VersR BLOG von Theo Langheid: Was Nigel Farrage mit der Versicherungswirtschaft zu tun hat

Quelle: VersR

Environment – Social – Governance! Umwelt – Soziales – (richtige) Unternehmensführung! Das sind die Zauberworte, an und mit denen die Welt genesen soll. Obwohl an sich nur Worthülsen, die jeder nach Gutdünken mit eigenen Vorstellungen füllen kann, überschlagen sich alle à la recherche des genius saeculi: manche, wie die Versicherer, weil sie müssen, andere, weil sie mit eben diesem Zeitgeist gehen (und daran verdienen) wollen. 

Die EU nutzt die in ihr tätigen Versicherer als Versuchskaninchen, denn sie waren die ersten, die auf der Basis der Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) die Pflichten zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung zu erfüllen haben (vgl. dazu zuletzt Bürkle, VersR 2023, 1019, der am Beispiel des Art. 2 Nr. 17 Offenlegung-VO vorführt, dass die Flut der Nachhaltigkeitsregulierung „nicht mehr sinnvoll zu bewältigen“ sei).

Es ist sicher, dass das ab 2024 mit den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) nicht besser wird. Und – entgegen aller Versprechungen –, die mit einer solchen Berichterstattung verbundenen Lasten und Kosten zu senken, rügt der NKR (= Normenkontrollrat, ja selbst ein bürokratisches Paradoxon, weil es zu den originären Pflichten des Normgebers gehören sollte, seine Normen auf Effizienz, Sinnhaftigkeit und unerwünschte Nebenwirkungen zu untersuchen), dass diese immer zahlreicher und immer teurer werden. Bis zu 7 Prozent des Umsatzes werden für Bürokratiekosten ausgegeben, also in etwa das Doppelte der durchschnittlichen Gewinnmargen. Fast 10.000 gesetzliche Informationspflichten führen zu einer Gesamtbelastung von knapp 50 Mrd. Euro, Tendenz steigend!

Andere, z.B. fast alle Dienstleister wie Anwaltskanzleien oder Unternehmensberater, werben ganz freiwillig mit ihren guten Absichten. Was man da alles liest! Beratung aller Entrechteten, Benachteiligten und Hilfsbedürftigen, pro bono versteht sich. Unterstützung für Umweltrettung, Klimaschutz, net zero, Nachhaltigkeit, Ressourcensorgfalt, LTB*+ – safe spaces. Optimierung der Mitarbeiterpotenziale, alles höchst divers und maximal inklusiv. Es fehlt nirgendwo an nichts. Nur die Substanz fehlt, neben den Bekundungen des guten Willens finden sich so gut wie nie konkrete Nachweise von guten Taten. Und wenn man die Mitarbeiterprofile der Anwaltskanzleien und Unternehmensberater mal durchblättert, regen sich Zweifel an der angeblich gelebten Diversity. „Tue Gutes und rede darüber“, das war einmal. Heute gilt „Rede Gutes, machen musst du dann nichts mehr“. Wie der Bestsellerautor Vivek Ramaswamy in seinem Buch „Woke, Inc: Inside the Social Justice Scam“ schon mutmaßte: Wer sich für Wichtigeres als „Profit und Macht“ zu interessieren scheine, wolle tatsächlich „von beidem mehr“. Nach ihm lautet das erste Governance-Gebot: „Je ruchloser dein Geschäft, desto progressiver musst du erscheinen“.

Aber Vorsicht! Es gibt Risiken und Nebenwirkungen. Das Beispiel der Privatbank Coutts muss als Warnung dienen. Diese hatte einem der Bad-Boys of Brexit, dem UKIP-Gründer Nigel Farrage, die Konten gekündigt, nachdem ein 42 (!) – Seiten langer, interner Report zu der Ansicht gelangte, dass dessen Überzeugungen den hohen moralischen Ansprüchen der Bank nicht gerecht würden.

Getrieben von der hausinternen B Lab UK werden dort die JEDI-Prinzipien hochgehalten, wobei JEDI für justice, equity, diversity and inclusion steht. Und die Chefin der Coutts-Mutter NatWest, Dame Allison Rose, ließ gegenüber einem BBC-Reporter wahrheitswidrig durchblicken, es seien nicht die politischen Ansichten von Farrage, sondern dessen unzureichenden Vermögensverhältnisse, die zu seiner Sperre geführt hätten.

Und das Ende? Frau Rose musste sich erst entschuldigen und dann doch ihren Abschied einreichen, Peter Flavel, der CEO von Coutts, auch und der Aufsichtsratsvorsitzende Howard Davies von NatWest wackelt. Also, die Moral von der Geschicht’: Farrage wird als Held der Meinungsfreiheit gefeiert, sogar von manchen, die, wie der britische Premier Rishi Sunak, seine Politik ablehnen, die anderen mussten ihre Hüte nehmen. So macht man seine Feinde stark. Aber wir kennen das Hierzulande ja auch. Da wird aus einem „Halbieren“ auch schnell mal ein „Verdoppeln“.

Autor: Theo Langheid

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