Senior Director bei AM Best

Die neue Prognose von AM Best und Guy Carpenter geht davon aus, dass das gesamte „zweckgebundene Rückversicherungskapital“ bis Ende 2022 um fast 7 Prozent auf rund 530 Mrd. US-Dollar schrumpfen wird.  Auch das traditionelle Rückversicherungskapital sinkt; voraussichtlich um fast 8,5 % auf 435 Mrd. US-Dollar. Dagegen wird das Rückversicherungskapital für Dritte, das größtenteils in ILS-Fonds, -Vehikeln und -Strukturen eingesetzt wird, den Prognosen zufolge in diesem Jahr um 1 Prozent zunehmen und seinen bisherigen Höchststand von 95 Mrd. US-Dollar erreichen.

Gewinner ILS-Markt?

Verbesserte Rückversicherungsergebnisse tragen dazu bei, die Kapitalniveaus in der Branche etwas anzuheben, ein Trend, von dem AM Best erwartet, dass er sich fortsetzen wird. Nach einem Rückgang von mehr als 7 % im Jahr 2019 ist es „ermutigend zu sehen“, dass die Erholung des ILS-Marktkapitals anhält. Das zweckgebundene Kapital wird auch dadurch beeinträchtigt, dass die Rückversicherer eine „defensive Position“ einnehmen. Einige Marktteilnehmer halten Kapital zurück, um ihre Bilanzen gegen Makroeffekte zu schützen.

Wenn in diesem Jahr mehr Schäden an ILS-Kapitalgeber fallen, könnte die Unsicherheit hoch bleiben. Als Ergebnis würden sich wohl nur wenige Investoren wohlfühlen, wenn sie Kapital einsetzen, „egal zu welchem Preis“, glaubt AM Best. „Einige wenige neue Marktteilnehmer werden es trotzdem versuchen, aber ihr Einfluss dürfte in einem Markt, in dem die Raten als Reaktion auf die begrenzte Kapazität weiter steigen könnten, begrenzt sein.“

Die Rückversicherer reagieren

Der volatile (Rückversicherungs-)Markt, die unsichere Weltlage und der Klimawandel sind auch für die Rückversicherer eine unübersichtliche Gemengelage. Sie versuchen, sich abzusichern.

In Anbetracht der gestiegenen Schäden nicht nur durch Naturkatastrophen, sondern auch durch sogenannte sekundäre Gefahren, der Auswirkungen von Pandemien und der wirtschaftlichen Unsicherheit haben viele globale Rückversicherungsunternehmen ihren Geschäftsmix auf Unfall- und Spezialversicherungen verlagert. In diesen Sparten sei die Preisentwicklung immer noch positiv, ist in einem anderen Report von AM Best zu lesen. „Es gibt potenziell ruinöse Großrisiken wie Pandemie-, Cyber- und Kriegsschutz“, erklärte kürzlich der Munich RE Chef Joachim Wenning.

Doch Gegenwind für die RV-Branche kommt zusätzlich aus einer anderen Richtung. Die Häufung von Katastrophenereignissen in den letzten fünf Jahren hat einen erheblichen Druck auf das Vertrauen der Nutzer in die Modellierungsinstrumente ausgeübt, die eine Schlüsselkomponente im Preisfindungsprozess darstellen. Darüber hinaus ist das versicherungstechnische Umfeld weniger vorhersehbar geworden und die Maßnahmen der Regierungen haben einen großen Einfluss auf die Marktbedingungen.

„Die Risiken von Haftpflicht- und Spezialversicherungen sind überschaubarer.“

Carlos Wong-Fupuy, Senior Director bei AM Best

„Einer der Gründe für den Überfluss an Kapital war das Niedrigzinsumfeld“, so Carlos Wong-Fupuy, Senior Director bei AM Best. Aktuell versuchen die Zentralbanken die Inflation zu kontrollieren, wodurch das Kapital knapper werde; zudem drohen Rezessionsängste und die sinkenden Bewertungen von Vermögenswerten beeinträchtigen die Bilanzen in einer Weise, „wie es Katastrophenschäden bisher nicht vermocht haben“.

