Frauen im Vorstand: Warum Versicherer davon profitieren und wie man die inklusive Kultur dafür schafft

Neben der allgemeinen Gerechtigkeitsfrage wird immer deutlicher, dass ein adäquater Anteil von Frauen in den Führungszirkeln der Unternehmen ein Treiber des Geschäftserfolges ist und – wichtiger noch – zunehmend sein wird. (Quelle: jerrykimbrell10/Pixabay)

Eine neue Analyse zeigt, dass der Anteil der Frauen in Führungspositionen der deutschen Versicherungswirtschaft weiterhin inakzeptabel gering ist. Um langfristig die Geschlechterbalance sicherzustellen, bedarf es auf Unternehmensseite eines komplexeren Ansatzes. Es gilt, ein insgesamt inklusiveres Umfeld zu schaffen. Ein Gastbeitrag von Wolfgang Schmidt-Soelch, Managing Partner Heidrick & Struggles, Leiter der Financial Services Practice in der Europa & Afrika Region.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Lediglich acht Prozent der obersten Führungspositionen bei führenden deutschen Versicherern werden von Frauen besetzt. Insbesondere in Deutschland bleibt die Branche weiterhin eine Männerdomäne. Andere Länder sind da weiter. In Großbritannien etwa beträgt der Frauenanteil 28 Prozent, in Frankreich 27 und in Dänemark 25 Prozent. Diese Zahlen basieren auf einer Auswertung von 30 führenden europäischen Versicherungskonzernen, die Heidrick & Struggles kürzlich durchgeführt hat.

Über alle untersuchten europäischen Versicherer hinweg ist rund ein Fünftel der operativen Führungspositionen von Frauen besetzt, lediglich in den Aufsichtsgremien ist der Anteil höher. Dabei sind Fortschritte in den vergangenen Jahren zu verzeichnen, jedoch ungleich verteilt. Während in einer ganzen Reihe von europäischen Assekuranz-Konzernen deutliche Verbesserungen bei der Integration von weiblichen Top-Managerinnen gelungen ist, bleiben andere Firmen weit hinter modernen Ansprüchen zurück. Bei vielen Organisationen gibt auch die Tatsache Anlass zur Sorge, dass die Pipeline bezüglich talentierter Frauen inzwischen erschöpft ist. Es ist also nicht nur für deutsche Wettbewerber an der Zeit, massive Anstrengungen zu unternehmen, um die Geschlechterbalance und damit zumindest einen Aspekt der Diversität langfristig sicherzustellen.

Neben der allgemeinen Gerechtigkeitsfrage wird immer deutlicher, dass ein adäquater Anteil von Frauen in den Führungszirkeln der Unternehmen ein Treiber des Geschäftserfolges ist und – wichtiger noch – zunehmend sein wird. Die Beförderung von Frauen in Top-Positionen ist also definitiv keine „Feel Good Initiative“, der man mehr oder weniger gerecht werden sollte. Stakeholder aller Couleur fordern neben der Erreichung verbindlicher ESG-Ziele auch immer dringlicher mehr interne Diversität von den Firmen ein. Dieser Trend hat sich während der Pandemie deutlich verstärkt. Geschlechterbalance in der Unternehmensführung gewinnt dadurch eine nicht zu unterschätzende strategische Dimension.

Wer die Anstrengungen der Unternehmen während der vergangenen Dekade betrachtet, mehr Frauen in den Führungsriegen zu integrieren, kommt zu dem Schluss: Programme und Initiativen zur Förderung von Frauenkarrieren reichen nicht aus, solange ein kritischer Aspekt nicht konsequent einbezogen wird: die Kultur! Um die besten Talente anzuziehen, zu entwickeln und zu halten, müssen Unternehmen der Versicherungswirtschaft eine grundsätzlich inklusivere Firmenkultur kreieren, die möglichst vielen Mitarbeitern das Gefühl vermittelt, dazuzugehören und wertgeschätzt zu werden. Für die Geschlechtergleichheit bedeutet dies, Barrieren aus dem Weg zu räumen, die verhindern, dass Frauen ihr ganzes berufliches Potenzial ausschöpfen können.

Die gute Nachricht ist: Wir sprechen täglich und auch im Rahmen unserer Studie mit Unternehmenslenkern der Versicherungsbranche, die diese Einschätzung teilen und zwischenzeitlich für viele gute Best Practice-Beispiele sorgen. Allerdings muss aus diesem Verständnis für die Thematik und dem Verstehen ihrer Bedeutung eine Herzensangelegenheit werden. Erst wenn der notwendige kulturelle Wandel auf emotionaler Ebene getrieben wird, übersetzt er sich in Inklusion und wirkt auf den Geschäftserfolg ein.

Vier Prinzipien zu mehr Inklusion

Unternehmen, die sich zum Ziel setzen, eine deutlich höhere Anzahl von Frauen in Führungspositionen zu bringen oder generell die Diversität in der Führung erhöhen wollen, sollten vier Prinzipien im Blick haben, die zu einer deutlich inklusiveren Kultur beitragen.

