Die Sorge der Deutschen gilt ihrem Wohlstand

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Die Angst der Deutschen davor, dass die Politik mit der steigenden Zahl von Geflüchteten überfordert ist, stieg seit dem letzten Jahr um elf Prozent und damit am höchsten aller relevanten Ängste. So ein Ergebnis der 32. Studie „Die Ängste der Deutschen“ der R+V-Versicherung.

Diesen klaren Anstieg – die Angst landet mit 56 Prozent auf Platz vier – erklärt die wissenschaftliche Begleiterin der Studie, Prof. Dr. Isabelle Borucki, Politikwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg, mit der seit Monaten in der Öffentlichkeit diskutierten Überforderung der Kommunen vor allem durch ukrainische Geflüchtete.

Dazu komme die Angst vor illegaler Einwanderung. Grund sei die Furcht, dass ohnehin knappe Güter wie Wohnraum und soziale Dienste gefährdet sein könnten. Auffällig ist, dass sich die Bürger im Westen (56 Prozent) erstmals mehr fürchten als der Osten (54 Prozent). Das sei damit zu erklären, so Borucki, dass auch im Westen Wohnraum knapp und teuer geworden ist. Der Ton gegenüber Geflüchteten habe sich insgesamt verschärft, immer mehr sei sagbar. Dazu würden Meinungen mit Fakten verwechselt und Parteien am äußersten rechten Rand seien wählbar geworden, so ihre kritische Einschätzung.

Geld, Geld, Geld

Auf den ersten drei Plätzen der größten Ängste der Deutschen geht es in diesem Jahr ausschließlich ums Geld. Wie schon 13. Mal im Laufe der 32-jährigen Geschichte der R+V-Langzeitstudie landet die Sorge vor steigenden Lebenshaltungskosten mit 65 Prozent auf Platz eins. Zwar ist sie trotz anhaltender Inflation und hoher Preise gegenüber 2022 um zwei Prozent gesunken. Dennoch dominiert sie den Sorgenhaushalt der Deutschen unangefochten. Prof. Borucki erklärt den leichten Rückgang mit einem gewissen Gewöhnungseffekt, wie man ihn auch aus der Stressforschung kenne. Eine Steigerung sei nur bis zu einem bestimmten Level möglich, dann stagniere das Gefühl bzw. klinge wieder ab.

Um zwei Prozent gestiegen und auf Platz zwei findet sich die Befürchtung, dass das Wohnen unbezahlbar wird. „Das Thema Wohnen als ein Grundbedürfnis enthält jede Menge sozialen Sprengstoff, was Arm und Reich betrifft“, ist die Professorin überzeugt. Das betreffe nicht nur die Mieten, sondern auch private Bauvorhaben, die angesichts gestiegener Preise und fehlender Handwerker nicht realisiert werden können.

Auf den dritten Platz – 2022 noch auf Platz fünf – hat es in diesem Jahr die Sorge geschafft, dass es zu Steuererhöhungen und Leistungskürzungen kommt. „Auch hier spielt ein grundlegender Lebensbereich – das eigene Einkommen – eine Rolle und die Angst, dass es nicht mehr zum Leben wie bisher reicht“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Hier muss die Politik unbedingt einschreiten.“

Allgemeine Wirtschaftslage weniger beängstigend

Angesichts dieser Ergebnisse bezeichnete sie das Umfrageresultat die Wirtschaftslage betreffend als bemerkenswert. Denn anders als zu erwarten wäre, ging die Furcht vor einer Verschlechterung der allgemeinen Wirtschaftslage und vor Rezession um sechs Prozent auf 51 Prozent zurück und landet auf Platz fünf. 2022 nahm sie noch Rang drei ein. Das könne laut Borucki damit zusammenhängen, dass die eigenen Befindlichkeiten dominieren und die allgemeine Lage als nicht so relevant eingeschätzt wird. Dazu würden auch hier Ermüdungs- und Abstumpfungseffekte kommen.

Die Angst könne ansteigen, wenn die Menschen ganz persönlich von wirtschaftlichen Problemen betroffen sind. In dem Zusammenhang ist auch der vorletzte Platz 22 erwähnenswert, der sich um die eigene Arbeitslosigkeit dreht. Diese relative Sorglosigkeit hänge wahrscheinlich damit zusammen, dass immer wieder auf den akuten Fachkräftemangel hingewiesen wird, was beruhigend auf die Berufstätigen wirke.

Man diskutiert nicht mehr

Ganz neu in die Umfrage aufgenommen wurde die Frage, inwieweit sich die Deutschen vor der Spaltung der Gesellschaft fürchten – und landete sofort in den Top 10 auf Platz 8. Diese Furcht hält Borucki für absolut nachvollziehbar. „Wir sehen eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft“, hat sie beobachtet. „Man diskutiert nicht mehr miteinander, sondern hetzt sich gegenseitig auf. Der Diskurs wird zunehmend emotionaler und führt zu bewusster Ausgrenzung bestimmter Gruppen von Menschen.“

Insgesamt sind 16 von 23 Ängsten angestiegen und nur sechs gefallen. Damit hat auch der Angstindex als Durchschnittswert um drei Prozent auf 45 zugenommen. „Das passiert immer dann, wenn sich Menschen hilflos ihren Ängsten ausgeliefert fühlen“, kommentiert sie das Ergebnis. Es passiere einfach zu viel auf einmal. Angesichts der komplexen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtsituation fürchten viele Menschen um ihre Existenzgrundlage.

Autor: Elke Pohl