VersR BLOG von Leander D. Loacker: Neuregelung des schweizerischen Versicherungsvertriebsrechts

Quelle: VersR

Rechtsquellen im Umbruch: Der öffentlich-rechtliche Rahmen für das Versicherungsvertriebsrecht in der Schweiz ist Gegenstand einer tiefgreifenden Umgestaltung. Dies gilt für die beiden Hauptrechtsquellen, das VAG und die dazugehörige Aufsichtsverordnung ebenso wie für ganz neu geplante Rechtsakte wie das Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit.

Die Reform der beiden Hauptrechtsquellen stellt im Ergebnis eine Bringschuld des schweizerischen Gesetzgebers dar. Dies deshalb, weil die schon viel früher im Zuge der Verabschiedung des sog. FIDLEG (Finanzdienstleistungsgesetz) geplant gewesene Änderung des VAG letztlich unterblieb, nachdem es aufgrund branchenseitiger Interventionen zu einer relativ spektakulären Ausnahme des gesamten aufsichtspflichtigen Versicherungssektors vom FIDLEG-Anwendungsbereich gekommen war (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. d FIDLEG). Was zunächst von manchen als geglückte Abwehr unerwünschter Mehr- und Neuregulierung des öffentlichen Versicherungsrechts gefeiert wurde, könnte sich im Rückblick als vorschnelle Analyse erweisen. Denn aus heutiger Sicht hat sich durch den „Anti-FIDLEG-Coup“ die Regulierung lediglich verzögert und der verspätete Zugriff könnte sogar in Einzelpunkten (namentlich über die AVO) zu einer strengeren Regelungsausgestaltung führen.

Für eine in jeder Hinsicht abschließende Analyse ist es indessen noch zu früh, da die viele entscheidende Details enthaltende AVO derzeit noch Gegenstand einer abschließenden Textierungsberatung ist. Was vorliegt, ist der entsprechende Entwurf. Endgültig äußern möchte sich der schweizerische Bundesrat dazu aber erst Ende Mai 2023. Bis dahin gilt (wie so oft: bedenklich) strenge Geheimhaltung. Die wesentlichen Eckpunkte der Reform des öffentlich-rechtlichen Rahmens für den Versicherungsvertriebssektor sind indessen schon heute klar erkennbar.

Zentrale Neuregelungen zum Versicherungsvertrieb im VAG

Anders als in Deutschland unterstehen Versicherungsvermittler schon nach bisher geltendem VAG – und zwar unabhängig davon, ob es sich um ungebundene oder gebundene Vermittler handelt! – einer allgemeinen (Missbrauchs-)Aufsicht durch die schweizerische Aufsichtsbehörde FINMA. Demgegenüber unterstanden bisher nur jene Vermittler (auch) einer erweiterten, laufenden Aufsicht, die in das Vermittlerregister eingetragen waren – was wiederum nur für Makler eine Pflicht, für Vertreter hingegen eine bloß freiwillige Option darstellte.

Das ändert sich nun zunächst schon insofern, als künftig ausschließlich Makler eintragungsfähig sind (eine in der Praxis beschränkt relevante Ausnahme für nicht eintragungspflichtige Vermittler enthält lediglich Art. 42 Abs. 3 des neuen VAG für jene, die Auslandsgeschäft betreiben und hierfür im Ausland einen Registrierungsnachweis benötigen).

Davon abgesehen werden u.a. die Ausbildungs-, Dokumentations- und Compliance-Vorschriften für eintragspflichtige Vermittler erheblich verschärft. Vor diesem Hintergrund steht zu erwarten, dass die Zahl der registrierten Makler insgesamt in der Schweiz zurückgehen und jene der gebundenen Mehrfachvermittler demgegenüber ansteigen könnte.

Mit Blick auf den persönlichen Anwendungsbereich neu ist, dass auch Versicherungsunternehmen selbst in die Pflicht genommen werden, soweit der Direktvertrieb betroffen ist. Genau gegen diese Erweiterung wehrt sich – obwohl in der Union seit Inkrafttreten der IDD absoluter Standard – namentlich der Schweizerische Versicherungsverband mit Händen und Füßen (dazu sogleich weiter unten).