  • Führung mit „Purpose“: Was die Unternehmensleitung tut und sagt, welche Zeichen sie setzt, bestimmt im Unternehmen und oft sogar darüber hinaus die Tonalität und die Wirkung bezüglich Diversität und Inklusion. Man kann den Einfluss des CEOs bei diesem Thema gar nicht hoch genug einschätzen. Vorstandsvorsitzende haben eine gewichtige Mitsprache, wer befördert und wessen Meinung wertgeschätzt wird sowie welche Initiativen mit Verve verfolgt werden. Wenn der Mann oder die Frau an der Spitze bei dem Thema Diversität und Inklusion nicht an Bord ist, wird es nur zu inkrementellen Fortschritten und keiner tiefgreifenden Transformation kommen. Der CEO muss mit echter Überzeugung die Position vertreten, dass diverse Teams bessere Entscheidungen treffen, weil mehr Perspektiven einbezogen werden. Den größten Beitrag kann ein CEO in diesem Zusammenhang leisten, wenn sie oder er das Narrativ ändert. Diversität und Inklusion ist ein strategisches Geschäftsthema, kein Frauenthema, weswegen es eine hohe Priorität erhalten sollte. CEOs sind die wichtigsten Vorbilder, die sich für Frauen, Diversität und Inklusion starkmachen können und diesen helfen sollten, falls es schwierige Situationen zu meistern gilt. Auch das Mentoring talentierter weiblicher Führungskräfte ist ein Instrument, das eine langfristige Geschlechterbalance unterstützt.
  • Persönliche Erkenntnis und Veränderung: Bewusst oder nicht, viele Unternehmen besitzen doppelte Standards für Männer und Frauen. Ein Beispiel hierfür sind geschlechtsspezifische Betrachtungsweisen von Rollenverhalten. Viele Diskussionen drehen sich etwa um die Frage, welche Fähigkeiten Frauen besitzen, welche Funktionen sie ausüben sollten und in welchen Ländern sie am besten eingesetzt werden können. Solche Stereotype sind jedoch kontraproduktiv. Um Inklusion erfolgreich vorantreiben zu können, sollten sich Top-Manager hinterfragen, welche Vorurteile sie meist unbewusst selbst pflegen und wie sie ihre Denk-, Verhaltens- und Sprechweisen entsprechend verändern müssen. Dies beinhaltet, aktiv nach schädlichen Wahrnehmungen zu suchen, sowohl auf individueller als auch auf organisatorischer Ebene. Ein Beispiel: Viele betrachten Diversität als Widerspruch zum Prinzip von Meritokratie und Leistungsprinzip. Tatsächlich ist die Förderung von talentierten Führungskräften ein üblicher Vorgang, egal welchem Geschlecht sie angehören. Am Ende ist die bloße Ausrichtung auf Geschlechter-Diversität auch zu kurz gesprungen. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, die die Unterschiede von Menschen akzeptiert, etwa auch die Frage, welche Nationalität ein Mitarbeiter besitzt.
  • Breites Engagement: Geschlechterbalance ist absolut kein Projekt zum Nutzen von Frauen, um ihre eigenen Karrierechancen zu verbessern. Sie sollte in einen viel größeren Zusammenhang einer organisatorischen Transformation eingebettet sein, eine Reise, bei der die Unternehmen die Gesamtheit ihrer Mitarbeiter intellektuell und emotional mitnehmen müssen. Es ist dementsprechend auch wichtig, die Kommunikation mit und für den männlichen Teil der Organisation zu entwickeln, denn Frauen wollen in keinem Fall bevorzugt behandelt werden. Dies wäre ein Missverständnis des Strebens nach Diversität und Inklusion. Deshalb ist Transparenz entscheidend, um Spannungen zu vermeiden. Ein inklusives Unternehmen wird immer sicherstellen, dass die Gründe hinter jeder Anstrengung zur Geschlechterbalance sichtbar sind und eindeutig kommuniziert werden. Entsprechend gehören die Themen Diversität und Inklusion auch auf die Agenda von Frage- und Antwort-Formaten von Topmanagerinnen und -managern, sofern Mitarbeiter dies wünschen. Bei einigen Versicherern haben sich aus ursprünglich internen Frauennetzwerken inzwischen Organisationen entwickelt, an denen auch Männer teilnehmen. Männer müssen Teil der Transformation sein und von der Geschlechtergleichstellung letztlich auch profitieren. Die Erfahrung lehrt dabei, dass Führungskräfte und Mitarbeiter, die keiner Minderheit angehören, sich für Diversität eher einsetzen, sobald sie selbst erleben, was es bedeutet, einer Minderheit anzugehören. Dies ist eine sehr emotionale Erfahrung, die zu mehr Empathie und Mitgefühl beiträgt. Einzelne Unternehmen haben damit begonnen, mit virtuellen Instrumenten zu experimentieren, die es jedem ermöglichen, Erfahrungen von Frauen oder ethischen Minderheiten am Arbeitsplatz nachzuvollziehen.
  • Systemische Ausrichtung: Ein großer kontinentaleuropäischer Versicherer war überrascht, dass sich im Bewerber-Pool in Großbritannien lediglich 20 Prozent Frauen befanden. Nach dem Wechsel auf eine flexiblere und geschlechtsneutrale Sprache bei der Stellenausschreibung stieg dieser Anteil auf 40 Prozent. Die Verwendung einer inklusiven, geschlechtsneutralen Sprache sollte seitens der Unternehmenspolitik gestärkt werden. Um Mitarbeiter in ihren Denk- und Verhaltensweisen zu unterstützen, können Unternehmen datengestützte Sprachplattformen einsetzen, die in Echtzeit prüfen, inwiefern Inhalte von Stellenausschreibungen, Richtlinien, Reden und anderen Dokumenten inklusiv formuliert sind. Über die Zeit färbt dies auch auf den unternehmensinternen verbalen Sprachgebrauch ab, der natürlich ein Kernbereich einer inklusiven Kultur ist. Der effektive Einsatz inklusiver Sprache ist aber nur ein Werkzeug, das Firmen zur Verfügung steht. „Systemische Ausrichtung“ bedeutet, Inklusion in Prozesse, Richtlinien, Systeme und tägliche Geschäftsabläufe einzubetten – innerhalb des HR-Bereichs, aber natürlich auch darüber hinaus. Dies schließt eine gründliche Bewertung von HR-Schlüsselbereichen wie Rekrutierung, Assessments, Beförderung und Vergütung mit ein.

