Unfallversicherern gehen die Ideen aus

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Die Unfallsparte hat zwei Seiten. Für viele Versicherer gilt sie als lukrativ, für manche jedoch auch als Verlustbringer. Laut Assekurata musste die Hälfte der Marktteilnehmer bei zumeist hoher Profitabilität Bestandsabgänge hinnehmen. Beim Versuch, sich voneinander abzugrenzen, gehen Unternehmen kreative Wege, die allerdings nicht immer ans Ziel führen. Die Tarife etwa werden immer komplexer.

Die Unfallversicherung gehört eigentlich zu den Lieblingsversicherungen der Deutschen, und das seit Jahren, allerdings mit leicht fallender Tendenz. Laut GDV gab es 2018 25,3 Millionen Verträge, 2000 waren es noch 29,1 Millionen. Damit rangiert sie bei den Sach-, Haft- und Unfallversicherungen nach Privathaftpflicht und Hausrat auf Platz drei. Die Versicherer verdienen also gut an Unfallversicherungen.

Allerdings, wie Dennis Wittkamp, Senior Analyst bei Assekurata, feststellt, geht es nicht allen Unfallversicherern gleich gut. Ein Blick auf Erwin, dem „Ertrags- und Wachstumsindikator“ der Ratingagentur, zeigt, dass etwa die Hälfte der Marktteilnehmer bei zumeist hoher Profitabilität Bestandsabgänge hinnehmen musste. Bei einem geringen Teil stelle sich der Versicherungszweig mit einer Combined Ratio von über 100 Prozent sogar als Verlustbringer dar.

Versicherer bauen Tarife aus

Dafür sieht Wittkamp zwei Ursachen: „Zum einen schlägt sich schadenseitig die fortschreitende Alterung der Bestände nieder“, betont er. „Ältere Versicherte sind heute deutlich aktiver als vor 20 Jahren und haben statistisch gesehen häufiger und dann meist auch schwerere Unfälle.“ Parallel zur Schadenentwicklung steige der Druck auf die Neugeschäftsprämien, vor allen durch Internetportale.

„Um die Attraktivität der Produkte gerade bei einer jüngeren Zielgruppe zu erhöhen, weiten viele Versicherer ihre Tarife derzeit leistungsseitig massiv aus“, hat er beobachtet. „So decken viele Schadenpolicen heute wesentlich mehr als den klassischen, bedingungsgemäßen Unfallbegriff ab und schließen beispielsweise Eigenbewegungen ein oder bieten Sonderleistungen in Form von Einmalzahlungen oder Kostenübernahme von Operationen“, macht er deutlich. Ob die damit einhergehende Verkomplizierung dem Vertrieb – vor allem ungebundenen Vermittlern und Vertrieben – zuträglich ist, darf bezweifelt werden.

Anbieter kämpfen um Unique Selling Points

Weil Unternehmen bei dem Wunsch, sich voneinander abzugrenzen, in der Ausgestaltung der Produkte sehr kreativ geworden sind, muss genau geprüft werden, wie zweckmäßig Leistungserweiterungen bzw. neue Tarifelemente für den Kunden sind. Beispiel verbesserte Gliedertaxe: Hier müsse Experten zufolge besonders darauf geachtet werden, welche Invaliditätsgrade für welche Körperteile vorgesehen sind. Gut für den Kunden sei etwa, wenn der Verlust eines Armes mit 100 Prozent gewertet wird statt mit 70 Prozent, wie es der GDV vorsieht.

Beim erweiterten Unfallbegriff müsse hingegen genau hingesehen werden, ob Leistungen bei Sonnenbrand und Strahlen oder Erfrierungen sinnvoll sind. Auch der Einschluss von Verletzungen infolge von Infektionskrankheiten wie Pest, Cholera und Lepra wirft die Frage auf, inwieweit solche Krankheiten tatsächlich auftreten. Vermittler würden vor der Aufgabe stehen, die einzelnen Leistungen hinsichtlich des Kundennutzens zu hinterfragen und die Produkte hierauf zu prüfen.

Neue Einschlüsse zugunsten der Versicherten

Die GVO Versicherung etwa orientiert sich bei der Gestaltung der Tarife an den Marktstandards. „Es wird eine Marktsondierung durchgeführt, in der die aktuell besten Tarife verglichen, Kunden- und Vertriebspartnerwünsche analysiert und bewertet und die Rankings von Franke und Bornberg, Morgen und Morgen sowie von Das Scoring zur Hilfe gezogen werden“, berichtet Orgaassistentin Isabell Ralle.

Einen spürbar harten Wettbewerb aufgrund der Attraktivität der Unfallsparte verzeichnet Rainer Brand, Vorstand Produkte und Betrieb der Domcura AG. „Das führt dazu, dass sich in den Bedingungswerken der Gesellschaften immer neue Einschlüsse zugunsten der Versicherten finden“, macht er deutlich. „So schnell können die Musterbedingungen des GDV natürlich nicht angepasst werden.“ Daher sei eine umfangreiche Marktrecherche unumgänglich für die Neuentwicklung eines Konzepts. Zusätzlich greife man auf Bestandsdaten zurück und höre genau darauf, was Kooperationspartner sagen

Haftpflichtkasse geht in die Offensive

Weit über dem Marktdurchschnitt liegt die Gliedertaxe der Haftpflichtkasse, wie Helmut Wagner, Abteilungsleiter Unfall Vertrag, betont. Wer z.B. einen Arm oder ein Bein verliert, gilt als 100 Prozent invalid. Einen weiteren großen Einfluss auf die Höhe der Leistungen hat die Progression, die in der Regel zwischen 350 und 500 Prozent gewählt wird. Positiv: Für die Meldung eines Todesfalls infolge des versicherten Unfalls legt die Haftpflichtkasse keine Frist fest.

Auch der Unfallbegriff wird weit über das übliche Maß hinaus gefasst. „Wir versichern auch Eigenbewegungen, Ertrinken, Ersticken, Erfrieren, Flüssigkeits-, Nahrungs- und Sauerstoffentzug, Höhenkrankheit, tauchtypische Schädigungen, Oberschenkelhals- oder Armbruch, Sonnenbrand, Sonnenstich. Druckwellen und vieles mehr“, zählt Wanger auf. Inwieweit sich Leistungserweiterungen auf den Preis auswirken, hänge entscheidend davon ab, wie häufig und wie stark sie sich auf die Leistungsseite auswirken.

Allianz rüstet auf

Vor wenigen Tagen präsentierte die Allianz ihren verbesserten Privatschutz. Das Produkt bieten die Münchener schon seit 2013 an. Damals wurde das modulare Produktkonzept mit Privat-Haftpflicht-, Hausrat-, Wohngebäude- und Rechtsschutzversicherung gestartet.

Mittlerweile wurde das Versicherungsbündel um die Unfallversicherung, Tierhalterhaftpflicht- und Tierkrankenversicherung erweitert. Das Konzept des Privatschutz sei bei den Kunden „sehr gut“ angekommen, erklärte Frank Sommerfeld, Vorstand Schaden- und Unfallversicherung. Zwischen 2013 und 2019 sei das Angebot im Durchschnitt um jährlich fast zwölf Prozent gewachsen.

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Autorin: Elke Pohl