Die drei wesentlichsten Neuregelungen (neben unzähligen Details wie etwa der Anhebung der Mindestversicherungssumme der Berufshaftpflichtversicherung in Abhängigkeit von der Anzahl beschäftigter Mitarbeiter – s. Art. 189 des AVO-Entwurfs) enthalten die Art. 44 Abs. 1 lit. b, Art. 45a sowie Art. 45b des neuen VAG: Mit der zuerst genannten Bestimmung wird ein Binaritätsprinzip mit Blick auf die verschiedenen Vermittlertypen eingeführt, welches die gleichermaßen legendäre wie problematische „janusköpfige Versicherungsvermittlung“ der Vergangenheit angehören lässt: Erscheinungsformen wie der Pseudomakler und der Quasiagent sind damit nämlich künftig ebenso wenig zulässig wie eine je nach Kundensegment und/oder Versicherungssparte von derselben Person eingenommene Rolle einmal als Makler und einmal als Vertreter. Neu geht es also um ein striktes Entweder-oder. Wer nicht Makler ist, wird als Agent behandelt; Zwischenformen sind genauso passé wie das Hin-und-Herwechseln des eigenen Status. Gerade kleinere Makler kann dieser Entscheidungszwang durchaus zu Grundsatzfragen hinsichtlich der Fortführung bisherige Geschäftsmodelle veranlassen; in der Sache selbst ist dieser Reformpunkt freilich uneingeschränkt zu begrüßen.

Dies gilt auch für die Regelung des neuen Art. 45a VAG, der (bemerkenswerterweise: auch Vertreter) zur Vermeidung von Interessenkonflikten verpflichtet. Eindeutig Hauptbetroffene der Bestimmung sind freilich die Makler. Sie werden insbesondere ihre bestehenden Zusammenarbeitsverträge mit Versicherern darauf hin zu prüfen haben, ob diese den neuen Vorgaben des Art. 45a noch gerecht werden oder ob sie diese kündigen oder abändern müssen. Letzteres wird man dort annehmen müssen, wo der Makler bisher kraft Zusammenarbeitsvertrag bspw. underwriting-bezogene oder i.e.S. schadensregulierende Aufgaben zugewiesen bekommen hatte. Das ist unter dem neuen Aufsichtsregime nicht mehr zulässig. Auch volumenbasierte Provisionen (die man in der Schweiz gängig als sog. Supercourtagen bezeichnet) können verpönte Interessenkonflikte begründen.

Für bisher nicht gekannte Transparenz sorgt schließlich die nur Makler betreffende Offenlegungsverpflichtung des neuen Art. 45b VAG: Sie knüpft die Zulässigkeit einer Annahme von Courtagen an strenge Voraussetzungen. Neben einer ausdrücklichen Aufklärung des Versicherungsnehmers über den Erhalt solcher Courtagen sind Makler neu auch verpflichtet, „Art und Umfang“ dieser Vermögensvorteile en détail preiszugeben. Nur wenn die Höhe im Vorhinein nicht exakt ermittelbar ist, schuldet der Makler „nur“ eine Angabe der Berechnungsparameter sowie der Bandbreite der zu erwartenden Vergütung. Sobald die Höhe dann einmal feststeht, wird vollständige Transparenz geschuldet (das – und nur das – ist allerdings von einer kundenseitigen Rückfrage abhängig). Mit der Einführung dieser aus helvetischer Sicht durchaus sehr progressiven Bestimmung wird ein vorläufiger Schlussstrich unter eine jahrzehntelange rechtspolitische Diskussion gezogen. Man darf nicht vergessen, dass die zwölf Väter und zwei Mütter in ihrem Expertenentwurf zur – letztlich vor allem auch deshalb gescheiterten – Totalrevision noch ein gänzliches Entschädigungsverbot für Makler eingefordert hatten.

Änderungen der Aufsichtsverordnung

Die AVO konkretisiert das VAG und führt teils – demokratiepolitisch mit Blick auf die fehlende Parlamentseinbindung nicht immer unbedenkliche – zusätzliche Merkmale und/oder Verschärfungen der im VAG grundgelegten Vorgaben ein. So wurde beispielsweise die – für die Schweiz im Unterschied zur IDD neue – Annexvermittlung erst auf Verordnungsstufe um das für den aufsichtsbefreiten Vermittler vorausgesetzte Element der „Nebenerwerbstätigkeit“ ergänzt (Art. 1h AVO-E). In der Sache leuchtet dies ein, das Parlament hat eine solche Einschränkung freilich nie diskutieren können.

