Versicherungsombudsfrau meldet Beschwerderekord

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Nach dem Abgang von Wilhelm Schluckebier präsentierte die Versicherungsombudsfrau Sibylle Kessal-Wulf das erste Mal den Jahresbericht der Schlichtungsstelle. Dieser dürfte für sie in Erinnerung bleiben, da für 2024 so viele Beschwerdevorgänge wie noch nie seit Gründung des Vereins im Jahr 2001 eingegangen sind: 21.548 – eine Zunahme um fast 20 Prozent. Wie zu erwarten, sind vor allem die Kfz- und Rechtsschutzsparten betroffen. Finanztip nutzt die Zahlen dafür, um Versicherungskunden beim Beschwerdegang aufzuklären und Tarifoptionen aufzuzeigen.
An die staatlich anerkannte Verbraucherschlichtungsstelle der Versicherungswirtschaft sind nach eigenen Angaben über 295 Versicherungsunternehmen angeschlossen, die mehr als 95 Prozent des Marktes im Privatkundengeschäft repräsentieren. Bis vor kurzem wurde sie vom Ombudsmann Wilhelm Schluckebier geführt. Er ist in seiner Verfahrens- und Amtsführung unabhängig und keinen Weisungen unterworfen. Er kann die Mitgliedsunternehmen bis zu einem Betrag von 10.000 Euro zur Leistung verpflichten.
Am 31. März 2024 machte Schluckebier Schluss: Er war der dritte Ombudsmann der 2001 gegründeten Schlichtungsstelle. Sein Amt übergab er an die erste Frau in dieser Position: Dr. Sibylle Kessal-Wulf heißt die neue Ombudsfrau, die Ende September 2023 von der Mitgliederversammlung des Versicherungsombudsmann e. V. gewählt wurde.
Bei ihrem ersten Jahresbericht musste sie für die aus Versicherungssicht eher schlechte Zahlen vermelden. Im Jahr 2024 waren insgesamt 21.548 Beschwerdeeingänge zu verzeichnen; davon waren 15.659 zulässig. Im Jahr 2023 lag die Zahl noch bei 18.037 (Beschwerden insgesamt) bzw. 13.205 (zulässige Beschwerden). Das entspricht einer Zunahme gegenüber dem Vorjahr um 19,5 Prozent, bei den zulässigen Beschwerden betrug die Steigerung 18,6 Prozent.
Vor dem Hintergrund gestiegener Eingangszahlen hat die durchschnittliche Bearbeitungsdauer der einzelnen Fälle zugenommen. Sie betrug unter Einbeziehung aller Unternehmensbeschwerden 68,3 Tage (2023: 57,6 Tage); werden nur die zulässigen Unternehmensbeschwerden betrachtet, lag der Wert bei 85,9 Tagen (2023: 72,2 Tage). Die Erfolgsquote der Schlichtungsanträge bei Unternehmensbeschwerden lag in der Lebensversicherung bei 34,4 Prozent leicht unterhalb und bei den anderen Sparten insgesamt bei 52,4 Prozent und damit oberhalb des Vorjahres.
Die Ombudsfrau hob hervor, dass die Zahl solcher Beschwerden zunahm, bei denen die „Be-schwerdeführer ihren Schlichtungsantrag ausschließlich mit einer gänzlich ausbleibenden oder zumindest stark gestörten Kommunikation mit ihrem Versicherer begründen“ –, sei es, weil dieser überhaupt nicht antwortet oder weil dieser nur mit großer zeitlicher Verzögerung auf die Meldung von Versicherungsfällen oder auf Rückfragen des Versicherungsnehmers reagiert. Nicht selten werde auch beklagt, dass die Versicherer leistungsablehnende Entscheidungen nicht, nur knapp oder für einen juristischen Laien nicht verständlich genug begründen.
