Versicherungsrecht: Kann das Gesetz durch „schweigende“ AVB abbedungen werden?

Quelle: Bild von Reimund Bertrams auf Pixabay

Wichtiges geschieht manchmal nebenbei. Das OLG Düsseldorf hat sich bei einem Urteil auch mit der Gestaltung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) beschäftigt. Die Ansicht verdient „höchste Aufmerksamkeit“, erklärt Theo Langheid in seinem Blogbeitrag auf unserer Partnerwebsite VersR. Im Beitrag beschäftigt sich der Autor mit der Anrechnung von Kosten und Zinsen nach § 101 Abs. 2 VVG, „Kosten des Rechtsschutzes“.

Das OLG Düsseldorf hat im Urteil vom 13. Dezember 2019 (I-4 U 23/18, VersR 2020, 683), das sich prima facie mit der Erschöpfung einer Grunddeckung und der Eintrittspflicht einer Anschlussversicherung befasst, zwei bis drei Sätze zur Gestaltung von AVB aufgenommen, die „höchste Aufmerksamkeit verdienen“. Es ging um die Eintrittspflicht eines Excedentenversicherers nach Erschöpfung der Versicherungssumme des Grundlayers. Für den Verbrauch der Versicherungssumme in der Haftpflichtversicherung, also auch der D&O-Versicherung, kommen drei Zahlungspositionen infrage: zunächst die Freistellung von Schadensersatz, sodann alternativ oder – nach verlorenem Haftungsprozess – kumulativ Abwehrkosten und schließlich Verzugs- und/oder Prozesszinsen.

In Bezug auf die beiden zuletzt genannten Alternativen trifft § 101 Abs. 2 VVG eine nach bisherigem Verständnis eindeutige Regelung: Satz 1 besagt, dass Abwehrkosten nicht auf die Versicherungssumme angerechnet werden, diese also zusätzlich gezahlt werden müssen. Und Satz 2 sagt, dass das auch für Zinsen gilt, aber nur, wenn und soweit sie vom Versicherer veranlasst wurden. Bei Satz 1 (Kosten) wird gestritten, ob die Regelung abdingbar ist. Darum soll es hier nicht gehen (nur vorsorglich: natürlich ist Abs. 2 Satz 1 abdingbar). Auch nicht um die Frage nach Kosten-Quotierungen, die sich stets stellt, wenn der Geschädigte neben berechtigten auch unbegründete Schadensersatzzahlungen geltend macht oder der geltend gemachte Betrag von vorneherein über der vereinbarten Versicherungssumme liegt. Im Fall von Satz 2 (Zinsen) streitet sich niemand. Allzu klar scheint die gesetzliche Regelung, wonach Zinsen eben nur dann nicht anzurechnen – also zusätzlich zu zahlen – sind, wenn sie vom Versicherer veranlasst wurden. Sind dem unbestritten geschuldeten Schadensersatz Zinsen hinzuzurechnen, ist davon auch freizustellen, die vereinbarte Versicherungssumme ist die Grenze.

Bei Abwehrdeckung gilt: War die Abwehr erfolgreich, wird gar nichts geschuldet, also auch nichts angerechnet. Nur, wenn der Versicherer eine im Ergebnis erfolglose Anspruchsabwehr initiiert hat, sind die Zinsen dafür zusätzlich zur Versicherungssumme zu zahlen. Im konkreten Fall ging auch der Makler der Versicherungsnehmerin von einer Abdingbarkeit der Kostenanrechnungsregel (§ 101 Abs. 2 Satz 1 VVG) aus. Also hat er eine entsprechende Klausel in Ziff. 2.3 der Makler-AVB HPDO 2007 aufgenommen. Danach sollen auf die Versicherungssumme „neben Schadensersatzzahlungen ausschließlich externe Abwehrkosten angerechnet“ werden. Und in diesem Zusammenhang folgen dann die fraglichen Sätze. Im Urteil des OLG Düsseldorf (VersR 2021, 683, 685 unter III 5 a aa) heißt es zunächst in Bezug auf die fragliche Anrechnungsklausel:

„§ 101 Abs. 2 VVG ist hinsichtlich Zinsen jedenfalls nicht abbedungen (…). Bereits im Umkehrschluss zur ausdrücklichen Regelung der Anrechnung von Abwehrkosten kann das (…) nur so verstanden werden, dass es hinsichtlich der Zinsen bei der Regelung des § 101 Abs. 2 VVG bleiben soll.“

So weit, so gut. Kosten können von der Versicherungssumme abgezogen werden, Abs. 2 Satz 1 wurde durch die AVB – auch nach Auffassung des OLG Düsseldorf offenbar wirksam – abbedungen. Zinsen nicht, wenn und soweit vom Versicherer veranlasst, Abs. 2 Satz 2. Aber unter III 5 a cc (VersR 2020, 683, 685) heißt es dann weiter:

„Dadurch, dass die Parteien allein die Anrechnung der Kosten vereinbart haben, haben sie zugleich die Regelung des § 101 Abs. 2 Satz 2 VVG dahingehend modifiziert, dass es keiner vom Versicherer veranlassten Verzögerung der Befriedigung des Dritten als weiterer Voraussetzung für eine unterbliebene Anrechnung der Zinsansprüche bedarf.“

„Achtung! Wenn man den komplizierten Wortlaut recht versteht, soll das Schweigen in den AVB das Gesetz ändern: Es bedarf danach keiner Verzögerung als Voraussetzung für eine zu unterlassende Anrechnung der Zinsen auf die Versicherungssumme“, erklärt der Autor. Also muss der Versicherer die Zinsen immer zusätzlich zur Versicherungssumme zahlen, auch wenn das Gegenteil im Gesetz steht. Das Weglassen eines bestimmten Regelungstatbestands (hier: Zinsen) führt also dazu, dass die entsprechende gesetzliche Regelung „modifiziert“ wird (vulgo: sie schlicht nicht mehr zur Anwendung kommen soll). Und das, obwohl nur sieben Absätze zuvor ausdrücklich gesagt wird, dass die fragliche Vertragsgestaltung es bei der gesetzlichen Regelung (hier: § 101 Abs. 2 VVG) belässt.

Was für Folgen das für die Bedingungsgeber hat und warum diese Konstellation Chancen eröffnet, können Sie auf unserer Partnerwebsite VersR (Versicherungsrecht) lesen.

Autor: Theo Langheid

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