Auch an der derzeit bekannten Fassung des Art. 182a Abs. 2 AVO-E wird, offenbar last minute hinter den Kulissen heftig „geschraubt“. Die Bestimmung hat die Erfassung von Internetportalen unter den Vermittlerbegriff zum Gegenstand, wie sie ja für Mitgliedstaaten spätestens seit Inkrafttreten der IDD wohlbekannt ist. In der Schweiz sind die Dinge (Vermittler oder Nicht-Vermittler) bisher deutlich umstrittener. Besondere rechtspolitische Brisanz erhält die erwartete Neuregelung vor allem dadurch, dass die Aufsichtsbehörde FINMA gegen eines der führenden Portale (Comparis) seit Langem u.a. mit Enforcement-Maßnahmen vorgeht und dieses konkrete Portal im Angesicht der drohenden Aufsichtspflichtigkeit und der damit verbundenen finanziellen Belastungen nicht nur bereits eine erhebliche Kündigungswelle in der eigenen Belegschaft lanciert hat, sondern offenbar auch ökonomisch durch Rückstellungen in Millionenhöhe eingeschränkt ist. Diese Rückstellungen wurden erforderlich, weil nach Medienberichten seitens der Aufsichtsbehörde bereits ein Gewinneinzug für die Vorjahre zulasten von Comparis angedroht wurde. Die Behörde ist wohl der Ansicht, dass schon de lege lata im Fall von Comparis von Versicherungsvermittlung auszugehen ist. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sehr die neu geplante Bestimmung tatsächlich eine lex comparis erkennen lassen wird. Keine Vermittlungstätigkeit entfaltet jedenfalls (weiterhin), wer lediglich Adressdaten weitergibt und „dabei keine Unterstützung beim Abschluss des Versicherungsvertrages“ leistet.

Aber nicht nur Vergleichsportale wie Comparis blicken angespannt auf die Reform der AVO. Auch die Freude des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV) über die derzeit bekannte Fassung der Verordnung ist enden wollend. Konkret versucht der Verband insbesondere, die Versicherungsunternehmen ganz weitgehend – nämlich, sofern der Direktvertrieb online erfolgt – aus dem Vermittlerbegriff ausnehmen zu lassen. Dies mit der – alles andere als überzeugenden – Begründung, ein Kunde, der sich für den digitalen Direktvertrieb entscheide, habe sich damit auch gegen (jede) Beratung entschieden.

Davon abgesehen wird an der derzeitigen Verordnungsfassung verbandseitig moniert, dass der weite Vermittlerbegriff (vgl. Art. 182a Abs. 1 AVO-E) zu einer Aus- und Weiterbildungsverpflichtung auch für Personen gelten solle, die „wesentliche Vorbereitungsarbeiten“ erfüllen. Dies sei ungerechtfertigt und überschießend. Wer „bloß“ Entscheidungsgrundlagen liefere, aber nicht „effektiv am Point of Sale in der Versicherungsberatung aktiv“ sei, benötige keine Vermittlerqualifikation. Der SVV versucht damit offenbar die bisherige Praxis zu retten, nach der auch schon vor Absolvieren der Vermittlerprüfung Lernende bereits selbstständig Kunden betreuen. Alles andere sei praxisfern. Es bleibt abzuwarten, ob sich der Verordnungsgeber von dieser Argumentation überzeugen lassen wird.

Neues Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit (BGRV)

In der Schweiz kommt es seit Jahren gerade im Bereich der privaten Krankenzusatzversicherung zu Missständen im Versicherungsvertrieb. Problematische Abhängigkeitsverhältnisse unter den Beteiligten (und zwar durchaus auch einmal im „umgekehrten“ Verhältnis zugunsten des Versicherungsvermittlers und zulasten des Versicherungsunternehmens) und nicht minder problematische Vertriebsmethoden (cold calling & Co.) sind gang und gäbe.

