Fehlende Garantien bei Altersvorsorgeprodukten: Staatssekretär Jörg Kukies zeigt Verständnis für Versicherer

Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Quelle: Bundesministerium der Finanzen, Photothek

Wie funktioniert betriebliche Altersversorgung (bAV) unter den Bedingungen von Niedrigzins und Corona? Zu diesen und anderen Problemen der Altersvorsorge tauschten sich gestern Politiker, Wissenschaftler und Praktiker auf der virtuellen Handelsblatt-Jahrestagung „Betriebliche Altersversorgung“ aus.

Wie nicht anders zu erwarten, wurden viele Themen konträr diskutiert. Beispiel Rentenanpassungen. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, berichtete, dass es bei rückläufiger Lohnentwicklung in diesem Jahr bei den Renten eine Nullrunde (West) bzw. eine geringe Anpassung (Ost) gab. Das sei nicht solidarisch, hakte Bernd Raffelhüschen ein, Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge der Universität Freiburg. Stattdessen müssten nach seinem Verständnis auch Renten sinken, wenn es die Löhne tun. Ansonsten bedeute das für die junge Generation eine einschneidende Belastung.

Zudem forderte er die Abschaffung abschlagsfreier Renten, die Rückabwicklung der Grundrente, die Wiedereinführung des Nachhaltigkeits- bzw. Nachholfaktors sowie die Einführung eines Lebenserwartungsfaktors, was eine längere Lebensarbeitszeit bedeutet. Die Grundrente nannte er eine „Fehlkonstruktion sondersgleichen“, weil es sozial ungerecht sei, die Altersarmut anders zu werten als etwa Kinderarmut. Er hält es zudem für falsch, Versicherer als institutionelle Anleger mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz in bestimmte Anlageformen zu zwingen. Damit sie Rendite erwirtschaften können, müsse der Staat die Freiheit und Diversität der Kapitalanlage sichern.

Keine Nachbesserung beim Tarifpartnermodell

Schmachtenberg verteidigte die Grundrente, die für rund 1,3 Millionen Menschen – 70 Prozent davon Frauen – ein „einigermaßen auskömmliches Einkommen“ sichere. Die Umsetzung sei herausfordernd, da zum Beispiel 26 Millionen Rentenkonten überprüft werden müssten. Im Juli 2021 wolle man mit der Auszahlung beginnen. Auch die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige sei auf einem guten Weg. Allerdings wolle man angesichts der Probleme vieler Selbstständiger in der Coronakrise mit der Einführung „behutsam“ vorgehen.

Was sie bAV angeht, habe laut neuem Alterssicherungsgesetz der Bundesregierung die Zahl der aktiven bAV-Anwartschaften von Ende 2017 bis Ende 2019 um rund eine halbe Million auf etwa 21 Millionen zugenommen, berichtete er weiter. Er hält die Rahmenbedingungen des Tarifpartnermodells für richtig, es sei jetzt an den Tarifpartnern sie zu nutzen. Es gebe Tarifverträge im Entwurf mit entsprechenden Modellen, aber noch keinen in der Umsetzung. Nachbesserungen seitens der Politik schloss er aus. Er halte den Vorschlag, dass Betriebsräte selbst mit der Geschäftsführung verhandeln, für nicht praktikabel. Das würde die Betriebsräte überfordern, findet er.

Wenn Regelungen immer gleich infrage gestellt werden und nach Nachbesserung gerufen wird, dann verhindert das Handeln. „Es wird nicht nachgeschärft beim Sozialpartnermodell“, legt er sich fest. Bei der Riester-Rente sieht er keine „große Reform“. Es gehe zunächst nur um das Thema Standard-Riester. Riester-Renten ohne Garantien, wie sie bei Nullzinsen nötig wären, hält er für nicht kommunizierbar: „Wenn der Staat die Vorsorge fördert, aber dann keinerlei Garantien gibt, ist das nur schwer zu vermitteln.“

Biometriekosten zu hoch?

