Prekäre Lage im Industriegeschäft: Spielen die Versicherer mit der falschen Taktik?

"Prämienniveau der Vergangenheit, gepaart mit einem breiten Versicherungsschutz, ist in dieser Form nicht mehr realisierbar.“ Bildquelle: BASF SE

Industrie 4.0, Klimawandel, Pandemie: Die Welt, in der wir leben, ist gefährlich. „Immer neue, immer komplexere Gefahren treten auf, die Häufigkeit und Schwere von Schadenereignissen nimmt stetig zu“, berichtet Chubb-Deutschlandchef Andreas Wania. Für die Industrieversicherer bedeutet das, sich neuen Schutzbedürfnissen anzupassen, neue Lösungen zu schaffen. Das Sicherheitsnetz muss ganze Risikowelten umspannen. Einfacher gesagt als getan. Die Interessen von Versicherern und Kunden bewegen sich in unterschiedliche Richtungen. Für die Branche ist das eine schwere Belastung. Kommentar von Michael Stanczyk.

Während die Anbieter ganz genau hinschauen, welche Leistungen sie aus wirtschaftlicher Sicht langfristig anbieten, wollen die Kunden im Optimalfall eine Police abschließen, die möglichst viele Bedrohungspotenziale maximal abdeckt. „Versicherer werden sich stärker darauf konzentrieren müssen, zu einer belastbaren Rentabilität zurückzukehren und diese langfristig beizubehalten. Dies wird allerdings Zeit brauchen und nicht ohne höhere Prämiensätze möglich sein. Das Prämienniveau der Vergangenheit, gepaart mit einem breiten Versicherungsschutz, ist in dieser Form nicht mehr realisierbar, zumal die Exponierungen für Versicherungsnehmer immer weiter steigen“, beleuchtet FM-Global-Manager Achim Hillgraf die ernüchternde Branchenrealität.

Sach, Cyber und D&O schwer angeschlagen

Der Trend zu geringen Deckungskapazitäten und hohen Prämien setzt sich fort, heißt es unisono aus der Branche. Vor allem betroffen sind laut Angaben des Versicherungsmaklers Funk die Sachversicherung sowie Cyber und die Manager-Haftpflicht. Bei D&O-Policen ziehen die Prämien um 15 bis 25 Prozent an, zum Teil sogar stärker. Einen rasanten Anstieg der Prämien bei gleichzeitigem Abfall der Kapazitäten stellt das Unternehmen auch im Bereich Cyber fest.

„Aufgrund der Corona-Pandemie haben sich die finanzielle Situation und die mittelfristigen Geschäftsaussichten vieler Unternehmen verschlechtert – gleichzeitig steigen die Versicherungskosten“, erklärt Ralf Becker, geschäftsführender Gesellschafter der Funk Gruppe. Viele Versicherer hätten in der Industrieversicherung Geld verloren. Nach fast 15 Jahren Preisdruck hat die Branche ihre Schmerzgrenze überschritten. Bei der Allianz-Industrietochter AGCS etwa kam es 2020 zu einem Kurswechsel, der das Unternehmen zur Überprüfung und Neuausrichtung des Gesamtportfolios veranlasste.

Der Preis muss stimmen

Dass Versicherer wie jedes Wirtschaftsunternehmen einen nachhaltigen Gewinn erwirtschaften müssen, um finanzielle Stabilität und langfristige Sicherheit zu gewährleisten, klingt da wie eine Binsenweisheit. Aber es ist eine elementare Spielregel des Marktes, Preise so zu gestalten, um Anbietern über den Zyklus hinweg Gewinnchancen zu ermöglichen.

Andere Probleme hingegen sind weniger markt- und mehr hausgemacht. Das Beratungsunternehmen msg Systems zum Beispiel übt Kritik an der digitalen Stagnation in der Industrieversicherung – und lässt gern genutzte Gegenargumente wie das in seiner Grundeigenschaft individuelle Geschäft oder fragmentierte IT-Systeme nicht gelten. Vor allem eine Standardisierung von Verträgen und eine effizientere Digitalisierung  würden zu niedrigeren Kosten, genaueren Risikoanalysen und besseren Kundenerlebnissen führen

Maximale Transparenz

Darf es da wundern, dass die Kundenseite um ihre Risikomanager und Einkäufer, zunehmend unter Druck das gewünschte Maß an Versicherungsschutz für das zugewiesene Budget zu finden, mit den Versicherern hadert? „Versicherer müssen sich vor dem Hintergrund dieser Gemengelage als wertschöpfender Partner der Industrie positionieren und bestmöglich versuchen, einerseits die Kapazitätsbedürfnisse ihrer Kunden nachhaltig abzubilden und andererseits neue Bedrohungspotenziale in ihr Produkt- und Serviceangebot mit aufzunehmen“, empfiehlt Hillgraf.

Die Märkte stellen immer mehr Lösungen zur Verfügung, gleichzeitig wird der Risikoappetit von Versicherern im globalen Kontext angesichts hoher Kumulrisiken immer geringer. Der vielleicht klügste Weg, Unternehmen weltweit ausreichenden Zugriff auf Kapazitäten zu sichern, könnte in einer maximalen Transparenz zwischen allen Beteiligten liegen. Für die Versicherer ist das nicht nur eine Frage der Einstellung, sondern auch eine des Mutes.

Autor: Michael Stanczyk

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