Diesen offensichtlichen Missständen soll nun ein neues Bundesgesetz begegnen, das ungeachtet seines zu weit geratenen Titels nur auf den Bereich der sozialen sowie der privaten Krankenzusatzversicherung anwendbar ist. Herzstück des neuen Erlasses (zu dem derzeit die sog. Referendumsfrist noch läuft) soll die Möglichkeit sein, bestehende, gesetzlich vorgesehene Branchenvereinbarungen über bestimmte Vermittlungsaspekte künftig inhaltlich weiter fassen zu können und – vor allem – eine sog. Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch den Bundesrat zu ermöglichen, sofern die Branche eine solche beantragt. Dies wird allseits angenommen.

Für den Fall, dass es zu der erwarteten Allgemeinverbindlicherklärung kommt, sind Verstöße gegen das neue BGRV resp. das VAG, in welchem ein Gutteil der Neuregelungen umgesetzt werden soll, sowohl aufsichts- als auch strafrechtlich sanktioniert. Angesichts der erwähnten Missstände in diesem Versicherungssektor wird man die Stoßrichtung der neuen Regulierungsmaßnahmen nur begrüßen können.

Alles neu macht …

zwar bekanntlich der Mai – auf welchen Zeitpunkt allerdings die oben skizzierten Umwälzungen des öffentlich-rechtlichen Vertriebsrechts in Kraft gesetzt werden, ist derzeit noch völlig unklar. Branchenkenner gehen von einem Inkrafttreten nicht vor Januar 2024 aus. Jedenfalls zuzustimmen ist dem SVV insofern, als er sich dagegen ausspricht, dass namentlich mit dem neuen Vermittlerrecht eingeführte Informationspflichten zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft treten. Auch wird man der Branche richtigerweise genügend (Vorlauf-)Zeit geben müssen, um die erheblichen Änderungen, die das vor ihrer Türe liegende Legislativpaket VAG/AVO mit sich bringt, vollumfassend implementieren zu können.

In inhaltlicher Sicht weist das größtenteils heute schon festgezurrte Reformprojekt des neuen schweizerischen Versicherungsvertriebsrechts die typischen beiden Eigenschaften auf, die man Herrn und Frau Schweizer auch sonst persönlichkeitsmäßig häufig zuschreibt: Es versucht korrekt zu sein, indem es offenkundige Missstände behebt, aber es ist auffallend zurückhaltend und insgesamt keineswegs von großer Progressivität getragen. Im Vergleich zur bisherigen schweizerischen (Aufsichts-)Rechtslage und im Vergleich zu den unionalen Vertriebsvorgaben wird man sagen können: ein respektabler Anschlusstreffer.

Wortlaut der Reformprojekte:

Weiterführende Literaturhinweise:

  • Fellmann, Brokervertrag als multilateraler Innominatvertrag in Grolimund/Koller/Loacker/Portmann, FS A. K. Schnyder, 2018, 797 ff.
  • Fellmann, Versicherungsvertrieb in Grolimund/Loacker/Schnyder, Basler Kommentar zum VVG, 2023, 78 ff.
  • Fuhrer, Versicherungsvermittlung: Vom roten Teppich zur roten Karte für die schwarzen Schafe in Hürzeler et al., Jahrestagung zum Versicherungsrecht und Versicherungsaufsichtsrecht, 2022, 49 ff.
  • Fuhrer, Zur geplanten VAG-Revision, HAVE 2019, 31 ff.
  • Heiss, Was lange währt, wird endlich klein: die Revision des Versicherungsvertragsrechts in der Schweiz in Brömmelmeyer/Ebers/Sauer, Innovatives Denken zwischen Recht und Markt, FS H.-P. Schwintowski, 2018, 7 ff.
  • Loacker, Reform und Reformbedürftigkeit des schweizerischen VVG in Looschelders/Michael, Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2018, 2019, 21 ff.
  • Reiff, Die Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts in der Schweiz, beleuchtet aus europäischer und deutscher Perspektive, VersR 2020, 193 ff.
  • Schnyder, Zum Scheitern der Totalrevision des schweizerischen Versicherungsvertragsgesetzes in Witzleb et al., FS Martiny, 2014, 1217 ff.

Autor: Prof. Dr. Leander D. Loacker, M. Phil.

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