Die zulässigen Eingaben beliefen sich in der Kfz-Haftpflicht- und -Kaskoversicherung sowie der Schutzbrief- und Insassenunfallversicherung auf 3.554 (Vorjahr: 2.407). Dies entspricht für die Kfz-Haftpflichtversicherung einem Anteil von 7,7 Prozent und für die Kfz-Kaskoversicherung von 15,0 Prozent am Gesamtaufkommen der zulässigen Beschwerden. Zusammengenommen machen diese Eingänge 22,7 Prozent des Gesamtaufkommens der zulässigen Beschwerden aus. Die Kfz-Versicherung war damit in ihrer Gesamtheit betrachtet die eingangsstärkste Sparte im Jahr 2024. An zweiter Stelle lag die Rechtsschutzversicherung mit 2.936 zulässigen Beschwerden (18,7 Prozent am Gesamtaufkommen). Es handelt sich um den zweiten Anstieg in Folge (2022: 2.565; 2023: 2.637). Zwei Ursachen werden in der Sparte für genannt: Zum einen ist das Versicherungsprodukt Rechtsschutzversicherung rechtlich ausgesprochen komplex und wirft deshalb immer wieder schwierige und dem Laien nur schwer vermittelbare Rechtsprobleme auf. Zum anderen hatten viele Eingaben (ca. 300 Beschwerden) den sogenannten „Scraping-Komplex“ zum Gegenstand. In den dabei zugrunde liegenden Ausgangsverfahren ging es besonders häufig darum, dass Nutzer von Social-Media-Plattformen Schadensersatz-, Unterlassungs- und Auskunftsansprüche geltend machten, weil bei den Social-Media-Plattformen ein Datenleck aufgetreten war.
Bei der Lebensversicherung gab es 2.653 (Vorjahr: 2.915) zulässige Beschwerden und damit 9,0 Prozent weniger als im Vorjahr. Mit einem Anteil von 16,9 Prozent am Gesamteingang zulässiger Beschwerden ist die Sparte damit die drittstärkste im Berichtsjahr. Viele Beschwerden betrafen wieder die Zurückweisung von Widersprüchen nach § 5a VVG in der Fassung vor 2008 (VVG a. F.), von Rücktritten nach § 8 Absatz 5 VVG a. F. sowie von Widerrufen nach § 8 in der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des VVG (VVG 2008).
Bei Wohngebäude gab es 2.047 (Vorjahr: 1.523) zulässige Beschwerden, ein Anstieg um 34,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr dar (in diesem wurde noch ein Rückgang um 13,9 Prozent verzeichnet). Der Anteil am Gesamtaufkommen der zulässigen Beschwerden erhöhte sich von 11,5 auf 13,1 Prozent. Die Zunahme betraf alle versicherten Gefahren gleichmäßig. Der Grund für die Zunahme von Beschwerden wird damit begründet, dass der Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024 die niederschlagreichste Periode in Deutschland seit Auswertungsbeginn 1881 war.
Tipps von Finanztip, um Streitfälle zu vermeiden
Für den Geldratgeber Finanztip bedeuten die Zahlen, dass sich der Beschwerdegang für Kunden lohnt. Schließlich führten 52,4 Prozent der Schlichtungsanträge bei Unternehmensbeschwerden im Jahr 2024 zu einem Erfolg für die Verbraucher (ohne Lebensversicherungssparte). In über 80 Prozent der Streitfälle ging es um bis zu 5.000 Euro. Finanztip empfiehlt bei Kfz-Versicherungen etwa: Finger weg von Werbeversprechen wie Rabattschutz oder Rabattretter. „Viele Wechsler wundern sich, weil Sonderregelungen wie Rabattschutz oder SF-Klassen-Retter beim alten Anbieter galten, beim neuen aber nicht übernommen werden“, sagt Saidi Sulilatu, Chefredakteur von Finanztip. Die Empfehlung: „Zunächst bei Verivox oder Check24 den Beitrag berechnen lassen. Und dann zusätzlich noch bei der HUK24 ein Angebot einholen.“ In der Rechtsschutzsparte gibt es sogar konkrete Tarifempfehlungen: „WGV PBV Optimal, Arag Aktiv Komfort und wenn Verbraucher bereit sind, unter Umständen eine höhere Selbstbeteiligung zu zahlen, Huk-Coburg PBV Plus.“
Autor: VW-Redaktion