Erfolgsfaktor Messung

Unternehmen, die den skizzierten Weg zu einer inklusiveren Kultur einschlagen, um damit langfristig unter anderem eine Geschlechterbalance im Führungsteam zu erreichen, sollten einen wichtigen Aspekt berücksichtigen: Die Erfolgsmessung. In einer zahlendominierten Welt wie der Versicherungswirtschaft muss es gelingen, abstrakte Themen wie „mehr Diversität“ oder „mehr Inklusion“ zu operationalisieren. In einem Fallbeispiel bezog ein britischer Versicherer die CEOs von Geschäftseinheiten und das funktionale Top-Management in das Monitoring mit ein. Es wurden Ziele im Rahmen verschiedener Aspekte des Karriere-Zyklus definiert, die auf geschlechterbalancierte Beförderungen, Nachfolgeplanungen und Neueinstellungen fokussiert waren. Indem anhand von Zahlen die Fortschritte in einzelnen Bereichen des Unternehmens sichtbar gemacht werden konnten, gewann der Prozess zu mehr Geschlechterdiversität deutlich an Dynamik. Diversität und Inklusion sollten in diesem Sinne auch in das KPI-System von Unternehmen eingebaut werden. Beförderungen, Vergütung oder auch die Teilnahme an Trainingsprogrammen sind gut messbar, dienen zur Erfolgskontrolle und halten den Prozess lebendig.

Mit vielen dieser Maßstäbe dokumentiert man aber den Fortschritt nur im Nachhinein und macht sich das Leben auch etwas leicht, obgleich sich der eigentliche Wandel und auch der Status der Inklusion in der Kultur und damit zu einem großen Teil in der Gefühlswelt der Mitarbeiter abspielt.

Ein deutscher Versicherer beispielsweise integriert eine entsprechende Mitarbeiterbefragung in den jährlichen Gesundheitscheck und vergleicht die Ergebnisse mit Daten von Wettbewerbern. Ein britisches Assekuranzunternehmen befragt vierteljährlich seine Mitarbeiter zu Diversität und Inklusion und ergänzt diese Meinungsbilder mit harten Fakten. „Facts & Figures“ helfen dabei insbesondere den verantwortlichen Führungskräften, ihre Anliegen bei den Stakeholdern argumentativ überzeugend zu adressieren. In der Versicherungswirtschaft wird derzeit kontrovers diskutiert, ob Ziele zu Diversität und Inklusion auch Teil der Vergütung des Top-Managements sein sollte. Diese Verknüpfung könnte der Geschlechterbalance nochmals zusätzlichen Rückenwind verleihen.

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der aktuellen Januar-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

Autor: Wolfgang Schmidt-Soelch, Managing Partner Heidrick & Struggles, Leiter der Financial Services Practice in der Europa & Afrika Region.

2 Kommentare

  • Wer was kann, braucht keine Frauenquote. Erschreckend dass dieser Quotenblödsinn jetzt auch die Versicherungswirtschaft erreicht hat. Was kommt als nächstes? Dieses unsägliche, dämliche Gendersprech-und Genderternchenunterstrichgeschreibsel als Zwang?

  • Um also uns Frauen bei der Besetzung von Führungspositionen zu berücksichtigen, braucht es eines eigens darauf zugeschnittenen „Inklusions“-Konzepts? Was sind wir: Eine beeinträchtigte Minderheit mit besonderem Förderbedarf? Hört sich der (!) Autor eigentlich selbst zu?

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