Die Unternehmen reagieren nervös. Selbst bei Ratenerhöhungen sind die meisten Rückversicherer der Ansicht, dass die aktuellen Preise für Sachkatastrophenrisiken „immer noch nicht hoch genug sind“, um die anhaltende Unsicherheit zu kompensieren. Als Alternative sind die genannten Unfall- und Spezialversicherungen attraktiver, da sie vergleichsweise stabilere, vorhersehbare Muster aufweisen. Obwohl Haftpflicht- und Spezialversicherungen nicht vor Kumulrisiken gefeit sind, wie sie bei Großereignissen wie der Pandemie oder der Invasion in der Ukraine zu beobachten waren, gelten sie im Vergleich zu Naturkatastrophen im Sachbereich als überschaubarer und seltener, erklärt Wong-Fupuy.

Auch die Handhabung sekundärer Gefahren sei wichtiger denn je, was auch andere Analyseunternehmen bestätigen. Informierte Unsicherheit seien der Kern eines Portfolios versicherbarer Risiken, erklärt Wong-Fupuy. „Letztendlich bestimmt das Gleichgewicht zwischen der Volatilität der jüngsten Erfahrungen und den wahrgenommenen Margen, die in den aktuellen Tarifen enthalten sind, die Risikobereitschaft.“ Für bestimmte Arten von Risiken, wie Naturkatastrophen, ist diese jüngste Volatilität entweder zu belastend oder für einige Rückversicherer „inakzeptabel geworden“. Andere Unternehmen vergrößern ihr Cat-Risiken-Budget um bis zu einem Fünftel, wie die Insurance Australia Group (IAG).

Markt ist lohnend, aber unsicher

Trotz aller Unsicherheit kann der Branchenalarmknopf ungedrückt bleiben. AM Best schätzt das globale Rückversicherungssegment nach wie vor als sehr gut kapitalisiert und diszipliniert ein. Obwohl die Pandemie die Ergebnisse dieser Bemühungen verlangsamte, erzielte das globale Rückversicherungssegment im Jahr 2021 zum ersten Mal seit fünf Jahren eine kombinierte Schaden-Kosten-Quote von unter hundert Prozent. Die 96,4 % bei einer Eigenkapitalrendite von 9,2 % waren ein Erfolg, verglichen mit 2,3 % im Jahr 2020. Der wesentliche Grund hierfür waren steigende Preise in fast allen Sparten.

Preise im Aufschwung, am Beispiel „USA Catastrophe pricing“. Quelle: Gallagher.

Die Versicherer investieren weiterhin beträchtliche Ressourcen, um den sich schnell entwickelnden Risiken zu begegnen. Zudem hätten die meisten hoch bewerteten Unternehmen ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, ihre Geschäftspläne an die sich ändernden Marktbedingungen anzupassen und nachhaltige Gewinne zu erzielen. Die Rückversicherer bleiben innovativ, da sie bei der Risikoselektion, der Preisgestaltung, der Produktentwicklung und dem Kapitalmanagement sehr fortschrittlich sind. Aus diesen Gründen hält AM Best an seinem „stabilen Marktsegmentausblick“ für die globale Rückversicherungsbranche fest.

Gleichzeitig sind die Stärke und Relevanz der einzelnen Faktoren, die den Ausblick untermauern, im Wandel begriffen. Das bedeutet, dass sich die Geschäftsprofile verändern, um die „zunehmende Komplexität des Risikoumfelds auf globaler Ebene widerzuspiegeln“ – ein Symptom ist der zuvor beschriebene, wachsende ILS-Markt.

Vor dem Hintergrund all der genannten Faktoten schreckt AM Best vor einer Prognose zum Rückversicherungsmarkt zurück. „Der Versuch, die Zukunft vorherzusagen, ist heutzutage sogar noch komplizierter, weil der Verlauf der Erneuerungen zum Jahresende stark von der tatsächlichen Schadenaktivität und der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängen wird.“

Autor: Maximilian Volz

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