Hoch her ging es bei einer Diskussion um das Thema grundsätzliche Neuausrichtung der Altersvorsorge. Dorothea Mohn, Teamleiterin Finanzmarkt des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, forderte „echtes Sparen“ mit Verzicht auf Garantien und einen Abschied von Versicherungen und wies auf die „Extrarente“ als Modell für ein öffentlich-rechtlich organisiertes Standardprodukt hin. Damit könne man erhebliche Kosteneinsparungen und höhere Renditen als die Riester-Rente erzielen. Axel Kleinlein, Vorstand Bund der Versicherten, hält die Extrarente für eine mögliche Lösung, will aber vor allem das bisherige Altersvorsorge-System, das nach seiner Auffassung nur aus teuren Lebensversicherungen besteht, abschaffen. „Die Versicherer kriegen das nicht hin mit den Kosten“, wetterte er.

Peter Schwark, Geschäftsleitungsmitglied des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), wies demgegenüber darauf hin, dass die Verwaltungskosten seit 1990 gedrittelt worden seien. Zudem seien in der dritten Säule der Altersvorsorge Beratung und Information der Kunden notwendig, was nicht zum Nulltarif zu haben sei. „Deutsche Versicherer sind im internationalen Vergleich nicht übermäßig teuer“, setzte er nach.

Kleinlein hielt eine andere Rechnung dagegen: Die Vertriebskoten für eine gleich garantierte Rente hätten sich in den letzten 25 Jahren verdreifacht. Zudem würden viele Versicherer die Biometriekosten wegen hoher Lebenserwartung der Kunden zu hoch kalkulieren, was den Rentenbezug unnötig teuer mache.

Auch Georg Thurnes, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) hält Garantien nicht für sinnvoll, angesichts der daraus folgenden Volatilität spräche aber alles für einen kollektiven Ansatz. „Die Ansparphase sollte kollektiv und so ertragreich wie möglich erfolgen, die Auszahlung dann so, dass sie bis zum Lebensende reicht“, fordert er. Dafür, warf Mohn ein, müsse es zu Rentenbeginn allerdings nicht zwingend eine Verrentung über eine Versicherung geben. Auch Auszahlpläne bis zum Alter 80 oder 90 mit zusätzlichen Restrentenversicherungen seien eine Möglichkeit.

Versicherer stabilisieren den Markt

Großes Verständnis für geringe oder ganz fehlende Garantien in Altersvorsorgeprodukten angesichts negativer Zinsen äußerte Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen. Die Versicherer würden in der gegenwärtigen Krise mit ihren Kapitalanlagen für Marktstabilisierung sorgen. Zudem würde kapitalgedeckte Altersvorsorge an Bedeutung gewinnen. „Wir haben großes Verständnis dafür, dass die Versicherer anders als bisher mit dem Thema Garantien umgehen“, meinte er.

Versicherer müssten ihre Geschäftsmodelle anpassen. Sein Haus schnell mit der Änderung der Zinszusatzreserve darauf reagiert. Auch über eine Anpassung des Höchstrechnungszinses denke man natürlich nach, man wolle aber Schnellschüsse vermeiden.

Im Bereich bAV habe die Regierung mit der Reform des Pensionssicherungsvereins mehr Sicherheit geschaffen. Auf EU-Ebene habe man es geschafft, das Thema kapitalgedeckte Altersvorsorge im Rahmen der Kapitalmarktunion zu einem Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft zu machen.

Auch an einer „großen Riester-Reform“ arbeite man bereits in seinem Ministerium. Einen konkreten Stand der Diskussion oder gar einen Zeitpunkt könne er allerdings nicht nennen. Die Europarente PEPP (Pan-European Personal Pension Product), ebenfalls ein Ergebnis der Kapitalmarkt-Union, werde gerade in nationales Recht umgesetzt. Kukies erwartet die Einführung im ersten Quartal 2022.

