Versicherer in der Kritik: „Schaut man genauer hin, sind wir in vielen Fällen wieder bei Windows 95”

Bastian Kunkel, Bestsellerautor, Youtuber und Geschäftsführer VMK Versicherungsmakler. (www.versicherungenmitkopf.de ) Bildquelle: Bastian Kunkel

Mit seinem Buch „Total ver(un)sichert“ rüttelt Makler Bastian Kunkel die Branche wach. Bei der Digitalisierung etwa sehe es drinnen nicht ansatzweise so aus, wie häufig dargestellt wird. In Sachen BSV habe die Branche eine massive Chance auf Imageverbesserung mit den Füßen getreten – und da ist auch noch das Problem mit dem Misstrauen. Ein Interview.

VWheute: Mit Ihrem Buch “Total ver(un)sichert” haben Sie es mit dem vermeintlich „trockenen” Thema Versicherungen sogar in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft. Ist das ein Hinweis darauf, dass die Leute immer noch zu wenig über Versicherungen wissen und es hierbei eine Wissenslücke gibt?

Bastian Kunkel: Ich denke, es ist ein Hinweis darauf, dass die Menschen – trotz der Trockenheit des Themas – wissen, dass sie sich mit ihren Versicherungen beschäftigen müssen. Ich glaube auch, dass der Untertitel „Was du mit 18 über Versicherungen wissen solltest, aber mit 30 immer noch nicht weißt” bei vielen Menschen die gleiche Reaktion hervorruft: „Verdammt, der Typ hat recht. Ich muss mich jetzt endlich mal damit beschäftigen, bevor es zu spät ist.”

VWheute: Die Jugend kritisiert schon lange, dass man in der Schule zwar eine Gedichtsanalyse in mehreren Sprachen erlernt, aber nichts über Mietverträge und Versicherungen erfährt. Wie sehen Sie das? Könnte ein Schulfach „Wirtschaft“ helfen, die Wissenslücke zu schließen?

Bastian Kunkel: Diesen Stimmen kann ich mich nur anschließen. Nicht umsonst ist vermutlich auch einer der häufigsten Kommentare unter meinen Videos „Wieso habe ich das nicht in der Schule gelernt?!”. Die Lernbereitschaft ist also vorhanden, in Teilen auch schon das Verständnis, wie wichtig die Themen Finanzen, Steuern und Versicherungen für das Leben nach der Schule sein werden. Das Schulfach Wirtschaft gibt es zudem ja schon. Die Frage ist allerdings, was hier vermittelt wird – und vor allem auch von wem. Wenn man wirklich sinnvolle und praxisrelevante Inhalte in den oben genannten Bereichen in der Schule vermitteln möchte, müssen diese Inhalte auch von Menschen vermittelt werden, die eben aus dieser Praxis kommen und auch entsprechend qualifiziert sind. Eine „normale” Lehrkraft ist dies in der Regel auf alle Fälle nicht. Hier muss ich direkt an eine Instagram-Nachricht denken, welche mir ein Schüler vor Kurzem geschickt hatte. In dieser schreibt er, dass ihr Lehrer heute im Unterricht ganz klar von einer Berufsunfähigkeitsversicherung abgeraten hat, weil diese nur für Handwerker sinnvoll wäre und nicht, wenn man später mal einen Bürojob ausüben sollte. So viel zu diesem Thema.

VWheute: Sie widmen sich in Ihrem Buch ausführlich dem Thema Berufsunfähigkeit, räumen mit Mythen auf und verteidigen die BU-Versicherer. Sollten die Medien bei Leistungsverweigerungen besser recherchieren und weniger auf skandalöse Einzelfälle setzen?

