Rechtsschutz: Legaltechs hadern mit kontroversem Gesetzesentwurf des Justizministeriums

Quelle: Gerd Altmann auf Pixabay

Nachdem die Bafin verkündet hat, dass sie den Insurtechs mehr auf die Geschäftsmodelle und langfristigen Kapitalausstattungen schauen wird, ist nun auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) auf bestem Wege, die aufstrebende Legaltech-Branche in ihrer Innovationskraft per Gesetz zu beschneiden. Von Andreas Heinsen.

Trotz wegweisender Urteile des BVerfG und BGHs zur Berufs- und Gewerbefreiheit, einem stark reformbedürftigen Berufsrechts der Anwälte (BRAO) sowie einer mehrfach titulierten Offenheit auch des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) für neue Rechtsproduktangebote und verbrauchernahe Rechtsdienstleistungen, ist das Ministerium nunmehr auf den Zug einer größtenteils vehement ablehnenden Anwaltschaft mit aufgesprungen.

Im Rechtsdienstleistungsgesetz besteht aufgrund der Entwicklungen im digitalen Rechtsberatungsmarkt und der neueren BGH-Rechtsprechung zu innovativen Geschäftsmodellen für Rechtsdienstleistungen deutlicher Anpassungsbedarf des Rechtsrahmens. Bisher ist Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten die Vereinbarung von Erfolgshonoraren nur in sehr engen Grenzen erlaubt und die Übernahme von Verfahrenskosten (Prozessfinanzierung) vollständig untersagt.

Dies gilt für nach § 10 Absatz 1 Satz 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) registrierte Inkassodienstleister nicht, weshalb deren Leistungen vornehmlich zur Durchsetzung geringwertiger Forderungen vermehrt von Verbraucherinnen und Verbrauchern nachgefragt werden. Dies wurde, wie im Falle von Flightright & Co., massenhaft genutzt, bis auch diese Geschäftsmodelle von der Covid-19-Pandemie ihrer Geschäftsgrundlage durch Einstellung des Reise- und Flugverkehrs nahezu komplett entzogen wurden.

Die für die Legaltech-Player deutlichen Verschärfungen der Rahmenbedingungen für ihre Geschäftsmodelle und die parallele Liberalisierung von Erfolgshonorar und Prozessfinanzierung bei der Anwaltschaft könnten zum 1. Oktober 2021 in Kraft treten. Sofern Anwältinnen und Anwälte ein Erfolgshonorar bei Forderungen bis 2.000 Euro beim außergerichtlichen Inkasso, im gerichtlichen Mahnverfahren sowie im Zwangsvollstreckungsverfahren vereinbaren dürfen, ist ihnen auch die Prozessfinanzierung zukünftig erlaubt.

Das ist ein Gleichlauf mit den Inkassodienstleistern nach dem RDG. Es bleibt aber dabei, dass darüber hinaus ein Erfolgshonorar nur im Einzelfall zulässig ist, wenn ansonsten der Mandant von der Rechtsverfolgung abgehalten würde (§ 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RVG-E). Ist dies nicht der Fall, dann bleibt die Prozessfinanzierung verboten. Diese Unbestimmtheit birgt weiterhin Streitpotenzial, da der neue § 4a Abs. 1 Satz 1 RVG-E auch nicht mehr auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten abstellt, weshalb er von der Rechtsverfolgung im Einzelfall abgehalten wird, darauf kommt es nicht mehr an, was zu begrüßen ist.

Es soll mit dem Gesetz die Chancengleichheit zwischen Legaltech-Unternehmen, die sich insbesondere frei mit Risikokapital ausstatten können, was Anwälten verwehrt ist und von diesen als hohes Gut der Unabhängigkeit und Abgrenzung heftig verteidigt wird, hergestellt werden. Der Entwurf will Anwälten die Tür für das Erfolgshonorar und die Prozessfinanzierung dort öffnen, wo auch sie Inkassodienstleistungen
nach dem RDG anbieten dürfen, was jedoch von der BRAK komplett abgelehnt wird.

Ein Schlag ins Kontor für Innovationen und insbesondere nichtanwaltliche Legaltech-Start-ups sind die Anforderungen an die zukünftige Registrierungspflicht und zwölf Informationspflichten für Legaltech-Portale. Diese Regeln sollen Verbraucherinnen und Verbraucher zukünftig besser schützen. Kritiker befürchten, dass die Regeln diese in ihrer Wahlfreiheit beschränken und auf Anwälte leiten sollen.

Es geht aber nicht nur um das durchaus vielerorts verkannte millionenschwere Geschäft mit kleineren Streitwerten, sondern in den neuen Regelungen finden sich auch deutliche Liberalisierungen des anwaltlichen Berufs- und Vergütungsrechts, was der Anwaltschaft anscheinend ein besonderer Dorn im Auge zu sein scheint und rigoros zurückgewiesen wird. Man möchte keine Chancengleichheit, sondern die Abschottung des heutigen tradierten deutschen Modells, so die Bewertungen vieler Legaltech-CEOs, in der Regel auch Rechtsanwälte.

Während Legaltech-Unternehmen heute Erfolgshonorare vereinbaren und Verfahren für ihre Kunden so finanzieren und offensiv vermarkten, dass diese keine Kostenrisiken eingehen müssen, ist dies Anwälten strikt verboten. Auch die kostenlose Erstberatung ist nach langem Streit heute als das Einstiegsinstrument für die Online-Mandatsakquise flächendeckend bei den Legaltechs etabliert. Übrigens auch bei Rechtsschutz als ersten echten (Flatrate-)Rechtsservice für ihre Kunden, was auch dort erst der BGH final zugunsten der Versicherer entscheiden musste.

Convenience und Service-Exzellenz ist den Versicherungsnehmern und Versicherungsnehmerinnen durchaus Geld wert und gerade die demografische Entwicklung, mit finanziell noch besser ausgestatteten (Erben-)Haushalten, erfordert hier eine andere Fokussierung zur Realisierung dieser erweiterten Kaufbereitschaften, auch für mehr niedrigschwellige Rechtsdienstleistungen und Rechtsprodukte zum Festpreis. Den Anwälten bleibt nur zu sagen, dass diese digitalen Trendanforderungen an die Versicherer auch für sie gelten. Sie müssen ihr Kanzlei- und Service-Management konsequent weiterentwickeln und dies beginnt bereits an der Schwelle zur Kanzlei, die viele Rechtssuchende für Kleinstmandate gar nicht mehr übertreten wollen, z.B. mit einem auch digitalen, regional vermarkteten Termin- und Informations- sowie kostenlosen Erstberatungsservice.

Bleibt zu hoffen, dass die Covid-19-Pandemie die gleichen „Erkenntniseffekte“ bei der Anwaltschaft dann doch haben werden, die wir für die Versicherer und deren Arbeits- und Kunden-/Schaden- sowie Beratungsmodelle heute schon sehen und mutig angehen müssen.

Autor: Andreas Heinsen, Vorstand CPO / CIO ÖRAG Rechtsschutz AG

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der aktuellen März-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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