Vertriebe im Dilemma: Das Bild der Vermittlermarke neu zeichnen oder nachschärfen?

Vertrieb im Wandel: Neben dem „alles, jetzt und sofort“, steht der Wunsch der Kunden nach regionalen Produkten, nach Ansprechpartnern, die man kennt, die einen kennen. Bildquelle: WilliamsCreativity auf Pixabay

Was macht einen erfolgreichen Vermittlerbetrieb aus? Welche Fähigkeiten zeichnen ihn aus? Muss jeder alles können? Und was würde passieren, wenn Amazon oder Ping An in Deutschland ernst machen? Der stationäre Agenturvertrieb, teilweise in der dritten oder vierten Generation, hat etwas, das man nicht kaufen kann – das Vertrauen der Menschen. Wer nur digital verfügbar ist, steht im Wettbewerb mit den großen Playern aus der ganzen Welt. Von Peter Pietsch und Sebastian Heithoff.

Der Unterschied ist also das, was es immer schon gibt, der stationäre Vertrieb mit Menschen. Darauf darf man sich nicht ausruhen. Eine Transformation ist schlicht notwendig. Neben dem „alles, jetzt und sofort“, steht der Wunsch der Kunden nach regionalen Produkten, nach Ansprechpartnern, die man kennt, die einen kennen. Der Wunsch nach Nähe. Schon in Goethes Faust kämpft die enge kleine Welt des Alltags mit der großen metaphysischen Welt. Nähe und Weite ringen miteinander. Den klassischen stationären Vertrieb digital aufladen, in die Lage versetzen, das Geschäftsmodell zu entwickeln, ist die Chance des deutschen Versicherungsmarkts.

Die Stärke einer Marke kann durch die Entwicklung vieler kleiner Teilmarken, in denen sie klar präsent ist, ausgebaut werden. Die Marke eines Versicherers kann Teil einer erfolgreichen Vermittlermarke sein; idealerweise ergänzen sich die Marken des Vermittlers im Exklusivvertrieb und die Marke des Versicherers. Dies setzt ein gewisses architektonisches Markenverständnis in Denken und Handeln der Akteure voraus. Versicherer, die in der Vergangenheit den Anspruch hatten, das Thema Marke allein zu besetzen, kommen mit dieser Haltung nicht weiter. Die Symbiose mit der Vermittlermarke ermöglicht Reichweite und Wahrnehmung, Erlebbarkeit und Persönlichkeit. Wie werden die notwendigen Geschichten hierzu erzählt? In welchen Kanälen werden sie gespielt? Wie halten Vermittler ihre Seiten aktuell, die Produktinformationen des Versicherers eingebettet und in ihrer Zielgruppe attraktiv und relevant?

Heute stärkt die erfolgreiche kleinere Marke die Sympathie- und NPS-Werte des Versicherers

Versicherer und Vermittler müssen auf neuen Kanälen spannende Geschichten erzählen. Den Fokus auf die Sicht des Kunden legen, heißt, seine Sprache zu kennen, seinen Blickwinkel einzunehmen und dann auf mögliche Aufgaben oder Herausforderungen zu schauen. Eine Marke muss wahrnehmbar, spürbar und erlebbar sein, für etwas stehen, einem Betrachter von außen etwas bedeuten, ihn innen abholen. Wie können Vermittler im Exklusivvertrieb das erreichen? Wie viele Agenturen beschäftigen sich damit? Sich einer Herausforderung vor der Notwendigkeit bewusst stellen ist ein Schlüssel zur Fahrt in die Zukunft. Altbekannte Weisheiten im Vertrieb nageln Bretter vor die Köpfe: „Never change a running system“ und „Never change a winning team“ – „Warum etwas ändern, wenn das Geschäft doch funktioniert?“ oder eher „Bloß nichts ändern – es könnte schlechter werden.“ Es scheint, als sei großer Druck für jede Veränderung notwendig. Das war vor Corona mit der Online-Beratung so und vor dem Erstarken von den digitalen Vergleichern ähnlich.

„Das muss doch der Versicherer leisten, das ist doch seine Aufgabe“. So hört es sich bei den Vermittlern an und meistens haben sie tatsächlich wenig Möglichkeiten, ihren eigenen Auftritt analog und digital selbst zu gestalten oder zu verändern. Da blitzt die alte Versicherer-Denke durch, dass Marketing nur dann gut ist, wenn es die Marke des Versicherers befeuert. Dies stammt aus einer Zeit, in der es nur den Weg über die Vermittler gab, aus einer Zeit, in der Telefon und Brief neben dem persönlichen Erscheinen die einzigen Kommunikationsmittel waren. Da konnte ein Kunde nicht ausweichen, nicht direkt kontaktieren, der stationäre Vertrieb wurde immer eingeschaltet. Also wirkte die Markenwerbung direkt auf die Vermittler vor Ort.

Mit dem Multi-Channel-Vertrieb heute hatte das nichts zu tun. Es klingt zwar merkwürdig, aber heute stärkt die erfolgreiche kleinere Marke die Sympathie- und NPS-Werte des Versicherers. Es ist also wichtig, die Symbiose der Marken überall zu erreichen, dann ist man am Markt gut sichtbar und differenziert wahrnehmbar. Vermittlerbetriebe sind Erlebniszentren der Marken und mit ihrer Präsenz Botschafter der großen Marke der Versicherungsgesellschaften. Das bedingt ein anderes Verständnis von Markenbildung. Wertschätzung durch den Versicherer und Unterstützung bei der Entwicklung zu einer regional oder thematisch relevanten Marke für den einzelnen Agenturbetrieb sind deshalb schier notwendig. Und es braucht Zeit, die sich die Agenturen nehmen müssen, die unternehmerischen Hausaufgaben zu machen, ihre „Marken-Muskeln“ ordentlich zu trainieren. Vertriebsverantwortliche haben Bedenken, das koste zu viel Vertriebskapazität. Aber die Zeit drängt. Nicht nur, weil Amazon, Ping An und Co. eben nicht zögern, sondern weil auch Vergleicher und digitale Anbieter ihre Hausaufgaben besser und besser machen.

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der aktuellen Dezemberausgabe der Versicherungswirtschaft.

Autoren: Peter Pietsch, Präsident VEVK und Generalvertreter R+V ; Sebastian Heithoff, Selbstständiger Unternehmensberater