Bastian Kunkel: Leider kann ich den Medien nicht vorschreiben, wie sie recherchieren und worüber sie berichten. Würde ich mir hier ein differenzierteres und vor allem auch realistischeres Bild wünschen, was die BU-Leistungspraxis angeht? Sicherlich. Aber wir (die Versicherungsbranche) müssen selbst auch realistisch genug sein und akzeptieren, dass sich dies vermutlich nicht ändern wird. „Bad News Sell.“ Das war schon immer so. Fast niemand würde eine Zeitung mit nur positiven Schlagzeilen kaufen. Und am Ende ist es vermutlich nicht mangelnde Recherche, welche wieder zur nächsten Dokumentation über eine BU-Versicherung führt, welche (natürlich wieder) nicht leistet, sondern eine klar festgelegte Agenda, zu welcher dann gezielt die passenden Inhalte „recherchiert” werden. Das ist nicht nur traurig, sondern erzeugt eben genau dieses verzerrte und unrealistische Bild der BU-Leistungspraxis, welches am Ende nicht zu Verbraucheraufklärung führt, sondern zu maximaler Verbraucherverunsicherung. Deswegen nutze ich mit meiner Reichweite auch jede Möglichkeit, um genau hier die Aufklärungsarbeit zu leisten, welche unbedingt nötig ist, damit die Menschen nicht plötzlich fatale Versicherungsentscheidungen treffen – z.B. gegen eine Berufsunfähigkeitsversicherung.

VWheute: Sie sagen, eine BU-Versicherung sollte jeder haben. Entscheidet man sich spät dafür, dann bekommen viele Kunden aufgrund der Gesundheitsfragen und den Vorerkrankungen aber keine Police zum angemessenen Preis. Was können Kunden tun und wie weit sollten Versicherer den Abschlussprozess einer BU vereinfachen?

Bastian Kunkel: Eine BU-Versicherung sollte jeder haben, der auf sein aktives Arbeitseinkommen angewiesen ist. Die angesprochenen Probleme könnte man in großen Teilen lösen, wenn die Wichtigkeit dieser Versicherung schon in der Schule vermittelt werden würde. Je früher man sich mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung auseinandersetzt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man diese auch noch abschließen kann. Versicherer arbeiten ja ständig daran, den Abschlussprozess einer BUV zu vereinfachen. Ich für meinen Teil würde mir hier eine komplett neue Herangehensweise wünschen.

VWheute: Welche?

Bastian Kunkel: Für viele Menschen ist Berufsunfähigkeit nicht vorstellbar und daher sehr abstrakt. Aber jedem Menschen ist klar, dass die eigene Gesundheit und damit auch die Fähigkeit zu arbeiten und Geld zu verdienen, verschiedenen Gefahren ausgesetzt ist (Krankheiten, Unfälle etc.). Was wäre, wenn ein Berufsunfähigkeitsversicherer künftig dein starker Partner an deiner Seite ist, der dafür sorgt, dass du erst gar nicht berufsunfähig wirst? Über dieses Thema könnte ich sicherlich nochmal ein komplett separates Interview füllen. Nur noch ein letzter Gedanke dazu: Geht man heute zu einem Therapeuten, um Stress auf der Arbeit zu bewältigen, um einem Burnout/Depression vorzubeugen, wird man vom BU-Versicherer dahingehend bestraft, dass man teilweise gar keine BU-Versicherung mehr abschließen kann, wenn kürzlich eine entsprechende Therapie stattgefunden hat. Ich finde, dass BU-Versicherer darüber nachdenken sollten, solche Therapien nicht mit einer Ablehnung zu bestrafen, sondern die Kosten für entsprechende Therapien künftig für Versicherte übernehmen sollten. Macht das nicht irgendwie mehr Sinn? Und verursacht dies am Ende möglicherweise langfristig weniger Kosten aufseiten des BU-Versicherers, weil weniger Menschen berufsunfähig werden? Der BU-Versicherer als präventiver, gesundheits- und arbeitskrafterhaltender Partner an der Seite jedes Menschen. Sorry für die Wortwahl, aber das fände ich schon ziemlich geil.

Das Image der Versicherer hat auch unter der Pandemie gelitten. Man verwies auf die Bedingungen bei den Betriebsschließungsversicherungen und gewann vor Gericht. Hätten Versicherer nicht mehr Kulanz zeigen können? Schließlich war kein Player wirklich in seiner Existenz bedroht, in den Bilanzen wurden weiterhin Millionengewinne ausgewiesen, während BSV-Kunden ihre Läden dicht machen mussten.