Verdi lädt Arbeitgeber zum Sozialpartnermodell ein: Startschuss fällt noch in 2020

Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Sozialpolitik, Verdi Bundesverwaltung, verkündete auf der Tagung auch eine gute Nachricht: Hoffentlich noch in diesem Jahr soll der erste Tarifvertrag zum Sozialpartnermodell abgeschlossen werden. Schon am Vormittag hat Staatssekretär Schmachtenberg vom Bundesarbeitsministerium von mehreren Entwürfen von Tarifverträgen gesprochen.

In ihrer Keynote sprach Kerschbaumer am Ende ausdrücklich eine Einladung an die Arbeitgeberseite aus, das Modell anzugehen, und hofft, dass das erste Modell einen „Run“ auslöst.

Sie erläuterte ausführlich die Anforderungen von ver.di an ein aus Gewerkschaftssicht zustimmungsfähiges Modell. Und nannte dabei folgende Eckpunkte:

  • Als Partner für Verdi kommen nur Anbieter eines Sozialpartnermodells infrage, die selbst ihren eigenen Beschäftigten eine Betriebsrente mit einer breiten Arbeitgeberbeteiligung oberhalb des gesetzlichen Zuschusses anbieten. Eine substantielle Arbeitgeberbeteiligung müsse gegeben sein.
  • Arbeitgeber müssen zusätzlich einen Sicherungsbetrag für das Entfallen der Arbeitgeberhaftung leisten.
  • Es komme keine Verschlechterung oder Ablösung bestehender Betriebsrentenmodelle infrage.
  • Die Kapitalanlagen müssten nach ESG-Kriterien aufgestellt sein.
  • Es sollen die verschiedenen Fördermöglichkeiten, wie die Niedrigverdienerförderung und Riester (Zulagenrente), genutzt werden können.
  • Wichtig sei eine gute Einbindung der Gewerkschaften bei der Durchführung und Steuerung, insbes. im Bereich Kapitalanlage.
  • Die Tarifexklusivität müsse gewahrt bleiben. Das Modelle solle nicht auf die Betriebsebene verlagert werden, dazu sei es zu komplex.

Von dieser Blaupause seien branchenspezifische Abweichungen natürlich denkbar. Sie stellte das Sozialpartnermodell ausdrücklich als gutes Modell in der Niedrigzinsphase vor und sieht es als Alternative zu einem Obligatorium. Sie brachte es auf den Punkt: wer heute kein Geld habe, habe auch nichts übrig für ein Obligatorium.

Moderator Raffelhüschen hatte danach Gelegenheit mit zwei Anbietern zu sprechen, der Deutschen Betriebsrente und dem Rentenwerk. Fabian von Löbbecke berichtete aus den Verhandlungen von Talanx zur Einführung eines Sozialpartnermodells für die eigene Belegschaft. Die Verhandlungen dazu ständen kurz vor dem Abschluss. Er unterstrich, dass die Verhandlungen sehr partnerschaftlich verlaufen seien. Nach der Einführung bei Talanx könne das Modell auch beim Partner der Deutschen Betriebsrente (Zürich) sehr schnell eingeführt werden. Zurich-Vorstand Lars Golatka hob nochmals die zahlreichen Vorteile des Sozialpartnermodells, insbesondere die Erzielung höherer Betriebsrenten aufgrund der freieren Geldanlage hervor.

Die Vertreterin des Rentenwerks, Henriette Meissner von der Stuttgarter, hob hervor, dass das Modell des Rentenwerks in der aktuellen Covid-19-Krise gezeigt habe, dass Sicherheit der Renten in einem aktienbasierten Modell tatsächlich auch in Krisenzeiten gewährleistet sind. Alle Anbieter seien digital aufgestellt und können dadurch die Verwaltungsaufwände deutlich reduzieren.

Auf kritische Nachfrage zu den hohen Kosten von Versicherern konterte Meissner, dass gerade die Gewerkschaften hier sehr kritisch bei „ihren“ Sozialpartnermodellen nachfragen. Das zeigen gerade auch die aktuellen Verhandlungen. Die Sozialpartner sorgten, sagte die Vertreterin des Rentenwerks, für eine Richtigkeitsgewähr bei der Tarifgestaltung und der Kapitalanlage.

Autorin: Elke Pohl

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