Schwieriges Thema. Und natürlich wieder ein gefundenes Fressen für die Presse. Ein Versicherer kann ja nicht einfach so mal Millionen von Euro auf Kulanzbasis ausschütten. Ausgezahlte Versicherungsleistungen müssen ja auch gerechtfertigt werden. Aber dennoch bin ich der Meinung, dass die Versicherungsbranche hier eine massive Chance auf Imageverbesserung mit den Füßen getreten hat. Man hätte sicherlich auch rechtlich saubere Lösungen finden können, um Zahlungen zu ermöglichen, obwohl kein versicherter Fall vorlag. Eine Brancheninitiative, die schnell gegründet wird, um unkompliziert zu helfen etc. Stattdessen wurde massiv auf das schlechte Image eingezahlt. „Wenn es darauf ankommt, dann zahlt die Versicherung ja eh nicht.” Genau das hat die Bevölkerung erneut wahrgenommen. Und genau um diese Wahrnehmung geht es. Gute Selbstvermarktung ist irgendwie nicht wirklich die Stärke von vielen Versicherern bzw. der Branche allgemein.

VWheute: Die Sprache der Bedingungen ist mit ein Grund für den schlechten Ruf. In Ihren Videos übersetzen Sie das Fachchinesisch in einfaches Deutsch. Wird sich an der Juristen-Sprache in den Versicherungsbedingungen jemals etwas ändern?            

Bastian Kunkel: Das hoffe ich doch sehr. Für Laien nicht verständliche Versicherungsbedingungen schaffen Misstrauen, aber kein Vertrauen. Und Vertrauen in die Versicherung ist das wichtigste überhaupt. Wenn der Versicherungsnehmer nicht weiß, was jetzt genau versichert ist und was nicht, dann besteht Verunsicherung. Dabei sollte eine Versicherung ja eigentlich Sicherheit vermitteln. Anstatt die nächste App zu entwickeln, die eh kaum ein Kunde nutzen wird, sollten sich Versicherer auf ihr Kerngeschäft fokussieren und an der Verständlichkeit ihrer Versicherungsprodukte arbeiten. Wie gewinnen wir das Vertrauen der Menschen in unsere Produkte? Das sollte die Frage sein, die man sich stellen sollte. Eine neue App, ein teurer TV-Werbespot mit einem B-Promi oder ein YouTube-Video mit einem Influencer zum Fremdschämen, sind sicherlich keine Antworten auf diese Frage.

VWheute: Einerseits sagen Sie, dass die Branche sich den schlechten Ruf verdient hat und einige Vermittler nur den Provisionen nachjagen. Andererseits betonen Sie, dass es auch die Stornohaftung gebe, die schlechte Vermittler aussiebt. Ist das Provisionsmodell nun gut oder schlecht?

Bastian Kunkel: Das sind auch zwei verschiedene Punkte, die man separat beleuchten muss. Der schlechte Ruf hat ja per se nichts mit der Form der Vergütung zu tun, sondern mit dem moralischen Kompass der Menschen, welche durch schnelles Geld, dicke Karre und fette Uhr in die Branche gelockt werden und dann mit dieser Einstellung auf die Menschen losgelassen werden. Und da dies auch heute noch passiert und negative Erfahrungen zehnmal stärker im Kopf der Menschen hängen bleiben, als positive Erfahrungen, wird sich dahingegen der Ruf auch nicht verbessern, solange solche Praktiken angewandt werden. Diese verurteile ich auch aufs Schärfste. Die Stornohaftung sorgt dann dafür, dass solche Vermittler auch relativ schnell wieder ausgesiebt werden. Der Schaden beim Kunden (= negative Erfahrung) ist aber dennoch in vielen Fällen bereits entstanden. Das Provisionsmodell ist also weder gut noch schlecht. Es kommt darauf an, wie es eingesetzt wird. So wie es auch für viele andere Dinge gilt. Wir z.B. arbeiten ausschließlich auf Provisionsbasis. Unseren Kunden erklären wir dies maximal transparent. Und selten wird das Provisionsmodell vom Kunden bei uns hinterfragt. Warum? Weil uns die Kunden vertrauen. Vertrauen bleibt das A und O in unserer Branche.

VWheute: Die Assekuranzhäuser loben sich stetig für ihre Digitalisierungsfortschritte. Ist das ein verzerrtes Bild? Ist die Branche doch nicht soweit, wie man es gerne hätte?

Bastian Kunkel: Ja, das ist schon irgendwie verrückt. Irgendwie ist jeder der größte Digitalisierungstreiber, egal ob Versicherer oder Maklerpool. Schaut man dann aber genauer hin, dann sind wir doch in vielen Fällen wieder bei „Windows 95“. Ich verstehe nicht wirklich, warum nach außen hin so stark versucht wird, dieses digitale Bild zu zeichnen, wenn es “innen drinnen” einfach nicht mal ansatzweise so aussieht. Als Versicherungsmakler muss der Versicherer, den wir anbieten, nicht die tollste App haben oder Millionen von Euro in das nächste sinnlose Digitalisierungsprojekt stecken, welches schon wieder veraltet ist, wenn es fertig ist. Am Ende kommt es bei uns für die Wahl z.B. des passenden BU-Versicherers auf die folgenden Punkte an: sehr gutes Bedingungswerk, schnelle und effiziente Risikoprüfung (gaaaaaaanz große Baustelle bei vielen Versicherern), schnelle Antworten auf Nachfragen und maximale Serviceorientierung was den Kunden angeht, wenn dieser mal Nachfragen oder Vertragsänderungen hat.

VWheute: Haben Sie Beispiele?

Bastian Kunkel: Ein Versicherer ist an uns herangetreten und hat bemängelt, dass wir viel zu viele Risikovorabanfragen stellen, im Verhältnis aber nur sehr wenige Verträge einreichen. Und dass dies für den Versicherer nicht tragbar ist vom Arbeitsaufwand her. Das habe ich mir dann mal genauer angeschaut. Es handelte sich wirklich um einen TOP-BU-Versicherer. Daran lag es also nicht. Allerdings haben die Antworten des Versicherers auf die RIVOs bis zu einem Monat gedauert. Und bei nahezu gleichen Bedingungen und Preis werden wir immer den Versicherer mit den effizienteren Prozessen und dem besseren Service bevorzugen. Was wir auch getan haben. In einem anderen Fall war der Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung schon gestellt, allerdings wurde jede Nachbearbeitung einzeln geschickt und das gestreckt über mehrere Wochen. Mit dem Ergebnis, dass unser Kunde irgendwann gesagt hat, dass wir bitte einen anderen Versicherer wählen sollen. Zitat des Kunden: „Wenn das jetzt bei der Antragsstellung schon so lange dauert und kompliziert ist, wie wird es dann erst sein, wenn ich wirklich eine Leistung aus der BU-Versicherung beantrage?” Es geht also am Ende nicht um Digitalisierung per se, sondern vor allem um maximal effiziente Prozesse, die dann auch (hoffentlich) digital abgebildet werden können.

VWheute: Können etwa Robo-Adviser zukünftig bei bestimmten Themen die Arbeit der Berater abnehmen bzw. werden Robo-Adviser dabei helfen, dass Kunden weniger „verunsichert“ sind?

Bastian Kunkel: Vertrauen ist nicht digitalisierbar. Diesen Satz habe ich vor Jahren schon mal gesagt. Dahinter stehe ich auch heute noch. Mit eventuell einer kleinen Ergänzung: Vertrauen ist nicht komplett digitalisierbar. Ich bin mir sicher, dass es immer mehr digitale Lösungen geben wird, die die Beratung unterstützen (vor allem im Bereich der Regulatorik) werden und durch saubere Prozesse weniger Fehler entstehen und dadurch Vertrauen aufgebaut werden kann. Aber auch hier nochmal ein Impuls aus der Praxis: Mich hat mal jemand über Instagram zu Robo-Advisern gefragt. Nämlich welchen ich empfehlen würde. Warum hat er das gefragt? Weil er einfach nicht einfach blind einem Robo-Adviser vertrauen möchte, sondern Wert auf die Meinung eines Menschen legt, dem er in diesem Bereich vertraut.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur David Gorr.

Das Gespräch ist zuerst im Vertriebsmagazin „Der Vermittler“ (VVW Karlsruhe) erschienen.

Ein Kommentar

  • Andreas Burkhardt

    Ich verstehe Herrn Kunkel beim besten Willen nicht. Pacta sunt servanda. Ich halte rein gar nichts von Krümelsucherei und daraus abgeleiteten Deckungsablehnungen. Aber die BSV-Bedingungen wurden nun mal genau deshalb abschließend formuliert, weil man Unbekanntes aus gutem Grund nicht versichern will. Punkt. Da stehen im Übrigen auch Totalschadenszenarien im Raum, weshalb die Bedingungen mit der Pandemie verschärft und nicht gelockert wurden. Warum sollten also die schlicht vertragstreuen Versicherer mit willkürlichen Zahlungen ohne Rechtsgrund auch noch die falschen Signale setzen? Am Ende trägt Herr Kunkel nur eine von vielen unverständlichen Maklereinstellungen vor.

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